Hauptrubrik
Banner Full-Size

Vom Küchenkabinett zum Spitzenverband

Untertitel
Zwei Jahrzehnte Deutscher Kulturrat
Publikationsdatum
Body
Am 2. September 1981 lud der Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, Dr. Olaf Schwencke, kulturpolitische Bundesverbände und Organisationen zu einem Treffen für den 14. September 1981 nach Bonn in die Parlamentarische Gesellschaft ein. Ziel war die Gründung eines Kulturrates nach dem Vorbild von Kulturräten in den Niederlanden und in Schweden. Anlass war die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer für Kulturgüter. Eingeladen waren zu dem ersten Treffen Bundesverbände aus allen kulturellen Bereichen. Neben anderen waren das zum Beispiel die Bundesvereinigung des Deutschen Films, die Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, Bundesvereinigung soziokultureller Zentren, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Musikrat, der Verband Deutscher Schriftsteller und das Zentrum für Kulturforschung. Mit der Zusammenstellung der Organisationen war die Vorentscheidung getroffen worden, die kulturwirtschaftlichen Verbände in die Gründung eines Kulturrates nicht einzubeziehen. Diese Vorentscheidung wurde beim ersten Treffen in der Tendenz bestätigt. Neben der Frage der Mitgliedschaft wurden beim ersten Treffen präjudizierende Meinungsbilder hinsichtlich der Satzung, der Finanzierung und Einteilung der Sektionen erstellt. Auch der Bonn-Bezug des Deutschen Kulturrates wurde zunächst aus ganz pragmatischen Gründen in der ersten Sitzung festgelegt. Gleich in der ersten Sitzung wurden mit den aufgeführten Aspekten wie Mitgliedschaft, Satzung, Finanzierung und Einteilung der Sektionen grundsätzliche Fragen angesprochen. Was sollte der Kulturrat werden? Ein Zusammenschluss von Künstlerverbänden und Kulturvermittlern oder ein Sprachrohr für alle Bereiche des kulturellen Lebens? Soll er sich als eingetragener Verein konstituieren und damit für die Verbindlichkeit seiner Entscheidungen stehen oder soll er lieber eine lockere Arbeitsgemeinschaft bleiben? Wie soll er sich finanzieren? Eine lose Arbeitsgemeinschaft kann schwerer Mitgliedsbeiträge verlangen als ein eingetragener Verein. Wie sollen die Sektionen verfasst sein? Passt die Einteilung nach künstlerischen Sparten oder ist hier nicht eine Öffnung erforderlich? Im Verlauf der nunmehr zwanzigjährigen Geschichte des Deutschen Kulturrates hat sich erwiesen, dass genau diese Themen immer wieder auf die Agenda gebracht wurden. Sie waren und sie sind die „Knackpunkte“ im Deutschen Kulturrat. Dabei spielt das Thema „Sektionen“ und das Verhältnis der Sektionen zum Gesamtkulturrat eine entscheidende Rolle. Die nächste Sitzung aller Verbände, das Plenum, war für den 28. November 1981 anberaumt. Der Kreis der Teilnehmer an dieser Sitzung hatte sich aufgrund einer Intervention des Vorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Galerien, Bogislav von Wentzel, um Vertreter von Verwerterverbänden erweitert. Von Wentzel hatte die Einladung zum Treffen am 28. November 1981 auf einer Sitzung der Privatinitiative Kunst vom Direktor des Zentrums für Kulturforschung Dr. Andreas Wiesand, wie er selbst sagt „erbeutet“ und diese an zahlreiche Verwerterverbände weitergeleitet. Die erschienenen ungebetenen Gäste konnten am 28. November 1981 nicht mehr der Tür verwiesen werden, so dass sie zumindest mitdiskutierten als wieder die grundsätzliche Frage erörtert wurde: sollen die Verwerterverbände Mitglied werden oder nicht? Können sich Künstler mit ihrem Gegner, den Verwertern, an einen Tisch setzen? Wie sollten sich Künstler organisieren, als Gewerkschaft oder als Berufsverband? Nach dieser Zusammenkunft wurde nochmals betont, dass der Kulturrat die Entscheidungsbefugnisse und die Interessenlagen der Einzelverbände beziehungsweise Sektionsräte nicht beschränken wolle. Abschließend wurde daran erinnert, dass in der ersten Sitzung, also im September 1981 zwar ein Tendenzbeschluss gefasst worden war, die Kulturwirtschaft nicht gerade zu animieren, in den Kulturrat einzutreten, dass man die Frage aber offen gelassen habe und die Sektionen das Recht hätten, diese Frage für sich zu lösen. So verblieb man letztlich bei der Plenumssitzung im November 1981. Dieses Vorgehen, das eine zu wollen, das andere aber nicht zu lassen, kennzeichnet auf prägnante Weise die Diskussionen und die Arbeit des Deutschen Kulturrates in den kommenden Jahrzehnten. Die Verlagerung ungelöster Fragen hinsichtlich der Mitgliedschaft auf die Sektionen hat den Vorteil, dass tatsächlich spartenspezifische Lösungen gefunden werden können. Es besteht jedoch der Nachteil, dass sich mitunter Kontrahenten gegenüber sitzen. In der jüngsten Arbeit der Ad-hoc-Arbeitsgruppe soziale Sicherung/Künstlersozialkasse, die von 1999 bis 2001 den Novellierungsprozess zum Künstlersozialversicherungsgesetz begleitet hat, hat sich gezeigt, dass die spartenübergreifende Diskussion besondere Chancen beinhaltet. Dies gilt gerade bei divergierenden Interessen wie zum Beispiel zwischen Versicherten und Abgabepflichtigen in der Künstlersozialkasse. Trotz dieser positiven Möglichkeiten eines Kulturrates blieb bei einigen die zentrale Sorge, dass sie ihr Gewicht und ihre Stimme durch die Mitgliedschaft im Deutschen Kulturrat verlieren könnten. Diese Sorge ist keinesfalls auf den Deutschen Kulturrat oder den Kulturbereich begrenzt, sondern kennzeichnet generell das Spannungsverhältnis zwischen dem Dachverband und seinen Mitgliedern. Ein Dachverband vermag unter Umständen wirkungsvoller als ein Einzelverband Interessen in den politischen Raum bringen. Allein die Zahl der vertretenen Personen beeindruckt. Die Stärke eines Dachverbandes hängt aber genauso von der Stärke und dem Selbstbewusstsein seiner Mitglieder ab. Die kulturpolitische Ausgangslage Die Gründung des Deutschen Kulturrates fällt in die Endzeit der sozialliberalen Koalition auf Bundesebene. Unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ war Willy Brandt 1969 als Kanzlerkandidat der SPD angetreten. Viele Künstler hatten ihn bei seinem Wahlkampf unterstützt. Mit dem Vorhaben einer Nationalstiftung für Kultur wurde der Nerv der Zeit getroffen. Sie konnte jedoch aufgrund des Widerstandes der Länder nicht durchgesetzt werden. Dennoch gebar nach langem Kreißen der Berg Nationalstiftung die verschiedenen Mäuse Kunstfonds, Literaturfonds und Musikförderprogramme. Kultur hatte im Zusammenhang mit Bildung in diesen Jahren eine ungeheure Aufwertung erfahren. Die Ablösung einer auf Innerlichkeit und Bewahrung setzenden Kunstpolitik durch die „neue Kulturpolitik“ hatte gerade im Bereich der kommunalen Kulturpolitik weit reichende Veränderungen ausgelöst. Die Erklärung der Hauptversammlung des Deutschen Städtetags von 1973 „Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung“ hat fast schon legendären Charakter. Aber es blieb nicht bei Erklärungen. In den Kommunen wurde kulturell aufgerüstet und eine beträchtliche Zahl an Kulturzentren, an Museen und anderen Einrichtungen gegründet. Die Besetzung von Häusern Ende der 70er-Jahre, ihre „Umnutzung“ als soziokulturelle Zentren, zuerst illegal, dann geduldet und schließlich mit staatlicher Unterstützung, all dies gehört zur kulturpolitischen Aufbruchsstimmung jener Zeit. Dies alles ist eine Erfolgsgeschichte, die Erfolgsgeschichte der so genannten Soziokultur. Aber auch in den Künsten und auf der bundespolitischen Ebene tat sich etwas. Aufgerüttelt durch den Autorenreport von Fohrbeck/Wiesand, der ersten großen Untersuchung zur sozialen Lage von Künstlern, fortgesetzt mit dem Künstlerreport, wurde die Notwendigkeit einer Altersversorgung für Künstlerinnen und Künstler erkannt und mit den Initiativen zum Künstlersozialversicherungsgesetz einer Lösung zugeführt. Der Kulturrat im politischen Bonn Der Deutsche Kulturrat war fest im politischen Bonn verankert. Wichtige Persönlichkeiten, die in den Anfangsjahren den Kulturrat prägten und in der Arbeitsgruppe Kulturrat die Bausteine für das Fundament legten, waren Bonner beziehungsweise in Bonn heimisch geworden. Zur Gründungszeit bestand kein Zweifel daran, dass der Kulturrat nach Bonn gehört. Dass er dort, wo die Musik spielt, das heißt Parlament und Regierung sind, präsent sein muss. Im politischen Bonn, bereits in den 50er-Jahren außerordentlich treffend von Wolfgang Koeppen im Roman „Das Treibhaus“ beschrieben, kannte man sich. In dieser Kleinstadt, deren Bescheidenheit vor dem Umzug von Regierung und Parlament noch einmal gerühmt wurde, gedieh der sprichwörtliche rheinische Klüngel, an dem auch Nicht-Rheinländer teilhatten. Zu dieser Verbundenheit gehörte auch ein enger Austausch zwischen Ministerialbürokratie und Verbandsvertretern. Ein nicht zu unterschätzender Impuls zur Gründung des Kulturrates ging von der Ministerialbürokratie aus. An den Plena des Deutschen Kulturrates, die den Mitgliederversammlungen von ordentlichen Vereinen entsprachen, nahmen in den ersten Jahren ganz selbstverständlich Vertreter der Kulturabteilung des Bundesministeriums des Innern und Vertreter des Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft teil. Gemeinsam wurde um Positionen gerungen und gemeinsam wurde die schwierige Frage der Finanzierung des Deutschen Kulturrates angegangen. Aus heutiger Sicht fast schon unverständlich mutet an, dass Anfang der 90er-Jahre in Erwägung gezogen wurde, dass Kulturverbände zusammen mit der Kulturabteilung des Bundesministeriums des Innern ein Haus beziehen oder doch zumindest in enger Nachbarschaft ihre Büros haben sollten. Die enge Bindung an Bonn macht es dem Deutschen Kulturrat auch heute noch schwer, in der Berliner Republik anzukommen. Dieses gilt sowohl für seine Präsenz in der Hauptstadt als auch für die Einbindung ostdeutscher Interessen. Dabei hat es am Bemühen des Deutschen Kulturrates nicht gefehlt, sich für ostdeutsche Interessen einzusetzen und den Kontakt zu ostdeutschen Künstlern aufzubauen. Im Jahr 1989, noch vor dem Mauerfall hat sich der Deutsche Kulturrat dafür stark gemacht, dass Künstlerinnen und Künstler aus der DDR, die keine Ausreisemöglichkeiten hatten, für dreimonatige Aufenthalte auf Einladung des Deutschen Kulturrat in die Bundesrepublik reisen konnten. Die rasend schnelle politische Entwicklung im Jahr 1990 erfasste auch den Deutschen Kulturrat. Das zentrale Thema war die Entwicklung in der DDR. Es konstituierte sich erst ein Kulturpolitisches Kontaktbüro „Gesprächskreis DDR“ und schließlich ein „Kulturrat in der DDR“ mit dem eng zusammengearbeitet wurde. Die Durchführung des Plenums im Jahr 1990 in Potsdam (19. bis 21. November 1990) war ein Signal, dass der Deutsche Kulturrat nach der Vereinigung sich als Vertreter für die Kulturinteressen in ganz Deutschland sah. Entsprechend dieser Intention lautete das Diskussionsthema der öffentlichen Plenumsveranstaltung „Kulturpolitik nach dem 3. Oktober 1990“. Ebenso hat sich der Deutsche Kulturrat vehement für die Übergangsfinanzierung der neuen Länder eingesetzt. In den gemeinsam mit der Stiftung Lesen herausgegebenen Befragungen von Bürgermeistern in den neuen Ländern wurde untersucht, wie sich die kulturelle Infrastruktur in den neuen Ländern entwickelt. In Berlin wurde ein Büro des Deutschen Kulturrates eingerichtet, um Kulturverbände in den neuen Ländern zu beraten. Als die Arbeitsbeschaffungsmittel für die Mitarbeiter dieses Büros jedoch ausliefen und sich die Frage stellte, ob das Büro fortbestehen sollte, wurde die Notwendigkeit nicht mehr erachtet. Im Jahr 1993 erschien es vordringlicher, ein – bis heute noch nicht bestehendes – Büro in Brüssel einzurichten. Es ist müßig heute darüber zu spekulieren, ob eine längerfristige Präsenz des Deutschen Kulturrates in Berlin geholfen hätte, Brücken zu schlagen. Fest steht, dass mit dem Umzug des Deutschen Kulturrates von der Villa Adenauerallee 7 in Bonn in das Haus der Kultur in Bonn der Zenit der Bonn-Verbundenheit des Deutschen Kulturrates erreicht war. Den Ausschlag, in das „Haus der Kultur“ einzuziehen, gaben zwei Argumente, wie sie typischer für den Kulturrat nicht sein konnten. Zum einen wurde dem chronisch unterfinanzierten Kulturrat angeboten, die Geschäftsführung für das Haus der Kultur zu übernehmen. Zwei halbe Stellen sollten damit für die nächsten zwei Jahre gesichert sein. Nachdem im Jahr 1995 bis zur Jahresmitte ständig die Kündigung fast des gesamten Personalstamms drohte, weil aufgrund der vorläufigen Haushaltsführung des Bundes nach der Bundestagswahl 1994 die Projekte erst in der Jahresmitte genehmigt wurden, war das Angebot einer Finanzierungsmöglichkeit einfach schlagend. Das zweite Argument war die Sorge, dass sich im Haus der Kultur eine Art „Nebenkulturrat“ bilden könnte. Es wurde befürchtet, dass dort und nicht im Kulturrat selbst die wichtigen kulturpolitischen Gespräche geführt würden. Dieser Gefahr sollte durch Präsenz vor Ort entgegengetreten werden. So entschied sich der Deutsche Kulturrat trotz vieler Bedenken im Sprecherrat, in das Haus der Kultur in Bonn zu ziehen. Und obwohl das Haus der Kultur eine Ausgleichsmaßnahme für die Bundesstadt Bonn ist und damit per se auf Berlin verweist, hat an einen Umzug in die Hauptstadt zu dem Zeitpunkt niemand gedacht. Man hatte sich eingerichtet. Das Jahr 1999 schien Äonen entfernt. Und die, die man kannte, blieben ohnehin vor Ort. Für manche war es deshalb ein Schock, dass der Deutsche Kulturrat parallel zum Umzug von Parlament und Regierung im August 1999 ein Büro in Berlin eröffnete. Mittlerweile hat sich erwiesen, dass dieses Büro unabdingbar ist, damit der Kulturrat seine Aufgabe als Lobby für die Kultur erfüllen kann. Bau des Hauses Kulturrat: soll es einen Hausherrn geben? Zwei grundsätzliche Fragen galt es in der Gründungsphase des Deutschen Kulturrates zu klären. Zum einen, wer überhaupt Mitglied werden sollte und nach Klärung dieser Frage, wie der Aufbau, die Struktur aussehen sollte. Prinzipiell sollte der Deutsche Kulturrat ein „Dachverband der Dachverbände“ werden. Die juristische Mitgliedschaft im Kulturrat soll nur den Dachverbänden/Sektionen und nicht den bundesweit tätigen kulturellen Einzelorganisationen zustehen. Das Grundgerüst der acht Sektionen (Deutscher Musikrat, Rat für darstellende Künste, Deutsche Literaturkonferenz – bis 1996 Arbeitsgemeinschaft Literatur – Kunstrat, Rat für Baukultur, Sektion Design, Sektion Film und Medien, Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung) von 1981 hat bis heute Bestand. Ende der 80er-Jahre hatte der heutige Vorsitzende des Deutschen Kulturrates Dr. Max Fuchs, Akademie Remscheid den Vorstoß unternommen, in einer neunten Sektion „Kulturelle Zusammenarbeit“ Organisationen zu versammeln, die in das bisherige Schema der Spartenaufteilung nach den klassischen künstlerischen Disziplinen nicht passten. Das Anliegen nach Aufnahme dieser in Gründung befindlichen Sektion wurde vom Plenum im Jahr 1990 abgelehnt. Ebenso abgelehnt wurde später das Anliegen der Tanzverbände, eine Sektion Tanz zu bilden. So stellt sich für den Deutschen Kulturrat bis heute die unbefriedigende Situation, Verbänden, die keiner Sparte eindeutig zugeordnet werden können, im Prinzip keine Heimat bieten zu können. Es werden im Einzelfall zwar immer Lösungen gefunden, doch handelt es sich dabei immer um Notlösungen. Die Einzelverbände sind Mitglieder der jeweiligen Sektionen. Die Sektionen bilden den Deutschen Kulturrat. Im Plenum, heute Mitgliederversammlung, treffen sich die Einzelverbände der Sektionen. Im Sprechergremium, heute Sprecherrat, sind die Sprecher der Sektionen versammelt. Ab 1982 wählte das Sprechergremium einen Vorstand. Dieser Vorstand bestand aus dem Vorsitzenden des Sprechergremiums, dem Stellvertretenden Vorsitzenden und dem Altsprecher. Die Sektionen stellten nach dem Rotationsprinzip die Vorstandsmitglieder. Der Vorsitz wechselte damals jährlich. Der Deutsche Kulturrat konstituierte sich in mehreren Schritten zur Arbeitsgemeinschaft. An Stelle einer Satzung wurde ein Statut verfasst. Dieses Statut war in den nachfolgenden Jahren immer wieder Gegenstand von Diskussionen und wurde entsprechend angepasst. Nicht durchsetzen konnte sich das von Prof. Bruno Tetzner entwickelte Modell, das vorsah, ausgehend vom Spartenprinzip der Sektionen auf regionaler und auf Landesebene Kulturräte einzurichten. Erst in den 90er- Jahren gründeten sich Landeskulturräte. Komplett im Sinne des Deutschen Kulturrates, das heißt das alle künstlerischen Sparten abgedeckt werden, ist der Landeskulturrat Nordrhein-Westfalen. Der Struktur des Deutschen Kulturrates ähnlich ist der Bayerische Kulturrat. Zu beiden Landeskulturräten werden Kontakte auf informeller Ebene gepflegt. Über ein Jahr nach dem Gründungsaufruf am 19. November 1982 fand die Gründungsversammlung des Deutschen Kulturrates im Haus Inter Nationes in Bonn statt. Erneut stand zur Debatte, ob der Deutsche Kulturrat eine Arbeitsgemeinschaft bleiben oder ob er ein eingetragener Verein werden solle. Es standen sich gegenüber die Position des Kunstrates der die AG-Lösung favorisierte und die Position der Sektionen Design und Rat für Soziokultur, die die Gründung eines eingetragenen Vereins präferierten. Der Deutsche Musikrat neigte ebenfalls eher der Vereinsgründung zu. Nach intensiven Diskussionen wurde der Deutsche Kulturrat schließlich einstimmig als Arbeitsgemeinschaft gegründet. Im Nachhinein verwundert, dass, obwohl eine Satzung vorlag, die ein effizientes Arbeiten ermöglichen sollte, kein Verein gegründet wurde. Von den angeführten Argumenten für eine Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kulturrat scheint insbesondere dasjenige, in dem es um die Außenvertretung des Deutschen Kulturrates geht, von großer Bedeutung zu sein. Hierin spiegelt sich wider, dass verschiedene Verbände offensichtlich die Sorge hatten, ihr eigenes Profil gegenüber einem zu stark nach außen auftretenden Deutschen Kulturrat zu verlieren. Bereits zwei Jahre nach der Gründung des Deutschen Kulturrates, also 1984, wurde beim Plenum eine erneute Strukturdebatte geführt. Wiederum ging es um die Frage, wer darf etwas sagen und vor allem, darf etwas zu Themen gesagt werden, die nicht zuvor mit allen und in allen Sektionen abgestimmt wurden. Im Jahr 1990 stand erneut die Frage an, wie der Kulturrat verfasst sein sollte. Diesmal ging es darum, inwieweit der „Kulturrat in der DDR“ in den Deutschen Kulturrat integriert werden sollte. In der Sprechergremiumssitzung am 19./20. November 1990 in Potsdam wurden Vertreter der Sektionen aus Ostdeutschland aufgenommen und weitere zusätzlich kooptiert. Ergänzend wurde beschlossen, dass bei Bedarf weitere Personen aus den neuen Ländern als Fachberater berufen werden können. Da der Deutsche Kulturrat bis 1996 keine Rechtspersönlichkeit war, konnte er keine öffentlichen Mittel erhalten. Zu seiner Finanzierung wurde daher ein Förderverein, die „Fördergesellschaft für kulturelle Bildung des Deutschen Kulturrates e.V.“ (kurz Fördergesellschaft) gebildet. Dieser Förderverein war als Personenverein personell eng mit Funktionsträgern des Deutschen Kulturrates verbunden. Aufgabe der Fördergesellschaft war, Zuwendungen von öffentlichen Stellen zu erhalten und diese Mittel für Vorhaben des Deutschem Kulturrates auszugeben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutschen Kulturrates waren alle bei der Fördergesellschaft angestellt. Es bestand also die verdrehte Situation, das Geld an einen Verein gezahlt wurde, der streng genommen, dieses nicht für sich, sondern für eine Arbeitsgemeinschaft verwendete. Im Sprechergremium am 12. März 1991 wurde die Diskussion einer Vorlage von Rolf Zitzlsperger, Stiftung Lesen, vertagt. Zitzlsperger forderte in seinen Überlegungen eine stärkere Politisierung des Deutschen Kulturrates mit dem Anspruch auch zu allgemein gesellschaftspolitischen Fragen Stellung zu beziehen, wenn die Kultur berührt wird, eine stärkere Fachlichkeit auf der Arbeitsebene und damit verbunden eine deutlichere politische Präsenz des Vorstands. Wären diese Überlegungen konsequent verfolgt und umgesetzt worden, hätten sie einen wahrscheinlich neuen, einen professionelleren und einen präsenteren Kulturrat zur Folge gehabt. Eine Umsetzung hätte aber auch bedeutet, dass die spartenübergreifenden, allgemein politischen Anliegen des Deutschen Kulturrates deutlicher zum Tragen gekommen wären. Anlässlich des Plenums im Jahr 1991, bei dem auf zehn Jahre zurückgeblickt werden sollte, machte Dierk Engelken (Vorsitzender des Bundesverband Bildender Künstler) für den Kunstrat deutlich, dass nicht die Stärkung des Deutschen Kulturrates im Vordergrund stehen sollte, sondern eine Aufwertung der Sektionen. Sie seien das Entscheidende am Kulturrat und ihre Arbeitsfähigkeit müsse gesichert sein. Es wurde weiter vor der Gefahr eines bürokratischen Wasserkopfs gewarnt, der durch die finanzielle Basis einer Geschäftsstelle entstehen könnte. Von Seiten des Deutschen Musikrates hingegen, vorgetragen von dem Generalsekretär des Musikrates Dr. Andreas Eckhardt, wurde im Plenum die Bedeutung der spartenübergreifenden Facharbeit in den Fachausschüssen und die dort entstandenen Positionspapiere als Rückgrat des Deutschen Kulturrates hervorgehoben. Hierdurch habe er sich seine Reputation erworben. Diese Arbeit solle intensiviert werden. Eine sichere finanzielle Basis des Sekretariats sei hierfür eine Voraussetzung. Stärkung der spartenübergreifenden Fachausschüsse oder Rückbesinnung auf die spartenbezogenen Sektionen, das war die grundsätzliche Frage. Das Spezifische des Deutschen Kulturrates war und ist aber seine spartenübergreifende Arbeit. Es ist der Blick über den Tellerrand des eigenen künstlerischen Bereiches. Es ist das Lernen von anderen Organisationen. Vermutlich konnte der Deutsche Musikrat, der bereits bei Gründung des Deutschen Kulturrates auf eine drei Jahrzehnte lange Geschichte zurückblicken konnte, eher diesen Blick über den Tellerrand wagen als andere Sektionen, die sich erst noch etablieren mussten. Die Protokolle der Plena der Jahre 1983 bis 1991 zeigen, dass der Arbeitsstil und die Arbeitsintensität der Sektionen sehr unterschiedlich war. Einige, wie der Deutsche Musikrat, konnten auf eigene Fachkommissionen zurückgreifen und hatten daher eine Tradition in der Diskussion von übergreifenden Fragestellungen. Andere mussten erst einen Arbeitszusammenhang etablieren. Bei manchen stellte sich der spartenspezifische Austausch als eine weniger starke Basis heraus, der Wunsch nach dem übergreifenden Gesprächszusammenhang überwog. Aus pragmatischen Gründen wurden die Fachausschüsse des Deutschen Kulturrates immer mehr zu tragenden Pfeilern der Arbeit des Deutschen Kulturrates. Hier wurden die Papiere und Stellungnahmen erarbeitet, mit denen in die Öffentlichkeit gegangen wurde. Hier konnten die Sachfragen debattiert werden. Eine der ersten Stellungnahmen waren die steuerpolitischen Vorschläge des Deutschen Kulturrates. Wie bereits dargestellt, war im Jahr 1991 der Versuch unternommen worden, die Strukturen zu verändern. Dieser Versuch versandete jedoch. Erst nachdem die Zuwendungsbehörden drohten, Zahlungen an die Fördergesellschaft einzustellen, wuchs die Bereitschaft, den Deutschen Kulturrat als eingetragenen Verein zu begründen. Beigetragen hat zu dieser Entscheidung die zehn Jahre lange Erfahrung, dass der Deutsche Kulturrat weder die anderen Verbände überflüssig gemacht noch sie dominiert hat. Die Satzungsdiskussion prägte die Arbeit des Deutschen Kulturrates im Jahr 1994 und 1995, bis endlich nach vielen Sitzungen ein Kompromiss gefunden wurde. Der Verein Deutscher Kulturrat wurde im Herbst 1995 nach der Mitgliederversammlung im Vereinsregister eingetragen und zum 1. Januar 1996 die Geschäfte der Fördergesellschaft auf ihn übertragen. Damit war die Konstituierung des „Deutschen Kulturrats e.V.“ abgeschlossen. Der Deutsche Kulturrat: Lobbyist im positiven Sinne Kulturelles Leben ist mehr als der Unterhalt der Theater, der Kunstvereine, der Museen, der Orchester, der Bibliotheken, der Musikschulen et cetera. Kulturelles Leben gründet auf der Kreativität der Künstlerinnen und Künstler. Kulturelles Leben bedarf der Kulturvermittler. Kulturelles Leben ist ein Markt und damit ein Wirtschaftsfaktor. Kulturelles Leben wird getragen vom Laienengagement. Diese Vielschichtigkeit und Unterschiedlichkeit des kulturellen Lebens deutlich zu machen, hat sich der Deutsche Kulturrat zum Ziel gesetzt. Es geht ihm darum, die Rahmenbedingungen zur Entfaltung des kulturellen Lebens zu verbessern. Die Rahmenbedingungen werden in Politikbereichen wie der Steuerpolitik, der Urheberrechtspolitik, der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, der Wirtschaftspolitik auf Bundesebene gesetzt. Sie haben mit Kulturförderung im klassischen Sinne nichts zu tun. Eine Konkurrenz zwischen der Länder- und der Bundespolitik existiert in den genannten Politikbereichen – zumindest was die Frage der Zuständigkeit betrifft – in der Regel nicht. Der Föderalismus hat daher weder durch den Kulturausschuss im Deutschen Bundestag noch durch den Staatsminister für Kultur und Medien Schaden genommen. Das war so zu erwarten. Der Deutsche Kulturrat ist heute ein anerkannter Partner der Politik. Er wird, wie der Kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Eckhardt Barthel zum 20-jährigen Jubiläum des Deutschen Kulturrates schrieb, geschätzt als „Lobbyist im positiven Sinne“. Von Politikerinnen und Politikern aller Fraktionen im Deutschen Bundestag wurde zum Jubiläum besonders die Überparteilichkeit des Deutschen Kulturrates hervorgehoben. Der spartenübergreifende Ansatz wird als wertvoll für die politische Arbeit eingeschätzt und die Integrationskraft des Deutschen Kulturrates für wichtig erachtet. Eingelöst wurde vom Deutschen Kulturrat bislang noch nicht die stärkere Ausrichtung auf Europa. Die Einrichtung des „Cultural Contact Points – Nationales Beratungsbüro über die europäischen Kulturförderprogramme“ gemeinsam mit der Kulturpolitischen Gesellschaft 1997 war ein wichtiger Schritt nach Europa. Davon eine nachhaltige europäische Ausrichtung des Deutschen Kulturrates zu erwarten, wäre aber zuviel verlangt und würde dem Charakter dieses Beratungsbüros auch nicht gerecht werden. Dass die verstärkte Einbeziehung europäischer Diskussionsprozesse noch aussteht, ist umso bedauerlicher, da der europäische Einigungsprozess seit Gründung des Deutschen Kulturrates ein Thema ist und die Bedeutung europäischer Entscheidungen gerade mit Blick auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen von allen geteilt wird. Ebenso steht an, den Austausch mit ähnlichen Dachverbänden im europäischen Ausland aufzubauen. Der im Frühjahr 2001 gewählte Vorstand hat sich darum zum Ziel gesetzt, diese europäische Perspektive zu einem Schwerpunkt der Arbeit zu machen. Vom Küchenkabinett zum Spitzenverband Im Jahr 1981 wurde formuliert, der Kulturrat solle ein „Dachverband der Dachverbände“ werden. Jetzt, zwei Jahrzehnte später, ist er der anerkannte Spitzenverband der Bundeskulturverbände. Der Kulturrat ist ein Zusammenschluss von Verbänden, aber er lebt von den Menschen, die sich in ihm engagieren. Er existiert durch ihr Engagement, durch ihre Solidarität, durch ihren Willen, gemeinsam etwas zu gestalten. Den Unterlagen ist zu entnehmen, dass sich in den ersten Jahren immer wieder dieselben Leute in den unterschiedlichen Zusammensetzungen trafen. Den Sprecherratssitzungen gingen Abende im Haus von Karla Fohrbeck voraus, in denen, in Offenheit und mit Respekt voreinander bis in die tiefe Nacht diskutiert wurde. Diese Zeiten des „Küchenkabinetts“ sind vorbei. Neue Verbände, neue Menschen kamen dazu beziehungsweise lösten die alten Funktionsträger ab. Ein funktionales Verhältnis zum Kulturrat hat sich entwickelt. Der Dachverband formiert sich. Was ist der Deutsche Kulturrat? Mit dieser Frage begann vor einigen Jahren die Selbstdarstellungsbroschüre des Deutschen Kulturrates. In der Broschüre wurde ausführlich beschrieben, was der Deutsche Kulturrat alles nicht ist, nämlich keine Lobby im herkömmlichen Sinne und auch kein Verband. Der Deutsche Kulturrat wurde als Forum beschrieben, in dem verschiedene Positionen debattiert werden konnten, ohne einen Anspruch auf Verbindlichkeit. Ob die damalige Beschreibung, was der Deutsche Kulturrat alles nicht ist, bereits ausgereicht hat, um sich ein Bild davon machen zu können, was der Kulturrat ist, ist im nachhinein nicht mehr entscheidend. Fest steht, dass das Profil des Deutschen Kulturrates nach seiner Konstituierung als Verein, vor erst sechs Jahren, deutlich geschärft werden konnte. Dennoch, es ist und es bleibt so, der Kulturrat kann nur so gut sein, wie die Menschen, die sich in ihm engagieren, die ihn tragen. Von ihrer Solidarität, von ihrer Fähigkeit und ihrer Bereitschaft über den Tellerrand des eigenen Bereiches, der eigenen Sektion zu schauen, hängt es ab, ob der Kulturrat erfolgreich bleiben wird: Als Lobby für die Kultur!
Print-Rubriken
Unterrubrik