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Vom Pionier der „Raummusik“

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Henry Brant: Music for Massed Flutes. The New York Flute Club
New World Records 80636-2

Henry Dreyfuss Brant, ein drahtiges Männlein von 93 Jahren, hat sie alle persönlich gekannt: Edgar Varèse und George Antheil, Aaron Copland und viele andere Komponistengrößen der USA. Wenn der kauzige Sonderling, der 2002 den Pulitzer Prize für seine eigenwillige Musik gewann, mit tiefer Stimme und verschliffenem Akzent erzählt, werden Erinnerungen an ein ganzes Jahrhundert wach: Wie er 1929 mit seiner Familie von Montreal nach New York übersiedelte, sich während der großen Depression in Nachtclubs mit Jazz durchschlug und für die Hollywoodstudios in Los Angeles Filmmusik orchestrierte. Oder später an der Columbia University und der Juilliard School in New York lehrte. Und seit den 1950er-Jahren einen Kompositionsstil entwickelte, der ihn zum Pionier der „Spatial Music“ machte, einer „Raummusik“ mit unterschiedlichsten, weit voneinander im Raum postierten Instrumental- und Vokalgruppen, die oft mehrere Dirigenten erforderte. „Orbits“, ein Stück für Sopran, Orgel und 80 Posaunen findet sich da ebenso wie die 1984 aufgeführte gewaltige Freiluft-Sinfonie „Fire in the Amstel“ in den Grachten Amsterdams, mit 100 Flöten, Jazz-Schlagzeugern, Glockenspielen, Blechbläserbands und Drehorgeln.

Gerne erkundet Brant auch den Klangreichtum einer ganzen Instrumentenfamilie, etwa der Flöte. Die jüngst erschienene CD nun versammelt höchst originelle Flötenstücke aus allen Lebensphasen Brants, die keiner standardisierten Form folgen und zeigen, dass dieser phantasievolle Einzelgänger in jedem Musikstil zu Hause ist: Ghosts and Gargoyles von 2001 lässt immer wieder Anklänge an Palestrina geisterhaft-klangschön aufscheinen, und die auratische Mass in Gregorian Chant for Multiple Flutes (1984) nach Melodien aus dem „Graduale Romanum“ umhüllt den Hörer antiphonal mit Unisono-Fragmenten und deren fein verästelten Auflösungen. In einem frechen Stilmix aus Jazz und Jahrmarkt präsentiert sich schließlich „Angels and Devils“, eine quirlige Seminararbeit des 18-Jährigen von 1931. Vibrierend und hellwach, mit entspannter Konzentration auf die eingestreuten kontemplativen Ruheinseln und mit dabei hörbarer Freude am oft überdrehten Spielwitz Brants, agieren die bis zu 20 Flötisten vom „The New York Flute Club“. Dieses Flöten-Ensemble, gegründet 1920 und damit fast ebenso betagt wie der 1913 geborene Henry Dreyfuss Brant, erweist sich als würdiger Interpret dieses „zweitältesten lebenden Komponisten der Vereinigten Staaten, nach Elliott Carter“.

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