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Vom Tiger zum Bettvorleger

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JeKi wird zu JeKits – ein Kommentar
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Vollmundig verkündete im Jahr 2006 der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers: „El Sistema können wir auch!“ So wurde JeKi als starker Tiger der musikalischen Chancengerechtigkeit geboren und gilt seitdem als deren Inbegriff in fast allen Bundesländern.

Endlich sollte jedes Kind die Chance bekommen, ein Instrument zu lernen, bei Bedarf kostenfrei und das über die gesamte Grundschulzeit und in ganz NRW. Doch die schöne Utopie wurde von der Realität einer dauerhaften Unterfinanzierung eingeholt, und so blieb JeKi lange Jahre auf das Ruhrgebiet beschränkt. Nun aber setzt die grüne Landesregierung endlich um, wovon Rüttgers träumte: die Ausweitung der musikalischen Chancengerechtigkeit auf ganz NRW unter dem neuen Namen JeKits. Allerdings existiert die neue Chancengerechtigkeit nur noch für Kinder an ausgewählten Schulen und dauert nicht mehr vier, sondern nur noch zwei Jahre.

Die Kosten für Sozialermäßigungen, sofern es überhaupt noch welche gibt,  werden künftig den ohnehin schon verarmten Kommunen aufgebürdet. So endet der starke Chancen-Tiger „JeKi“ als Bettvorleger. Und wie schon bei JeKi gibt es auch für JeKits kein Konzept, kein Curriculum, keine Einbeziehung der Kompetenz der Lehrkräfte. Apropos Lehrkräfte: geschätzte hundert Vollzeitstellen werden vermutlich wegfallen. Sollen die Lehrer doch umziehen, dorthin, wo gesungen und getanzt wird. Befristet natürlich. Mehrweglehrer sind effizient. Das bisschen Singen und Tanzen werden die doch wohl hinkriegen. Die JeKi-Unterrichtsmaterialien können sie ja einfach wegschmeißen und sich neue ausdenken. Trotz solcher kleinen Verluste sind Projekte immer noch billiger als regelmäßiger Musikunterricht.

Dafür bräuchte man nämlich viel teurere festangestellte Schulmusiker, die man nicht einfach so nach ein paar Jahren rausschmeißen kann. Und ob die Schulmusiker nicht sogar schlechter tanzen und singen können als die Musikschullehrer, weiß man auch nicht so genau. Bildungsqualität ist schließlich wichtig. Außerdem ist es viel demokratischer, wenn Schulen sich aussuchen können, was für sie am besten ist, und sich darum bewerben müssen. Dann muss sich endlich auch mal das ganze Kollegium Gedanken darüber machen, wodurch die Kinder die beste musikalische Bildung bekommen. Und wenn JeKits dann in ein paar Jahren auch vorbei ist, ist natürlich nicht die Ministerin schuld, sondern die Kommunen. Denn jede Kommune kann schließlich frei entscheiden, was sie finanzieren will. Was müssen die statt JeKits auch lieber verrottete Straßen sanieren.

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