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Von einer, die auszog, einen Wettbewerb zu sehen

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Ein kleines „Jugend musiziert“-Märchen &#183
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Es war einmal zu Pfingsten 2005 beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. Als langjähriger Fan des Wettbewerbs verbrachte ich auch in diesem Jahr einige Pfingsttage damit, Wertungen und Konzerte zu erleben und daneben die einzigartige Atmosphäre aus Freude und Anspannung, Erwartungshaltung und Konzentration, Ernsthaftigkeit und Spaß zu schnuppern, die von den teilnehmenden Jugendlichen stets ausgeht.

Das Wettbewerbsprogramm versprach einiges, die Auswahl fiel schwer. Ich wandte mich erst einmal in die städtische Konzerthalle, wo die Wertung der „Besonderen Besetzungen“ stattfand. Neben mich setzte sich in letzter Minute ein junger Mann von etwa 17 Jahren. Die Türen gingen zu, das Ensemble trat auf die Bühne. Der junge Mann erstarrte und fragte mich entsetzt, ob denn hier jetzt nicht die „Four Clogs“ auftreten sollten. Nein, antwortete ich, wahrscheinlich meine er die Wertung „Besondere Besetzungen Rock- und Popmusik“, die meines Wissens im Saal nebenan durchgeführt werde. Hier gehe es um klassische und romantische Ensemblemusik. Der junge Mann suchte nach einem Fluchtweg, aber da wir in der Mitte der Stuhlreihe saßen, der Saal gut gefüllt war und die Musiker auf der Bühne soeben das Stimmen beendet hatten, hatte er keine Chance. 20 Minuten lang musste er sich nun das Beethoven-Septett in Es-Dur anhören. Ich verteilte meine Konzentration gleichmäßig auf die Musik und meinen Sitznachbarn. Offenbar hatte er sich mit seinem Schicksal abgefunden und brachte dem Geschehen auf der Bühne ein wenig Interesse entgegen. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Langeweile zu Verblüffung bis zu echter Spannung. Am Schluss sagte er zu mir: „Das ist ja richtig geile Musik“ und blieb sitzen, um sich nun auch noch das Klarinetten-Quintett von Brahms anzuhören.

Danach war Wertungspause, und wir begaben uns gemeinsam in den Nachbarsaal. Hier verlor ich meinen neuen Bekannten schnell aus den Augen. Der Saal war brechend voll, erstaunlich viele junge Menschen mit Geigen-, Cello- und Posaunenkästen saßen im Zuschauersaal. Auf der Bühne eine Schall- und Lichtanlage, eine vierköpfige Rockband spielte soeben ihr Wertungsprogramm. Der Frontsänger wandte sich mit seinem Mikrofon an das Publikum, begrüßte es und lud zum Mitsingen ein. Die jungen Zuschauer, die sich vielleicht soeben selbst der Jury in einer Solo- oder Ensemblewertung präsentiert hatten, applaudierten begeistert. Bei der nächsten Gruppe fiel der Applaus deutlichgeringer aus: die Zuschauer wussten die Leistungsunterschiede durchaus zu würdigen.

Irgendwann wurde es mir zu laut, und ich verließ den Saal. Jetzt machte ich eine kleine Pause und wollte mir die Stadt ansehen. Am Marktplatz stieß ich auf eine Bühne, die mit dem mir wohlbekannten Logo gekennzeichnet war: Die Jugend musizierte auch hier. Gerade spielte eine Jazzband, die – so ging es aus dem herum liegenden Programmzettel hervor – im letzten Jahr einen ersten Bundespreis gewonnen hatte. Dann wurde ich aufmerksam: der Zettel verhieß als nächsten Programmpunkt den „Cello-Clown“ – speziell für Kinder. Und tatsächlich hatten sich schon diverse Eltern mit ihren Kindern auf den Bänken vor der Bühne niedergelassen. Auftritt des Clowns, nicht älter als 20 Jahre; es handelte sich um eine junge Cellistin. Sie fragte die Kinder, ob sie ein Cello kennen, erklärte ihnen, dass das Instrument ihr Clowns-Werkzeug sei und begann zu spielen. Dabei passierten ihr allerlei Missgeschicke, die sie den Kindern auf clowneske Art erklärte. Am Schluss spielte sie den „Sterbenden Schwan“, die Kinder gaben keinen Laut von sich. „Das möchte ich auch lernen“, erklärte eine 7-Jährige anschließend ihrem Vater, der noch nicht wusste, was da auf ihn zukommt. Auch die Cellistin war vor zwei Jahren Preisträgerin – in der Wertung „Musikvermittlung“. Das machte mich neugierig, und ich ging in den Rathaussaal, der in diesem Jahr für diese Wertung bereit stand.

Hier, so erklärte der Jury-Vorsitzende den Zuhörern, ginge es darum, ein musikalisches Programm auf originelle oder ansprechende Art und Weise dem Publikum zu vermitteln, sei es durch eine gelungene Moderation, durch Einsatz von weiteren Medien, durch schauspielerische Einlagen oder anderes. Ich war begeistert und blieb bis zum Wertungsende sitzen, weil die Darbietungen an Originalität und Abwechslung nichts zu wünschen übrig ließen.

Am Abend saß ich im Preisträgerkonzert, das ich mir nach den Erfahrungen der letzten Jahre auf keinen Fall entgehen lassen wollte. Die große Bühne bot Raum für den Aufbau zweier Rockbands, ein klassisches Schlagzeugensemble und zwei Flügel. Während des Konzerts zeigte sich, dass daneben noch genug Platz war für eine Musical-Tanz-Darbietung und für den Vortrag des ersten Bundespreisträgers in der Wertung „Musikvermittlung“, der sich ein eigenes kleines Bühnenbild mitgebracht hatte. Das Konzert dauerte – zugegeben – ein wenig zu lang. Aber ehrlich gesagt: Ich hatte es nicht wahrgenommen, zu gefangen war ich von der Unterschiedlichkeit der Darbietungen und von der künstlerischen Qualität, die wie immer zuverlässig alle Beiträge auszeichnete. Das Publikum raste – und es ließ sich nicht mehr erkennen, wer von den Jugendlichen im Zuschauerraum an welcher Wertung teilgenommen hatte.

Ein kleines „Jugend musiziert“-Märchen – mit einigen heute schon realen Bestandteilen. Der Wettbewerb musste immer wieder den Spagat vollziehen zwischen der Notwendigkeit, die Marke „Jugend musiziert“ nicht zu verwässern, und der nötigen Offenheit für neue Entwicklungen. Dieser Spagat ist häufig gelungen. Nicht nur das: Oft gingen von hier Impulse aus, die entscheidende Entwicklungen mit gestalteten. In diesem Sinne könnte das Märchen so (oder ganz anders?) schon bald Wirklichkeit werden.

Barbara Haack

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