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Von hoher Lust und tiefer Schmach

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David Alden inszeniert Händels Ariodante an der Münchner Staatsoper
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Wenn der Bayerischen Staatsoper nunmehr seit gut sechs Jahren ein Engländer in der Intendanz vorsteht, so ist es nur naheliegend, dass englisches Repertoire und insbesondere das des Barock einen vorderen Platz in der künstlerischen Auseinandersetzung einnimmt; der mit dieser Beschäftigung verbundene überwältigende Erfolg von Produktionen wie Giulio Cesare, Xerxes oder nun Ariodante führt zur naheliegenden Frage nach den tieferen Ursachen für diese Münchener Händel-Renaissance. Die unglaublich produktive Überfülle von Händels Opernschaffen war in der musikalischen Rezeptionsgeschichte kein Garant für einen auch zeitlich anhaltenden Erfolg dieser Werke. Dass Händel im Bewusstsein der Musikwelt dennoch einen vorderen Platz eingenommen hat, ist zum großen Teil seinen national-patriotischen Werkschöpfungen zuzuschreiben, die das 19. Jahrhundert überdauerten. Die Auseinandersetzung mit einer Barockmusik, die im Gegensatz zu seinem großen Zeitgenossen Bach, so gar keine tiefgründig metaphysische Verankerung in sich birgt, wurde lange Zeit der Musikwissenschaft überlassen. 

Wenn man am Anfang eines neuen Jahrhunderts auf die vorangegangenen zurückblickt, sollten sich interessierten Zeitgenossen Fragen nach der Kontinuität, aber auch den Veränderungen historischer Vorgänge stellen. Spielen sich geistig kreative Prozesse in mehr oder weniger parallelen Wiederholbewegungen ab oder ist das Neue das Kontinuum? Dass diese Fragestellung auch für die Musikgeschichte und im Besonderen für die der Opernrezeption von Interesse sein kann, zeigt die Aufführungspraxis der jüngeren Vergangenheit, zeigt das große Publikumsinteresse an bestimmten Opernformen. Wenn der Bayerischen Staatsoper nunmehr seit gut sechs Jahren ein Engländer in der Intendanz vorsteht, so ist es nur naheliegend, dass englisches Repertoire und insbesondere das des Barock einen vorderen Platz in der künstlerischen Auseinandersetzung einnimmt; der mit dieser Beschäftigung verbundene überwältigende Erfolg von Produktionen wie Giulio Cesare, Xerxes oder nun Ariodante führt zur naheliegenden Frage nach den tieferen Ursachen für diese Münchener Händel-Renaissance. Die unglaublich produktive Überfülle von Händels Opernschaffen war in der musikalischen Rezeptionsgeschichte kein Garant für einen auch zeitlich anhaltenden Erfolg dieser Werke. Dass Händel im Bewusstsein der Musikwelt dennoch einen vorderen Platz eingenommen hat, ist zum großen Teil seinen national-patriotischen Werkschöpfungen zuzuschreiben, die das 19. Jahrhundert überdauerten. Die Auseinandersetzung mit einer Barockmusik, die im Gegensatz zu seinem großen Zeitgenossen Bach, so gar keine tiefgründig metaphysische Verankerung in sich birgt, wurde lange Zeit der Musikwissenschaft überlassen. class="bild">Ariodante (Ann Murray); Foto: Wilfried Hösl

Wenn noch Anfang des 20. Jahrhunderts Romain Rolland von einer systematischen Nichtachtung von Händels Opern spricht, so lag dies sicherlich auch an der mehr als fragwürdigen Aufführungspraxis des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Nichts von alledem gilt für die jüngste Münchner Händeltradition. Die Koproduktion der Bayerischen Staatsoper mit der English National Opera und der Welsh National Opera bringt 265 Jahre nach ihrer Uraufführung einen Händel auf die Bühne, der uns den Komponisten auf der Höhe der Zeit zeigt. Es ist das große Können des amerikanischen Regisseurs David Alden, die Botschaft der Oper Ernst genommen zu haben: Das zeitlos Menschliche ist es, was die geniale Musik des großen Barockmeisters musikalisch-dramatisch versinnbildlicht. Da geht es um Liebe und Verrat, Vertrauen und Intrige; spielen Bösewichte Unschuldslamm, verirren sich Liebende in Zeit und Raum.

In einem an die Rosenkavalier-Welt erinnernden Ambiente (Bühne und Kostüme: Ian MacNeil) lässt der Regisseur den agierenden Personen einen großen Individualitätsfreiraum, der weit über die starre Statik barocker Opernschablonen hinausgeht und bereits auf das hinweist, was nur fünfzig Jahre nach Händels Ariodante die Musikwelt bewegen wird: Mozarts Operngenie.

Wenn der Schlüssel zu Händels Kunst die gute und richtig verstandene Aufführung ist, so liegt dieser in den Händen des in München vielfach bewährten Ivor Bolton. Es gelang ihm, das Ensemble des Bayrischen Staatsorchesters zu einer brillant präsenten Umsetzung zu führen, die jedem Vergleich mit hochspezialisierten Klangkörpern standhält. Hervorzuheben ist auch die gelungene Inszenierung der Balletteinlagen unter Michael Keegan-Dolan. Das Ensemble der Solisten (Umberto Chiummo, Joan Rodgers, Paul Nilon, Christopher Robson, Julie Kaufmann und James Anderson) verband technisch virtuose Könnerschaft mit künstlerisch einfühlsamem Teamgeist. Umjubelter Star des Abends war wieder einmal die als herausragende Händel-Interpretin bekannte Ann Murray, deren atemberaubende Koloraturkünste und tiefbewegende Schmerzenslyrik das Publikum in tosendes Staunen versetzte.

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