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Warum fern, wenn der Nachbar doch so schön

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Das Landesjugendorchester Baden-Württemberg reiste nach Polen
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Das Landesjugendorchester Baden-Württemberg (LJO) bereiste über Ostern zwei Wochen Polen. Während Jugendensembles allerorten gen Mexiko, Japan und Südafrika reisen, entdeckten die jungen Musiker des LJO die Geheimnisse des weitgehend unbekannten Nachbarn.

Das Landesjugendorchester Baden-Württemberg (LJO) bereiste über Ostern zwei Wochen Polen. Während Jugendensembles allerorten gen Mexiko, Japan und Südafrika reisen, entdeckten die jungen Musiker des LJO die Geheimnisse des weitgehend unbekannten Nachbarn.Dass die musikalische Arbeit bei einer Arbeitsphase und Konzertreise des Landesjugendorchesters Baden-Württemberg (LJO) im Vordergrund steht, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Dennoch sei betont, dass die Mitte April zurückgekehrten jungen Talente auf besonders gelungene Konzerte mit Werken von Humperdinck, Paganini und Mendelssohn zurückblicken können. Der erst 15-jährige Heidelberger Stefan Tarara, Solist des 1. Violinkonzertes von Niccolò Paganini, trägt an diesem Erfolg einen ganz gehörigen Anteil.

Das Besondere dieser Reise waren jedoch nicht nur die Konzerthäuser in Krakau oder Katowice, sondern die Kooperation mit zwölf polnischen Musikern im LJO-Alter, die das Orchester tatkräftig in allen Bereichen des Jugendorchesterlebens unterstützt haben...
Als erster großer Höhepunkt der erfolgreichen Zusammenarbeit von baden-württembergischen Musikschulen und gleichen Institutionen in Südpolen war diese Reise geplant und hat dieser Arbeit neue Initiative und Motivation beschert: begeistert durch den berauschenden Orchesterklang, gelenkt von der mitreisenden Delegation baden-württembergischer Musikschulvertreter unter Führung von Staatssekretär a.D. Heinz Heckmann.

Wie sehr die jungen Musikerinnen und Musiker von der deutsch-polnischen musikalischen Arbeit, der freundlichen Atmosphäre, und der Entdeckung des Nachbarlandes profitiert haben, liest sich auch zwischen den Zeilen des Artikels von Lina Böhme (Flöte) und Ursula Menne (Oboe): Unser Landesjugendorchester bereiste während der Osterferien zwei Wochen lang Südpolen. Zunächst erarbeiteten wir sechs Tage lang unser Konzertprogramm auf dem ehemaligen Gut der Familie von Moltke in Krzyzowa/Kreisau, wo heute eine internationale Jugendbegegnungsstätte eingerichtet ist.

Probesprachen waren Deutsch, Polnisch und Englisch. Geprobt wurde zunächst mit Dozenten in Stimmproben, nach drei Tagen war Dirigent Christoph Wyneken alleiniger Herr über Bläser, Streicher und Schlagzeug. Er trainierte uns in humorvoller und effektiver Arbeit für die bevorstehenden Konzerte. Auch „Orchesterpapa“ Sönke Lentz ließ diese Zeit durch seine perfekte Organisation zu einem vollen Erfolg werden. Ein Schwall kaltes Wasser weckte uns, als wir am ersten April frühmorgens um neun zur Probe tappten. Bevor wir die Hintergründe des Anschlags ergründen konnten, waren die drei polnischen Kontrabassisten schon über alle Berge. Bei der darauffolgenden Wasserschlacht erfuhren wir, dass es ein polnischer Brauch ist, sich am Ostermontag nass zu spritzen. Die zwölf polnischen Streicher, alle aus der Region Bielsko-Biala, brachten uns das Land viel lebendiger näher, als es eine reine Konzertreise je vermocht hätte, indem sie uns zum Beispiel auch die „wichtigsten“ polnischen Ausdrücke lehrten.

Abends, wenn wir unsere strapazierten Rücken und Lippen beim Feiern erholten, beglückten wir die Einheimischen mit unserem neuen Vokabular. Auch der allmittagliche Sport trainierte wechselseitig polnische und deutsche Redegewandtheiten.

In den Mittagspausen pilgerten wir an Hühnern und Hunden der bäuerlichen Gemeinde vorbei zum einzigen Laden des winzigen Dorfes. Dort ließen wir den Absatz an Süßigkeiten rasant in die Höhe schießen, bevor wir wieder in den frisch renovierten Gutshof mit Schloss zurückkehrten. Hier hatte schon der berühmte „Kreisauer Kreis“ getagt, eine Widerstandsgruppe gegen das Nazi-Regime.

Während unserer Probenwoche dort vertieften wir unser Wissen über die Hitler-Zeit in Polen mit Filmen, die uns auf den bevorstehenden Auschwitz-Besuch vorbereiteten. In Auschwitz und Birkenau fühlten wir mit allen Sinnen, wie schrecklich das ehemalige Konzentrationslager auch heute noch ist. Da niemand von uns diese größte Massenvernichtungsstätte gekannt hatte, gingen wir alle mit zahlreichen neuen Eindrücken und sehr nachdenklich nach Hause.

Unsere Konzerte bildeten einen großen Kontrast zu diesem furchtbaren Abschnitt der deutsch-polnischen Geschichte. Das Publikum in Katowice, Bielsko-Biala und Krakau nahm uns mit großer Herzlichkeit auf. Auch wenn wir Probleme hatten, uns selbst in Polens Kulturhauptstadt Krakau auf Englisch zu verständigen (sogar in den touristenintensiven Tuchhallen), machten wir uns in den Konzertsälen mit dem schottischen Charme unserer geliebten dritten Sinfonie von Mendelssohn auch ohne Worte verständlich.

Nach diesen wunderbaren vierzehn Tagen sitzen wir nun alle wieder in unseren Schulen und Studienorten verteilt und sehnen uns zurück ins Landesjugendorchester, in dem sich tatsächlich alle, wie es Dirigent Wyneken formuliert hat, „wie in einer großen Familie“ fühlen.

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