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Die verschwenderische Fülle afrikanischer Musik deckt sich nicht immer mit den Hörerwartungen europäischer Ohren. Foto: Julia Schölzel
Die verschwenderische Fülle afrikanischer Musik deckt sich nicht immer mit den Hörerwartungen europäischer Ohren. Foto: Julia Schölzel
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„We are one people“

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Zur Music in Africa Conference For Collaborations, Exchange And Showcases in Accra, Ghana
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Eine Kuhglocke, eine Cowbell, die kraftvoll angeschlagen wird, dazu polyrhythmische Sounds der E-Gitarre. Eine Mähne aus Dread-Locks wirbelt im Gegenlicht, weiß geschminkte Gesichter verschwinden gespenstisch im Bühnennebel. Und dann wird gegen Mitternacht in Ghanas Hauptstadt Accra während des ersten Konzerts der Acces Konferenz trotz schweißtreibender Hitze getanzt, gejohlt, gegrölt: „Wir sind eine Welt, wir sind ein Volk, alle Völker sind eins, egal ob Weiße oder Afrikaner, wir gehören zusammen“, beschwört der Drummer Richard Siko der Heavy Metal Band Arka‘n aus Togo das Publikum und möchte mit seinem Ganzkörpereinsatz am Schlagzeug die Welt wachrütteln. Dröhnende Beats und filigrane Ethnoklänge verschachtelt die einzige Metalband aus Lomé messerscharf in elektrisierender Maßarbeit ineinander und macht sofort neugierig, was während der dreitägigen Konferenz noch zu hören sein wird.

Wer nach Accra zur Musikkonferenz Acces gereist war (28. bis 30. November 2019), um europataugliche Ethnosounds im getrommelten Dritte-Welt-Fair-Trade-Modus zu erleben, konnte sich die Ohren gründlich ausputzen lassen. 13 Bands aus Ländern wie Ghana, Mali, Südafrika, Simbabwe und Angola präsentierten lustvoll, was sich aus Funk, Soul, Afrobeats, Techno, westafrikanischem Highlife, Rock und Pop alles machen lässt. Um diese verschwenderische Fülle Afrikas zu kanalisieren, Künstler/-innen und das zerstreute kontinentale Musikbusiness zu vernetzen, hat vor acht Jahren die in Südafrika angesiedelte Music in Africa Foundation mit Unterstützung der Siemens Stiftung und des Goethe-Instituts eine Online-Plattform gestartet, die mittlerweile als die umfassendste Drehscheibe für die afrikanische Musikbranche fungiert und seit 2017 jährlich zu einer Konferenz einlädt. Denn so üppig die musikalischen Ressourcen sind, so mager sind die Erträge für afrikanische Musiker/-innen.

Verschwindende 0,8 Prozent der globalen Einnahmen durch Rechteverwertung landen in Afrika. Noch größer als das Gefälle zwischen der westlichen Welt und Afrika sind allerdings die Hürden, die das Touren auf dem eigenen Kontinent ausbremsen. Der ghanaische Highlife-Gitarrist Kyekyeku, der einen fulminanten Auftritt in Accra hinlegte und in Europa bereits auf diversen Festivals bewundert wurde, möchte ebenso gerne „seinen“ Kontinent erobern, aber die Distanzen in Afrika seien einfach riesig und es existierten wenig direkte Flüge, zum Beispiel von Ghana nach Niger, oder in den Senegal oder auf die Kap Verden, da ginge es dann halt über Nordafrika oder sogar Portugal. Ein Dschungel aus komplexen Einreisebestimmungen innerhalb der afrikanischen Staaten, nicht verlässlich arbeitender Verwertungsgesellschaften, kaum staatlicher Kulturförderung, empfindlich hoher Flugkosten, getoppt von einem stockenden Bankentransfer, in dem die Gagen der Musiker/-innen auch mal versanden, erstickt das Durchkommen der eigenen Musikkultur. Initiativen wie die Acces der Music in Africa Foundation schlagen in dieses undurchdringliche Gehölz Schneisen der transparenten Kommunikation und der nachhaltigen Strukturen. Gut ein Dutzend Panels, Diskussionsrunden und Workshops erwarteten die über 1.000 Teilnehmer aus 40 Staaten, unter ihnen auch Isaac Filson, der in Accra seit eineinhalb Jahren die Streamingplattform PlayAfrica mit fast einer Million afrikanischer Songs und 15.000 aktiven Nutzern betreibt. Sein Wunsch ist es, sich auf dieser Konferenz mit Leuten anderer afrikanischer Staaten verstärkt zu vernetzen und zu lernen, wie es in anderen Ländern abläuft, welche technologischen Möglichkeiten es im Westen gibt, von denen die Afrikaner profitieren könnten, um die afrikanische Musik und die Musik aus Ghana besser zu präsentieren.

Auch die Band Blue Lamp Africa aus Südafrika vom Stamm der Limpopo träumt unverdrossen vom Durchbruch, kontinental wie global. Der Weg sei noch weit, das junge Quartett verwaltet sich momentan komplett im Selbstmanagement. In ihren Pink Floyd-getränkten Rockballaden, die anrührend warm mit den indigenen Klängen ihrer Stammeskultur auf der Bühne verschmolzen, schwärmten die Vier wie ihre Metalkollegen Arka’n von der Liebe für die Welt, vom Schutz des Universums und vom Einssein der Menschheit. Bereits während der Acces-Konferenz bekam man dafür ein gutes Gefühl. Ein Gefühl des gegenseitigen Respekts, der Neugier und des Aufbruchs. Dafür sorgten auch acht junge Frauen aus Ghana, Nigeria, Ägypten und Südafrika, die backstage das Konzertmanagement übernommen hatten. Sie sind Teil des dreijährigen Pilotprojekts „gender@workprogramm“, das in Accra gestartet wurde, um Frauen, die auf dem afrikanischen Musikmarkt unterrepräsentiert und finanziell deutlich benachteiligt sind, umfassend zu schulen.

„Es wird noch eine Weile dauern, bis die Leute verstehen, dass man als Frau ganz selbstverständlich Musik macht und dabei einen ganz ordentlichen Lebenswandel hat. Viele haben die Vorstellung, dass sie dich als Sängerin durch die Betten schicken können, um Geld zu verdienen. Sie haben noch nicht kapiert, dass das ein Beruf ist“, erzählt die Sängerin Yaa Yaa freimütig, eine der lediglich vier Performer/-innen, die in Accra auf der Bühne den Ton angaben. In Ghana ist die 29-Jährige eine gefeierte Größe und war bereits mehrfach für die Ghana Music Awards nominiert. Wie eine Raubkatze ließ sie ihre soulige Stimme durch die Register gleiten, Beine, Hüfte, Oberkörper, Arme, alles an der zierlichen Person war in Bewegung. Eine exzellente Perfomance, das Publikum war nicht zu halten.

Diese beneidenswerte Vitalität ist es, die den Funken während der Acces-Konferenz überspringen und den Traum eines Dialogs auf Augenhöhe nicht als naive Illusion zerplatzen ließ – bevor der alte Alptraum der Ausbeutung wiederbelebt wird, wie es die Vorsitzende der Music in Africa Foundation Maimouna Dembélé realistisch befürchtet: „Machen wir uns nichts vor. Die Europäer werden einfach kommen und uns sagen, was wir zu tun haben. Jetzt ist es wichtig zuzuhören, was die Afrikaner zu sagen haben. Schließlich leben sie hier auf dem Kontinent, sie kennen die Realitäten. Wenn man in ein Land fährt, muss man zuhören. Nur so können sich die Dinge ändern.“

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