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Berlioz als Popkomponist: Szene aus der Salzburger Benvenuto-Cellini-Aufführung.
Berlioz als Popkomponist: Szene aus der Salzburger Benvenuto-Cellini-Aufführung.
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Wenn Unwissen Oper transportieren soll

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Eine Dauer-Diskussion findet neue Anlässe in Bonn und Berlin · Von Gerhard Rohde
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Früher stritten Komponisten und Dichter über den Vorrang von Wort und Ton in der Oper – siehe „Capriccio“ von Richard Strauss, dies nur als ein Beispiel. Heute streiten Komponisten und Dichter oft in einer Art Opern-Entente cordial wider das Regietheater, genauer: das Regisseurstheater. Dieses bemächtigt sich vor allem des tradierten Repertoires, scheut aber auch nicht vor schöpferischen Novitäten zurück. Zwei Beispiele werden in dieser Ausgabe ausführlicher beschrieben: Die Uraufführung von Hans Werner Henzes „Phaedra“ an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und die seltsame Produktion von Moritz Eggerts Oper „Freax“ am Bonner Theater. Dazu unsere Berichte auf den Seiten bis . Die beiden Fälle könnten Anlass sein, einmal mehr über das Thema Oper und Regisseurstheater zu diskutieren.

Regie, früher auch Spielleitung genannt, hat es in der Oper schon von Anfang an gegeben. Schließlich mussten Sänger und Tänzer ja erfahren, wann und wo sie aufzutreten hätten. Das Opern-Theater, das man gern als Regietheater verteufelt, erhitzt die Gemüter allerdings erst seit... ja seit wann denn eigentlich? Richard Wagner hatte schließlich selbst sehr konkrete Vorstellungen von „seiner“ Szene, auch wenn er mit „seinem“ ersten „Ring des Nibelungen“ anno 1876 in Bayreuth höchst unzufrieden war. „Beim nächsten Mal machen wir alles anders“, soll er gesagt haben. In einer Zeitmaschine könnte man vielleicht via Computersimulation seine Meinung über den „Jahrhundert-Ring“ von Patrice Chéreau und Pierre Boulez anno 1976 einholen? Das würde sicher sehr spannend sein. Nun kommt man beim Thema Oper und Regisseurstheater mit pauschalen Wertungen nicht weiter. Man muss schon bereit sein zu differenzieren, vor allem aber auch einen gewissen Überblick über die Totale, der – um es einmal zeitlich einzugrenzen – Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu gewinnen. Wieland Wagners Bayreuther „Entrümpelungen“ empörten von 1951 an konservative Wagnerianer. Sie vermissten die gewohnten „Bilder“, stattdessen blickten sie in karge Bühnenräume voller ungewohnter Lichtspiele, wobei sie übersahen, dass schon Adolphe Appia, wenn auch nur in Skizzen, in den Zwanziger Jahren solche Licht-Architektur-Szenen für Wagners Musikdramen konzipiert hatte.

Das Optische einer Inszenierung umfasst in der Regel auch nur einen Teil-
aspekt einer neuen szenischen Interpretation. Diese kann, im scheinbaren Kontrast zur tradierten Aufführungsgeschichte, durchaus andere Aspekte des Werkes betonen, Dinge, die früher vielleicht nicht so interessant erschienen, stärker in den Vordergrund rücken, ohne die Grundkonzeption in Frage zu stellen. Was jedoch nicht zulässig sein sollte: Die Formate des Operndramas, der Figuren, deren tragischer Fallhöhen, so zu verkleinern bis Wagners Menschenpaare schließlich wie Heimchen am kleinbürgerlichen Küchentisch völlig unglaubhaft große Klagelaute ausstoßen. Das Geniale an Chéreaus Transposition des Wotan-Germaniens ins neunzehnte Jahrhundert – wo es philosophisch-thematisch ohnehin hingehört – war doch, dass die Figuren ihr großes dramatisches Format behielten, bereichert durch eine lebendige schauspielerische Gestik und eine höchst differenzierte Psychologisierung. Chéreaus „Ring“ bewies, dass die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts mit seinen Erfindungen, Überhebungen, Anmaßungen und schließlich dem Absturz in den Menschheitsuntergang des Weltkriegs quasi mythische Katastrophendimensionen besaß.

Diese Qualitäten eines Chéreau erreichten vor, neben und nach ihm leider nur wenige Regisseure: Ruth Berghaus natürlich, auch Harry Kupfer, Götz Friedrich, in anderen Operngenres Jean-Pierre Ponnelle – es gäbe noch den einen oder anderen Namen mehr. Doch auch da schon finden sich oft und eher noch schleichend Verkleinerungen, Banalisierungen, nichtsbringende Pointierungen, Verwitzelungen. Einen vorläufigen Tiefpunkt des Regisseurs-Operntheaters boten die diesjährigen Salzburger Festspiele mit einer flachköpfigen „Freischütz“-Inszenierung und einer völlig überdrehten Pop-Show für Berlioz’ „Benvenuto Cellini“ (siehe unser Bild oben). Manche Leute fanden das großartig, aber wenn man sie (verstellt) fragte, worum es denn in der Geschichte ginge, wussten sie keine Auskunft. Willst du Schau, geh’ in die Oper. Auf diesem Niveau ist inzwischen aber nicht nur das Publikum angelangt, auch viele Regisseure, die sich vornehmlich aus Schauspiel, Film oder der Popszene rekrutieren, scheinen auf der Opernbühne vor allem ihren privaten Spaß zu inszenieren. Und man fragt sich oft schon mit leiser Verzweiflung, ob es denn in den Opernhäusern keine ästhetischen Qualitätskriterien mehr gibt, um diesen galoppierenden Niveauverlusten Einhalt zu gebieten.

Natürlich, wenn, um auch einmal auf die Moderne zu kommen, ein Intendant einen zwar etwas frechen, aber insgesamt doch eher zur Konvention neigenden Komponisten wie Moritz Eggert mit einem „wilden“ Szeniker wie Christoph Schlingensief kombiniert und sich dann wundert, dass das nicht funktioniert, dann muss man auch Intendanten der Ahnungslosigkeit zeihen. Im übrigen scheint einem die Bonner Affäre völlig überzogen. Da wird eine Wichtigkeit suggeriert, die das Unternehmen selbst bei Gelingen nicht gehabt hätte.

Die entscheidenden Opernwerke der letzten Zeit, die in der Lage sind, für das Musiktheater neue ästhetische Wege zu weisen, verbinden sich mit Namen wie Beat Furrer („Fama“), Adriana Hölszky („Tragödia“, eine Oper ohne Akteure), Olga Neuwirth, Matthias Pintscher („L’Espace dernier“), Georg Friedrich Haas, Helmut Oehring, Klaus Lang („Perser“), Jörg Widmann oder José M. Sanchéz-Verdu. Vor ihrer Zeit stehen natürlich die Namen eines Nono, Berio, Schnebel oder Kagel. In ihren Werken für das Musiktheater geht es nicht darum, ob Krüppel von Krüppeln oder von Nicht-Krüppeln, die Krüppel mimen, dargestellt werden.

Apropos Henze und „Phaedra“. Es gab einmal die gute Sitte, bei der Uraufführung eines Werkes nicht sogleich mit einer neuen Interpretation und abweichenden Bebilderung zu beginnen, sondern in etwa die Vorstellungen des Komponisten und Librettisten zu akzeptieren. Besonders ein Hans Werner Henze hätte darauf einen Anspruch.

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