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Makiko Goto und ihre Koto, eine japanische Zither. Foto: M. Maspaitella/DLF
Makiko Goto und ihre Koto, eine japanische Zither. Foto: M. Maspaitella/DLF
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Wie der west-östliche Diwan klingt

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Das Festival „Forum Neuer Musik“ im Deutschlandfunk
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Indonesisch aus dem linken, Niederländisch aus dem rechten Kanal. Das Zuspielband stoppt, in die Pause der Auslöseschlag des Dirigenten: Einsatz von Ensemble Gending. Gamelan-Klänge füllen den Sendesaal des Deutschlandfunk. Begegnung mit dem anderen Eigensein, wovon bereits Debussy so fasziniert war, dass er sich aufs eigene Anderssein besann, um es in „Voiles“, „Pagodes“, „Cloches à travers les feuilles“ Kunst werden zu lassen. Schöpfungen freilich für sein Instrument, für das Klavier. Wahrscheinlich hätte er nicht schlecht gestaunt, wäre er Zeuge des Abschlusskonzertes vom Forum Neuer Musik 2006 geworden, erklang hier doch ausnahmslos Gamelan-Musik der Gegenwart.

Deren Komponisten, Roderik de Man (geb. 1941) beispielsweise, sind entweder selbst indonesischer Herkunft oder beziehen sich wie Paul Bruinen (*1958) auf die niederländische Besatzung Indonesiens, an der sein Vater beteiligt war. Historische Konflikte, die aufgehoben sind in des Wortes dia-lektischer Bedeutung. Überwunden zwar, aber aufbewahrt in der Kunst, wenn de Man Gamelan-Geläut mit indonesischer und niederländischer Lyrik collagiert oder Bruinen in „Angstzweet“, „Angstschweiß“, abgedämpfte Schmerz- und Schreckensschreie aus dem Zuspielband von Kratzgeräuschen der Gamelan-Stachelgeige kommentieren lässt. „Begegnungen FernMittelOst“ sind, so scheint es, ohne ein Bewusstsein für Konflikt- und Widerspruchspositionen, ohne Kratzgeräusche also, nicht zu haben.

Nach altem Brauch haben die Spieler vor ihren Instrumenten Platz genommen, den Gongs, Gongspielen, Metallophonen, Felltrommeln. Pittoresk, wie das Arsenal die komplette Bühnenbreite des Kölner Sendesaals füllt. Doch die scheinbare Exotik wird gestört. Ensembe Gending spielt aus Noten, realisiert Partituren, bedarf somit der Zeichengebung, der Klangbalance eines Dirigenten. Was an drei Veranstaltungstagen in Porträt- und Ensemblekonzerten, in Klangperformance und Elektroakustik an musikalischen Akkulturationsprozessen Ost-West aufgedeckt wurde – hier hatte die „Acculturatie Oost West manifeste“ Gestalt angenommen. Gamelan, auf Bali und Java traditionell undirigiert, traf auf eine westliche, von der neuen Musik geprägte Ensemblekultur, ablesbar am gestaltungsbewussten Dirigat wie an der Biographie eines Jurrien Sligter, den jahrelange Erfahrungen mit Asko-Orchester, Asko-Ensemble und anderen zeitgenössischen Formationen verbinden.

„Begegnungen FernMittelOst“, diesjähriges Thema im Forum neuer Musik, fanden im Utrechter, auf zeitgenössische Musik spezialisierten Gamelan-Orchester ihr überzeugendes künstlerisches Schlussbild. Gelungener Schlusspunkt einer von Musikredakteur Frank Kämpfer initiierten Versuchsanordnung, die keine Trends und Tendenzen bedienen will, keine quotenträchtigen Megastars der Szene ins Programm hievt. Kleiner, jünger, auch in der Ausstattung bescheidener als andere Festivals rund um das zeitgenössische Komponieren, hat Kämpfer in Anspruch und Zuschnitt des von ihm kuratierten Mini-Festivals eine auf den ersten Blick wenig öffentlichkeitswirksame Position bezogen. Ein Forum Neuer Musik sieht er vielmehr in der Pflicht, Echolot zu sein für künstlerische Reaktionen auf Realverhältnisse, womit in diesem Festival-Zyklus die bekannten Auf- und Umbrüche in Asien gemeint waren.
Dass eine programmatische Offenheit stets die ganze Wirklichkeit spiegelt, liegt auf der Hand. So gewährte die intendierte Auslotung aktueller Komponiersphären asiatischer Regionen und Traditionen auch Einblicke in jenen globalen Krisenprozess, in dem sich die Akteure, mangels objektiver Kriterien, nur mehr darin unterscheiden können, in welchem Maß sie sich ihrerseits dieser Krise bewusst geworden sind. Die vom Hamburger Ensemble Intégrales vorgestellten Komponistinnen und Komponisten aus Kasachstan, Iran, Japan, China, Malaysia, Mongolei schienen davon jedenfalls noch einigermaßen entfernt. Auf der Basis eines europäischen Instrumentariums kam es zu mehr oder weniger dynamisch-motivisch ausdifferenzierten Geräuschmusiken, mit Verharrungstendenzen im Konventionell-Atmosphärischem. Östliche Herkunft und westliches Instrumentarium machen noch keine west-östliche Diwan-Qualität.
Ansätze dazu zeigten sich im Porträtkonzert, das dem in Kalkutta geborenen, in Köln beheimateten Computer-Komponisten Klarenz Barlow zum 60. Geburtstag gewidmet war. „Ludus Ragalis“ nennt Barlow einen Werkzyklus von „12 Präludien und Fugen für Tasteninstrumente“, worin Bach-Schuss- und Raga-Kettfäden zu einem seltsam schwirrenden Gebilde mit eigenartig geformten und rhythmisierten Fugen-Themen zusammentreten. Ein in den 70er-Jahren begonnenes kompositorisches Akkulturationsunternehmen, dessen erlesene Schrulligkeit einen Hauch von Hafis-Heiterkeit verströmte.

Auch Barlows „Variazioni e un pianoforte meccanico“ waren augenscheinlich lustig gemeint. Dass diese am Ende, wenn auch unfreiwillig, die Antiquiertheit des Interpreten demonstrierten, kam so: Ein von Barlow programmiertes Selbstspielklavier drängte sich in die Beethoven-Interpretation des Pianisten, alias Barlow, um diesen schließlich ganz zu verdrängen. Ein Gag. Als der sich verlaufen hatte, Barlows Automat aber gar nicht mehr aufhören wollte, breitete sich im Saal ob solcher Selbst-Abdankung der Kunst Ratlosigkeit aus. Auf hohem technischem Niveau, doch fern jeder Technologieverfallenheit, agierten Makiko Goto und Jeremias Schwarzer. Das Duo kombiniert die Koto, die japanische Zither und die europäische Blockflöte. Eine geniale Ost-West-Verbindung, die dank der Integration von archaischen Ritualmusiken in ein zeitgenössisches Programm die tönende Seelenverwandtschaft von Alter und Neuer Musik frei legte. Wie sich ein energiegeladenes Solostück aus dem 13. Jahrhundert für die Shakuhachi, von Schwarzer auf der Blockflöte interpretiert, gegen das Verklingen wehrt, sich mit immer neuer Intensität auflädt, korrespondierte der Durchsichtigkeit der „composition no. 60“ von Erwin Koch-Raphael (*1949), einem Isang Yun-Schüler. Koto, Blockflöte, Sprech- und Gesangsstimme – eine der schönsten Forum-Bilanzen 2006 – brachten den west-östlichen Diwan zum Klingen.

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