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Wieder einmal typisch deutsch?

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Zum „Gedenkkonzert für Opfer...“, nmz 10/1997
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Plaudern und lachen vor einem Gedenkkonzert? Mit Verlaub: „Typisch deutsch“, ist man geneigt zu sagen. Plaudern und lachen bei einem solchen Ereignis, pfui, wie kann man bloß...! Aber: Natürlich lachten und plauderten die Konzertbesucher aus Tschechien, Deutschland und Israel vor der Aufführung des Verdi-Requiems nicht über die Baracken links und rechts im Innenhof der Kleinen Festung Theresienstadt. Sie wußten nämlich zu genau, welche Grausamkeiten sich dort während des Naziregimes abgespielt haben. Gerade dieses Wissen und die lange Auseinandersetzung mit den dort begangenen Greueltaten erlauben es, sich auch vor einem Gedenkkonzert für die Opfer des Naziterrors unverkrampft zu verhalten. Vergebliche – also falsche – Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann allerdings in der Tat zu einer etwas zu verkrampften Haltung führen. Welches Volk hat sich mit seiner jüngsten Vergangenheit intensiver auseinandergesetzt als gerade das deutsche? Und dennoch scheinen diese Bemühungen kaum Frucht zu tragen. Unfähigkeit zu wirklicher Trauer? Wohlgemerkt: Es geht überhaupt nicht ums Vergessen. Und genau um das zu vermeiden, fand die Aufführung des Verdi-Requiems, nämlich „In memoriam“ – wie es überall zu lesen war – statt. Daran beteiligt waren 85 Mitglieder des Bundesjugendorchesters – des Nationalen Jugendorchesters der Bundesrepublik Deutschland – junge Menschen zwischen 15 und Anfang zwanzig, die sich, zwei Generationen später, der Vergangenheit stellten und bereit waren, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Sie und viele anderen hatten nach der Aufführung Tränen in den Augen. Das ist unverkrampfte Trauer: Trauer stellt sich nicht auf Kommando ein (Kommando von „oben“ und gehorchen von „unten“, das hat schon immer zu Untaten geführt). Zum Glück können Erwachsene – wenn sie denn wollen – in puncto Unverkrampftheit, offene Emotionalität und Spontaneität einiges von jungen Menschen lernen. Intonationsschwankungen, Windgeräusche über Lautsprecher, kaum hörbare Kontrabässe? Es war den Musikern von Anfang an klar, daß sie nicht in einer Philharmonie (mit allen herkömmlichen Konzertritualien, aber auch mit „perfekter“? Akustik) spielen, sondern in einem Gefängnishof eines KZs mit allen Imponderabilien. „Inneres Hören“ war gefragt und eine Konzentration, welche die äußerlichen Widrigkeiten vergessen ließ – die Musiker haben es vorgemacht. Das sollte Respekt statt kleinlicher Kritik (die vielleicht in einem Konzertsaal angebracht wäre) hervorrufen. Ohne Beteiligung jüdischer Künstler? Daß zumindest keine aktive musikalische Beteiligung jüdischer Künstler stattgefunden hat, mag bedauerlich sein, aber im Publikum waren sie reichlich vertreten, darunter auch die Schwester von Rafael Schächter und Gideon Klein. Und die Musiker des BJO hatten eine Begegnung mit Überlebenden (unter ihnen Frau Dr. Eva Herrmannová, die als Fünfzehnjährige unter Rafael Schächter beim Requiem mitsingen durfte) und besuchten kurz vor der Aufführung das Ghetto. Sie musizierten unter dem Eindruck des Gehörten und Gesehenen und gedachten so der Opfer des Naziterrors. Alleine die Tatsache, daß junge Leute aus Deutschland sich an diesem Projekt beteiligten, hätte die Aufführung des Verdi-Requiems „In memoriam Theresienstadt“ schon gerechtfertigt. Das hat auch das Auswärtige Amt durch die finanzielle Unterstützung des Projektes wohl so gesehen. Wegen der Entschädigung Theresienstadt-Überlebender müßte man sich wohl dorthin wenden, aber das ist nicht Aufgabe des BJO. Wir hoffen aber unsererseits, zu einer Sensibilisierung der Beziehungen (zum jüdischen und tschechischen Volk) beigetragen zu haben. Hans Timm, Geschäftsführer des Bundesjugendorchesters

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