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Foto und Montage: Martin Hufner
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Wo sich etwas bewegt, kann es auch knirschen

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Der Bologna-Prozess an deutschen Musikhochschulen
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Am 19. Juni 1999 bekannten sich 30 europäische Staaten in Bologna zu dem Ziel, bis zum Jahr 2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Dieser Bologna-Erklärung traten bis heute weitere 16 Staaten bei. Da auch Deutschland zu den Unterzeichnerstaaten gehört und die deutsche Kultusministerkonferenz schon früh beschlossen hat, den Bologna-Prozess an allen Hochschulen anzuwenden, stellte sich auch für die deutschen Musikhochschulen die Frage, wie man mit der Bologna-Erklärung und deren Konsequenzen umgehen sollte. Nach einem mehrjährigen Beratungs- und Entscheidungsprozess hat die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) 2004 eine einheitliche und gemeinsame Beteiligung der RKM-Musikhochschulen am Bologna-Prozess beschlossen. Inzwischen wurden etwa 40 % der Studiengänge auf die neue Struktur umgestellt, so dass Zeit für eine erste Zwischenbilanz ist.

Aus der Sicht der Musikhochschulen sind vor allem folgende Beschlüsse der Bologna-Konferenz und der Folgekonferenzen in Prag, Berlin, Bergen, London und Leuven von besonderer Relevanz:
• Gliederung des Studiums in zwei Zyklen (gestuftes Studiensystem) und Einführung europaweit vergleichbarer Hochschulabschlüsse (Bachelor und Master);
• Ergänzung des zweigliedrigen Studiums um einen dritten Zyklus (Promotionsphase);
• Modularisierung der Stoffgebiete zur thematischen und zeitlichen Gliederung des Studienverlaufs;
• Einführung eines Leistungspunktesystems (Credit Points) und international geltender Transparenzregeln (Diploma Supplement);
• Förderung der Qualitätssicherung durch unabhängige Akkreditierungen;
• Förderung der internationalen Mobilität und Abbau von Mobilitätshemmnissen.

Zusätzlich zu diesen Zielen und Regeln beschloss die Kultusministerkonferenz (KMK) in den „Ländergemeinsamen Strukturvorgaben“ vom 10.10.2003, dass konsekutive Bachelor- und Masterstudienabschnitte zusammen nicht länger als fünf Jahre dauern dürfen. Demnach kann sich nach einem dreijährigen Bachelor ein zweijähriger Master anschließen, während nach einem vierjährigen Bachelor nur noch ein einjähriger Master möglich ist. Um das Master-Studium nicht unvertretbar zu verkürzen, haben sich fast alle Universitäten und Fachhochschulen auf ein dreijähriges Bachelorstudium festgelegt. Auch galt zumindest in der Anfangsphase des Bologna-Prozesses die Vorgabe, dass das Bachelorstudium zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führen sollte. In der Bologna-Erklärung heißt es dazu: „Der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluss attestiert eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene.“

Doch gerade diese Vorgabe, dass schon der erste Studienzyklus zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führen sollte, wurde von den Musikhochschulen als problematisch angesehen. Die deutschen Musikhochschulen waren und sind der Auffassung, dass innerhalb von nur drei Jahren keine künstlerische oder musikpädagogische Ausbildung erreicht werden kann, die später auf einem anspruchsvollen Arbeitsmarkt bestehen kann. Die RKM hat deshalb schon 2004 beschlossen, dass alle RKM-Mitgliedshochschulen in den Musik-Studienfächern ausschließlich ein vierjähriges Bachelorstudium anbieten.

Dass die Musikhochschulen der RKM damit eine richtige Entscheidung getroffen haben, zeigen die aktuellen Klagen an den Universitäten über den Wert eines nur dreijährigen Bachelorstudium. Deshalb diskutiert die KMK nun über eine generelle Verlängerung des Bachelorstudiums auf vier Jahre oder über die Vorschaltung eines Propädeutikums vor Eintritt in das Studium. Den Musikhochschulen aber ist diese Diskussion durch eine frühe richtige Entscheidung erspart geblieben.

Aus der Festlegung auf einen vierjährigen Bachelor ergab sich aber ein weiteres Problem, denn nach einem solchen Bachelor ist in einem konsekutiven Studium nur noch ein einjähriger Master möglich. Diese Regelung schien akzeptabel zu sein für die Studierenden, die beide Zyklen an der gleichen Musikhochschule studieren. Doch sahen sich diese Studierenden gegenüber denjenigen benachteiligt, die nach dem Bachelorstudium die Hochschule wechselten, denn diesen Studierenden wird in den „Ländergemeinsamen Strukturvorgaben“ von 2003 ausdrücklich zugebilligt, „nach einem vierjährigen Bachelorstudium an einer Hochschule einen zweijährigen Masterstudiengang an einer anderen Hochschule zu studieren“. Diesen Vorteil machen sich vor allem viele ausländische Studierende zunutze, denn die deutschen Musikhochschulen gelten international als Master-Hochschulen, in denen man sich nach dem Bachelorstudium im Heimatland im Master den „Feinschliff“ geben lässt. Folglich stand zu befürchten, dass die Studierenden, die während ihres ganzen Studium bei einem/r Haupftfachlehrer/in und an einer Hochschule blieben, gegenüber den Hochschulwechslern durch ein kürzeres Studienangebot benachteiligt werden.

Die RKM hat sich deshalb mit großem Nachdruck bei der KMK dafür eingesetzt, dass den deutschen Musikhochschulen die Ausnahmeregelung zugestanden wird, auch nach einem vierjährigen Bachelorstudium ein konsekutives Masterstudium von zwei Jahren anschließen zu dürfen. Diese Sonderregelung wurde von der KMK am 22.9.2005 beschlossen; seitdem gilt für die deutschen Musikhochschulen in den zweistufigen Musik-Studienfächern das sechsjährige Bachelor-/Masterstudium als Regelstudienzeit. Allerdings gilt diese Regelung nicht für die Studienfächer, in denen weiterhin ein Staatsexamen erworben wird (z.B. Schulmusik) und auch nicht für die nicht-musikalischen Fächer wie beispielsweise Schauspiel oder Tanz.

Dagegen kommt es den Vorstellungen der Musikhochschulen sehr entgegen, dass der Übergang vom Bachelor zum Master nicht automatisch erfolgen kann, sondern dass dem eine Aufnahmeprüfung vorgeschaltet werden muss. Aufnahmeprüfungen entsprechen der langjährigen Tradition der Musikhochschulen und haben sich vielfach bewährt. Deshalb reagieren die Musikhochschulen eher kritisch auf den jüngsten Vorschlag beispielsweise der GEW, einen freien Zugang zum Masterstudium für alle Bachelorabsolventen zu ermöglichen. Auch wenn der Bachelor weltweit zunehmend zum Regelabschluss für ein erstes Hochschulstudium zu werden verspricht, ist eine Vergleichbarkeit in Dauer, Studieninhalt und Qualität keineswegs gegeben. Ostasiatische Bewerberinnen und Bewerber haben häufig nur einen dreijährigen Bachelor absolviert und erreichen damit nicht das Niveau der deutschen Bachelorabsolventen. Ähnlich gilt dies beispielsweise auch für die italienischen Musikhochschulen, die eher den Konservatorien vergleichbar sind. Dort erwerben die Studierenden oft schon im Alter von nur 20 Jahren nach einem dreijährigen Studium einen Bachelorabschluss, der – wie vor allem die davon stark betroffenen Schweizer Musikhochschulen zu berichten wissen – mit den Abschlüssen im deutschsprachigen Raum nicht vergleichbar ist. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass sich unsere Musikhochschulen weiterhin durch eine Aufnahmeprüfung über das Leistungs- und Qualitätsniveau der Bewerberinnen und Bewerber informieren können.

Zu den weiteren Vorgaben des Bologna-Prozesses gehört auch die Modularisierung der Stoffgebiete zur thematischen und zeitlichen Gliederung des Studienverlaufs. So leicht diese Vorgabe für den theoretischen und musikhistorischen Unterricht umsetzbar war, so war andererseits doch erkennbar, dass dies im Hauptfachunterricht zu einer unangemessenen Verschulung des Studiums führen würde. Schließlich muss der/die Hauptfachlehrer/in auf die individuelle Entwicklung der Studierenden reagieren können, denn ein Musikstudium ist nur zum Teil die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten; weit mehr steht die Bildung von Künstlerpersönlichkeiten im Vordergrund. Das aber wiederum lässt sich nicht mit der Stoppuhr steuern. Doch auch hier zeigte sich die KMK einsichtig und billigte den Musikhochschulen zu, sowohl die ersten vier Semester eines Bachelorstudiums (bis zur Zwischenprüfung) als auch die vier letzten Semester (bis zur Abschlussprüfung) je als ein einzelnes Modul zu bewerten. Demnach müssen die Studierenden im Hauptfach jeweils nur zwei Module nachweisen, was dem Studium die notwendige Flexibilität ermöglicht.

Eigentlich ist für den Erwerb des Abschlussmoduls im Bachelor und Master eine schriftliche Abschlussarbeit erforderlich. Doch auch hier ließ sich der Akkreditierungsrat überzeugen und akzeptiert seit Anfang 2009 auch die Akkreditierung von Musik-Studiengängen an deutschen Musikhochschulen ohne eine ausführliche schriftliche Abschlussarbeit. Neben der künstlerischen Abschlussprüfung auch noch eine schriftliche Arbeit zu verfertigen, die vom/von der Hauptfachlehrer/in zu betreuen und zu begutachten wäre, hätte zu einer nicht zumutbaren und auch völlig systemfremden Belastung für Studierende und Lehrende geführt.

Auf der Grundlage einer solchen Modularisierung war die Verteilung der 30 Leistungspunkte pro Semester in der Regel nur noch eine Rechenaufgabe. Zwar gab es Diskussionen darüber, ob das Hauptfach gegenüber den Nebenfächern überproportional gewertet werden dürfte, doch klärte sich in den Beratungen recht bald, dass die Leistungspunkte keine Wertigkeit des Faches widerspiegeln, sondern den zeitlichen Aufwand des Studierenden, und der ist im Hauptfach mit den hohen Übe-Anteilen eben weitaus größer als in den Nebenfächern.

Zu den besonderen Neuerungen, die im Rahmen der Bologna-Reform an deutschen Musikhochschulen eingeführt wurden, ohne dass sie zwingend Teil dieser Reform sind, gehört die Zusammenführung der künstlerischen und pädagogischen Ausbildung. Bisher gab es die Alternative zwischen einem künstlerischen Studium mit dem Ziel einer späteren Tätigkeit in einem Orchester oder Kammermusikensemble sowie das musikpädagogische Studium mit dem Ziel einer Lehrtätigkeit an Musikschulen. Da sich schon bisher die meisten Studierenden nur schwer zwischen beiden Alternativen entscheiden konnten und deshalb ein Doppelstudium wählten, haben die deutschen Musikhochschulen angemessen reagiert und ein einheitliches Bachelorstudium mit der Möglichkeit der Profilwahl geschaffen. Nach diesem Modell studieren die Studentinnen und Studenten bis zum vierten Semester alle Fächer gemeinsam und entscheiden sich dann für ein vorrangig künstlerisches oder überwiegend pädagogisches Profil. Das bietet den Lehrkräften auch die Chance, die Studierenden angemessen zu beraten und auf vorhandene pädagogische Talente hinzuweisen. Im anschließenden Masterstudium werden die Studierenden dann ihrem Berufswunsch entsprechend ausschließlich im jeweiligen Profil studieren.

Rückblickend bleibt die Frage, ob die Musikhochschulen der RKM mit ihrer konstruktiven und durchaus auch bejahenden Einstellung zum Bologna-Prozess den richtigen Weg gegangen sind. Schließlich gibt es mit den Kunstakademien das direkte Gegenbeispiel, denn die Kunstakademien verweigern sich bis heute weitgehend den Bologna-Reformen und bestehen auf ihrer traditionellen und sehr offenen Studienform in Fächern der Freien Kunst. Doch die Bilanz der Sonderregelungen der RKM-Musikhochschulen kann sich sehen lassen (ausschließlich vierjähriger Bachelor, konsekutives Bachelor-/Masterstudium von insgesamt sechs Jahren Dauer, Gliederung des Hauptfachs im Bachelorstudium in nur zwei Module, Verzicht auf obligatorische schriftliche Abschlussarbeiten im Rahmen der Studienabschlussprüfungen). Den deutschen Musikhochschulen ist es dadurch gelungen, strukturell in vollem Umfang Teil des europäischen Hochschulraums zu bleiben und konnten dennoch sicherstellen, dass die an der Begabung und Belastbarkeit der Studierenden orientierte Flexibilität des Studiums gewährleistet bleibt.

Trotz dieser und anderer Vorzüge sehen die deutschen Musikhochschulen aber auch Risiken und Defizite im Bologna-System. 2005 wurde auf der Bologna-Folgekonferenz in Bergen beschlossen, die zweigliedrige Studienstruktur um einen dritten Zyklus zu erweitern, der als Promotionsphase definiert wird. Es besteht grundsätzlich kein Zweifel darüber, dass auch die Promotionsfächer an Musikhochschulen (in der Regel Musikwissenschaft und Musikpädagogik) diesem dritten Zyklus zuzurechnen sind. Doch ist noch nicht gänzlich geklärt, ob auch die zweijährigen Vorbereitungsstudien auf ein Konzertexamen oder Solistenexamen, die nach einem abgeschlossenen Masterstudium belegt werden können, diesem dritten Zyklus zuzurechnen sind. Das gilt auch für eine künstlerische Promotion, wie sie etwa mit dem Doctor of Musical Arts (DMA) an angelsächsischen Musikhochschulen möglich ist und wie ihn sich auch viele deutsche Musikhochschulen wünschen. Doch ist die Rektorenkonferenz sehr zuversichtlich, auch hier sehr bald eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Zu den weiteren Neuerungen der Bologna-Reform gehört auch die Förderung der Qualitätssicherung durch unabhängige Akkreditierungen. Solche Akkreditierungen sind nur möglich über unabhängige Agenturen, die selbst wiederum vom Akkreditierungsrat akkreditiert wurden, der seinerseits von der KMK eingesetzt wird. Da sich die Akkreditierungsagenturen über die von den Hochschulen erhobenen Akkreditierungsgebühren wirtschaftlich selbst tragen müssen, sind die wenigen bestehenden Agenturen vorwiegend auf die Universitäts- und Fachhochschul-Studiengänge ausgerichtet. Das macht es den Musikhochschulen schwer, ihre besondere Qualität angemessen zur Geltung zu bringen.

Eines der wichtigsten Ziele der Bologna-Reform ist die Förderung der internationalen Mobilität und der Abbau von Mobilitätshemmnissen. Hier muss leider festgehalten werden, dass die zweigliedrige Studienstruktur eher zu einer Behinderung der Mobilität geführt hat. Ein Auslandsstudium von ein oder zwei Semestern Dauer lässt sich nur noch sehr schwer in ein Bachelorstudium integrieren; was bleibt, ist der Wechsel ins Ausland für ein komplettes Master-Studium, was aber mit Blick darauf, dass die Studierenden sich während des Masters am künftigen Berufsmarkt orientieren müssen, zumindest für Studierende aus Deutschland selten eine gute Lösung ist. Doch ist dies kein spezifisches Problem der Musikhochschulen; auch die Universitäten und Fachhochschulen beklagen eine zurückgehende Neigung der Studierenden, ein Auslandssemester einzuschieben. Nicht zuletzt deshalb diskutieren einige Universitäten die Möglichkeit, das Bachelorstudium in einigen Fächern generell auf vier Jahre auszurichten, also gerade auf jene Dauer, die an Musikhochschulen von vornherein festgelegt wurde.

Zusammenfassend ist die Bilanz des Bologna-Prozesses an deutschen Musikhochschulen eher positiv zu bewerten. Auch wenn es hier und da noch manchmal vernehmlich knirscht und vor allem auch der administrative Mehraufwand noch nicht angemessen abgefedert ist, verfügen die Musikhochschulen der RKM am Ende des Reformprozesses doch über eine klare und transparente Studienstruktur, die den Studienalltag für Lehrende wie Studierende erleichtert. Zudem hat eine Reihe von Sonderregelungen dazu beigetragen, dass die Einzigartigkeit eines künstlerischen und pädagogischen Musikstudiums erhalten geblieben ist. Nicht zuletzt ist zu betonen, dass alle Musikhochschulen nach Wegen gesucht haben, innerhalb der einheitlichen Struktur eigene Profile und Alleinstellungsmerkmale zu sichern und sogar neu zu entwickeln. Insofern hat der Prozess auch dazu beigetragen, die seit Jahrzehnten bestehende Studienform auch von innen heraus zu erneuern und kreativ zu beleben.

Der Autor ist Vorsitzender Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen in der HRK und Rektor der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.

 

 

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