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www.beckmesser.de 2009/04

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Staatl. gepr.
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Wohin mit den Staatsgeldern? Bei der Frage, wie die Milliardensubventionen eingesetzt werden können, ohne wirkungslos zu verpuffen, haben sich Politik und Wirtschaft neuerdings auf die Formel geeinigt, nur „systemische“ Bereiche zu unterstützen. Das scheint auch schon die Bundeskulturstiftung beachtet zu haben, als sie 2006, also noch vor der großen Krise, beschloss, der Neuen Musik eine Art staatliche Konjunkturspritze zu verpassen, nicht in Milliarden-, aber immerhin in stattlicher Millionenhöhe. Das auf fünf Jahre angelegte Unternehmen „Netzwerk Neue Musik“ soll die vielen Einzelinitiativen zur Zusammenarbeit bewegen, Synergien schaffen und neue Vermittlungsformen fördern – eine Finanzspritze struktureller Art mit eingebautem Multiplikationseffekt.

Der warme Subventionsregen hat bundesweit zu einem Aufblühen vielfältigster Aktivitäten geführt. Manches davon war sicher schon länger geplant, manches ist aber durch den Geldsegen überhaupt erst angeregt worden. Dazu gehört wohl auch die bunte Theorieblüte, die nun in diesem Musik-Treibhaus emporgeschossen ist und mit Begriffen wie „Kanon“ und „Schlüsselwerk“ ihren Duft aus alter Märchenzeit verströmt. Angeregt wurde die Diskussion durch eine Liste von Schlüsselwerken der Moderne, die der Kölner Netzwerk-Ableger veröffentlichte. Was aus dem verständlichen Bedürfnis nach Orientierung und Kriterienbildung heraus enstand, erweist sich aber als reichlich unbeholfen. Die Liste der rund 170 Titel, schön nach Gattungen geordnet, taugt bestenfalls als Wunschbrevier für Veranstalter oder als Grundlage für einen einjährigen Sendezyklus im Radio: ein reichhaltiges Menü, das auch ganz anders zusammengesetzt sein könnte. Der Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit und Transparenz der Kriterien wird gerade durch den Voluntarismus des Vorgehens unterlaufen.

Das Problem liegt im Vorhaben selbst: Ein kultureller Kanon, also ein allgemeiner Konsens über maßstabsetzende Werke, letztlich über ästhetische Normen, ist das Resultat eines langen gesellschaftlich-historischen Prozesses. Er kann nicht durch eine PR-Aktion wohlmeinender Stichwortgeber, Veranstalter und Medienleute herbeigezaubert werden. So etwas ergäbe bestenfalls ein Kanönchen. Heute ist es zwar üblich, dass sich Festivalveranstalter, Preisgremien, Förderinstitutionen und Ensembles informell – oft auch unter pragmatischen Synergie-Aspekten – untereinander absprechen, um einen bestimmten Komponisten oder eine Tendenz zu pushen. Das gelingt denn auch eine Zeitlang. Doch kanonisch wird ein solches PR-Produkt deswegen noch lange nicht, höchstens trendig.

In zwei Grundsatzartikeln im neuesten „Netzwerk“-Mitteilungsblatt haben Helga de la Motte-Haber und Ulrich Mosch die Problematik und die historisch-soziologischen Voraussetzungen einer Kanonbildung dargelegt. Inhaltlich ist dem eigentlich nichts hinzuzufügen (höchstens die Verwunderung darüber, dass ein kompositorisch so bahnbrechendes, bis heute viel gespieltes Werk wie Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ von einer Musikwissenschaftlerin als Kuriosität wahrgenommen wird). Der Ort dieser Diskussion lässt aber ein Unbehagen zurück. Denn wenn die Reflexion über ästhetische Kriterien durch Bundessubventionen alimentiert wird, stimmt etwas nicht. Das Netzwerk sollte Veranstalterpotenziale fördern und nicht zu normativen Überlegungen anstiften, die besser in einer unabhängigen Zeitschrift geführt würden. Ansonsten hat der Staat bald auch noch in der Kunst die Finger drin.

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