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www.beckmesser.de 2012/02

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Der Fast-Präsident
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Über die Rolle, die ein Staatspräsident spielen soll, wird gegenwärtig heftig diskutiert. Welche Eigenschaften soll er mitbringen, wie „politisch“ soll er sein? Bisher nahm man an, ein Politprofi in einem solchen Amt sei von Vorteil, doch inzwischen weiß man, dass das mit etlichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden ist.

Dass es auch anders geht und politische Spitzenposten auch mit Außenseitern besetzt werden können, zeigen Fälle wie der Schriftsteller Vaclav Havel, der als tschechischer Staatspräsident weltweit Autorität genoss, der zum brasilianischen Kulturminister berufene Sängerstar Gilberto Gil oder der Pianist Ignacy Jan Paderewski, Ministerpräsident und Außenminister der Zweiten Polnischen Republik. Auch Ronald Reagan mauserte sich vom B-Picture-Schauspieler zum beliebten Präsidenten, und mit seinem Ausruf vor dem Brandenburger Tor, „Mr. Gorbachev, open this gate!“, ging er überdies in die Geschichte ein. Die Herkunft dieser politischen Außenseiter ist interessant: Es sind allesamt Leute aus dem Kulturbereich – Sänger, Schauspieler, Pianisten, Schriftsteller. Die Ochsentour einer Parteikarriere blieb ihnen erspart, und sie mussten nicht buckeln, um politisch nach oben zu kommen.

Im Januar ging die Nachricht um die Welt, dass auch im Senegal ein Künstler in die Politik gehen wollte: Youssou N‘Dour, eine Ikone der Weltmusik und Grammy-Gewinner des Jahres 2005. Er meldete seine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen für Ende Februar an. Vor der Fernsehkamera sagte er: „Ich bin ausschließlich senegalesischer Staatsbürger. Ich habe keine doppelte Staatsbürgerschaft und ich habe keine Besitztümer im Ausland. Alles, was ich im Schweiße meines Angesichts verdient habe, habe ich in mein Land investiert, den Senegal.“ Dem Selbstzeugnis folgte das Versprechen, den Staatsapparat zu begrenzen und gegen den Hunger in seinem Land vorzugehen. Letzteres sagt auch jeder korrupte Politiker, doch aus seinem Mund klang das viel glaubwürdiger. Ein riesiger Vertrauensvorschuss war ihm sicher.

Seit Miriam Makeba ist wohl kein Sänger mehr derart zum Inbegriff der Stimme Afrikas geworden wie der 53-jährige Youssou N’Dour. Er ist der Idealfall eines Künstlers, der sich im globalisierten Medienbetrieb nicht zu einer kommerziellen Zirkusnummer hat machen lassen, sondern trotz seiner ungeheuren Popularität seine Authentizität bewahrt hat. Ein starker Charakter mit Zukunftsideen, in denen sich die Hoffnungen von Millionen spiegeln. 

2005 war er treibende Kraft beim weltweit übertragenen Konzert „Africa Live!“, das vor 50.000 Zuschauern in Dakar stattfand und die Menschen zum Kampf gegen die Malaria, eine der größten Plagen des Kontinents, aufrief. Er beteiligte sich an Projekten über die Geschichte der Sklaverei und war Hauptfigur im Road-Movie „Retour à Gorée“, der die afrikanischen Wurzeln des Jazz dokumentierte. Die Identitätsfrage ist ein zentrales Thema seiner künstlerischen Aktivitäten, die von den kulturpolitischen nicht zu trennen sind.

In dem mit dem Grammy prämierten Album „Egypt“, das er mit ägyptischen Musikern produzierte, widmet er sich einer spirituellen Thematik. Erstaunlich ist das nicht, denn anders als in Europa lassen sich in Afrika Kultur und Religion nicht trennen, und der Islam, zu dem sich Youssou N’Dour bekennt, breitet sich auch südlich der Sahara aus. Als Anhänger des Sufismus steht er jedoch für die friedlichen Strömungen innerhalb dieser Religion und lehnt Gewalt ab. Ob er als künstlerisch-moralische Autorität in diesem Minenfeld etwas hätte bewirken können, wäre eine spannende Frage gewesen. 

Hätte, wäre. Ende Januar kam die Ernüchterung. Der oberste Gerichtshof erklärte seine Kandidatur für ungültig. Grund: Er habe die nötigen 10.000 Unterschriften nicht zusammengebracht. N’Dour bestreitet das. Dafür darf der bisherige Präsident, ein ausgebrannter 85-jähriger Potentat, ein drittes Mal antreten, obwohl das Gesetz es eigentlich verbietet. Es riecht schwer nach politischer Intrige. Und auch in Afrika geht es weiter im alten Trott.

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