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Zeit-, Tasten- und Pedal-Spiele

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Allerlei Experimente am und mit Klavier
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Unter den der nmz vorgelegten Klavierpartituren gibt es eine Reihe von (be)merkenswerten Werken. Die hier vorgestellte Auswahl enthält solche vom 1987 verstorbenen Altmeister Morton Feldman sowie von drei deutschen Komponisten, die zwischen 1952 und 1968 geboren wurden.

Stefan Johannes Walter (1968) studierte bei Heinz Winbeck an der Musikhochschule Würzburg, an der er 2001 selbst einen Lehrauftrag erhielt. In der Edition Dohr (E.D. 21772) erschien seine 1995 geschriebene „Kadenz für Klavier solo“, in der er die „Reduktion“ eines „quasi-Klavierkonzertes“ auf die Kernaussage eines solchen, gewöhnlich großformal angelegten Werkes sieht. Das Stück umspannt, bei Tempo Achtel = 60 mit dem Zusatz „quasi rubato“, in 58 Takten eine Dauer von etwa 5’ 20“. Zwei unterschiedliche Elemente beherrschen die auf vier Systemen notierte Kadenz von Beginn an: auf den äußeren Systemen Quinten in extremer Lage und auf den mittleren Systemen virtuose Passagen. Die Quinten werden zu Beginn der unterschiedlich langen Takte jeweils einmal im sforzato angeschlagen und durch das hier unverzichtbare mittlere Pedal gehalten. Sie überlagern damit das komplex angelegte Figurenspiel, das – auf beide Hände verteilt – zunächst einstimmig geführt wird, dann ab Takt 15 in permanenter Zweistimmigkeit. Die pianissimo-Ereignisse sind stets mit linkem Pedal zu spielen.

Im weiteren Verlauf werden die Quinten in Gegenbewegung allmählich weiter in Richtung Mittellage geführt. Nach einer Generalpause in Takt 25 wird die virtuose Figur immer weiter reduziert und in Takt 38 mit dem einzigen crescendo beendet. Ab Takt 39 verbleiben nur die Quinten, die die nunmehr ausgedünnte Komposition choralartig beschließen.
„Kadenz“ ist ein spannungsvolles Klavierstück; es erfordert einen Pianisten, der auch in schneller Bewegung sehr leise spielen kann und zugleich komplexe Zeitproportionen zu erfüllen vermag.

Der 1959 geborene Christoph J. Keller hat an der Musikhochschule Saarbrücken bei Jean Micault Klavier studiert. Nach zwölfjähriger Tätigkeit an der Musikschule Oldenburg (Klavier, Kammermusik, Musiktheorie) lebt er jetzt als freischaffender Komponist und Pianist in der Stadt. Nach seinem Jugendalbum erschien in der Noetzel Edition das aus acht kurzen Sätzen bestehende, 1994/1995 entstandene Heft „Impressionen für Klavier zu vier Händen“ (N 3902). In den ansprechenden, musikalisch und technisch überzeugenden Bildern bedient sich Keller einer gemäßigt modernen Tonsprache, die auch zwölftönige Elemente, Clusterspiel und Flageolettwirkungen nicht ausschließt. Er konstatiert mit Recht, dass sein Werk gleichermaßen zum häuslichen Musizieren wie auch zum Konzertvortrag geeignet ist. In jedem Takt zeigt sich der erfahrene Pianist und Pädagoge. Die Klavierparts sind in Partiturform übereinander gedruckt, und nur einmal muss innerhalb eines Satzes geblättert werden. Der an Debussy geschulte Klaviersatz ist durchsichtig angelegt und lässt sich ohne Probleme realisieren. Die Stücke sind sehr sorgfältig mit Fingersätzen und Angaben für alle drei Pedale ausgestattet. Italienische Spielanweisungen werden erklärt, ebenso Zeichen, die noch nicht jedem Spieler vertraut sind, wie etwa Cluster aus stumm niedergedrückten Tasten oder für halbes Pedal oder langsam getretenes Pedal. Einige schnellere Spielfiguren sind so geschickt auf Hände und Spieler verteilt, dass das geplante Grundtempo nicht beeinträchtigt werden muss. Die schönen, nur mittelschweren „Impressionen“ bilden einen willkommenen Beitrag zur Literatur für zwei Spieler an einem Instrument.

Morton Feldman (1926 bis 1987) ist einer der bekanntesten Musiker der USA; seine Klavierwerke werden allerdings relativ wenig gespielt. In New York erhielt er Klavierunterricht bei Vera Press, die in Deutschland bei Busoni studiert hatte, und nahm Kompositionsunterricht unter anderem bei Stefan Wolpe, der 1933 aus Deutschland geflohen war und, nach einigen Jahren in Palästina, 1938 in die USA emigrierte. Von Wolpe wurde Feldman bei Varèse eingeführt. Wie Busoni und Wolpe war auch Feldman ein Kulturschaffender, dessen Interessen und Kenntnisse weit über das eigene Sachgebiet hinausreichten. Zu seinem New Yorker Umfeld gehörten nicht nur Musiker wie John Cage, Christian Wolff, Earle Brown und David Tudor, der sein Studienkollege bei Wolpe gewesen war, sondern auch Maler wie Mark Rothko, Willem de Kooning, Philip Guston und Jackson Pollock. Gerade durch Anregungen der letzteren wurde Feldman nachhaltig beeinflusst, was sich unter anderem in der Einführung graphischer Notation zeigte, die ihrerseits auf Cage und andere ausstrahlte.

Die Edition Peters hat unter Nummer 67976 in einem Band, der von Volker Straebel herausgegeben und kommentiert wurde, die „Solo Piano Works 1950-64“ von Feldman zusammengefasst, darunter auch einige, die vorher noch nicht veröffentlicht waren. In den meisten Stücken arbeitet der Komponist mit fixierten Tonhöhen, die zum Teil mit Takteinteilungen und Rhythmen, einige sogar mit Metronomziffern versehen sind. In anderen, wie beispielsweise den einigermaßen bekannten „Last Pieces“, sind nur Tonhöhen notiert, die den Spielanweisungen entsprechend gespielt werden sollen: „Slow. Soft. Durations are free“ gilt für die Ausführung von Nummer 1. Ergänzt wird die Sammlung durch einige Arbeiten, die nur graphisch konzipiert sind.

Der vorliegende Band vermittelt einen guten Einblick in das frühe Schaffen von Morton Feldman, in eine Welt von lang ausgehaltenen Klängen, von Nachhallwirkungen und bedeutungsvollen Pausen – in eine Musik, die klingt wie von Beckett beeinflusst; dieser schrieb später, 1976/77, den Text zu Feldmans einziger Oper „Neither“.

Reinhard Febel, 1952 geboren, studierte in Stuttgart bei Milko Kelemen und in Freiburg bei Klaus Huber. Er war mehrfach Preisträger bei Wettbewerben und erhielt 1983 einen Auftrag der Bayerischen Staatsoper München für die Kammeroper „Euridice“. 1989 wurde er Professor an der Musikhochschule Hannover, 1997 nahm er einen Ruf auf eine Professur für Komposition am Mozarteum in Salzburg an. Aus seinem bisher vorgelegten Klavierschaffen gelangten die „Vier Etüden für Klavier“ auf die Literaturliste Klavier des Wettbewerbs „Jugend musiziert“.
Der nmz wurden drei Klavierwerke von Reinhard Febel vorgelegt: Das 1986 bis 1990 entstandene „Piano Book I“ in einer gedruckten Fassung (Ricordi Sy. 3164), das mit „vorläufige Ausgabe“ bezeichnete „Piano Book II“ aus den Jahren 1991 bis 1993 (Ricordi Sy. 3187) in der reproduzierten Handschrift des Komponisten sowie, ebenfalls handschriftlich, aber ohne Verlagsangabe, die „Variationen über ein Thema von Paganini“ aus dem Jahre 2002.
Der Ricordi-Verlag führt in seinem Katalog auch ein späteres, hier nicht vorliegendes „Piano Book III“ an, für das 1994 als Jahr der Uraufführung genannt wird. Für jedes der drei Hefte wird eine Dauer von etwa 20 Minuten angegeben.

Die insgesamt 15, meist mit Titeln versehenen Sätze der „Piano Books I und II“ dürfen in beliebiger Gruppierung und auch in Auswahlen gespielt werden. Der Schwierigkeitsgrad ist unterschiedlich, es gibt leichtere Stücke, aber auch solche, die dem Spieler Virtuosität bei nicht geringem Tempo abverlangen (siehe II, 4 ). Ein Titel aus Band II scheint bezeichnend für Febels Arbeit zu sein: „Hommage à J.S.B.“. Der Komponist denkt mehrschichtig-polyphon, er schafft ein komplexes Gewebe aus selbständig geführten Stimmen, in denen kein Ton ohne Bedeutung ist. Dieser Eindruck wird bestärkt durch die präzise und eindeutige Schreibweise, die keine Unklarheiten zulässt; wo es zum Studium hilfreich ist, werden zusätzliche Notensysteme eingeführt. Reinhard Febel muss ein guter Pianist sein, denn trotz manchmal beachtlicher technischer Ansprüche ist der Satz auf Spielbarkeit ausgerichtet; das geht auch aus der genauen Bezeichnung von Fingersätzen und Pedalen hervor sowie aus der Verteilung schwieriger Passagen auf die Hände. Die qualitätvollen und gut für das Instrument geschriebenen „Piano Books“ von Reinhard Febel bilden einen wichtigen Beitrag zur Klaviermusik unserer Zeit und lassen auf weitere Klavierwerke des Komponisten hoffen.

Febel legt seinen „Variationen über ein Thema von Paganini“ die berühmte Caprice Nr. 24 in der Brahms-Fassung zugrunde und schreibt in seiner musikalischen Sprache 15 technisch sehr anspruchsvolle Variationen. Diese setzen Spieler voraus, die über einen hohen Grad von Virtuosität verfügen und tunlichst Dezimen greifen können. Einige Stellen erfordern den Einsatz des mittleren Pedals; ohne dieses muss Variation 10 ausgelassen werden. Febels „Paganini-Variationen“ liegen in seiner deutlichen Handschrift vor, die allerdings für den praktischen Gebrauch am Klavier vergrößert werden müsste. Das glänzende Stück verdient sehr gute Pianisten, die bereit sind, ein so schwieriges Opus in Ruhe und über einen längeren Zeitraum zu erarbeiten.

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