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Zurückschauen, um Fortschritt zu erkennen

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Berliner Matinee zu „25 Jahre Musik-Konzepte“
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Musikzeitschriften beginnen, wie die Beispiele von Robert Schumanns „Neuer Zeitschrift für Musik“ oder Hermann Scherchens „Melos“ belegen, häufig als Idee eines einzigen Mannes, bevor sie sich auf einen größeren Kreis von Mitarbeitern ausweiten. Die „Musik-Konzepte“ starteten vor fünfundzwanzig Jahren in München als Projekt zweier Männer: Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn. Heute leben sie nicht weit entfernt von jenem Haus, in dem Walter Benjamin seine Berliner Kindheit verbrachte. Ihre im Dezember 1977 mit einem Debussy-Heft begonnene Reihe hat sich weiter entwickelt (die jüngsten Hefte widmen sich Regers Orgelwerken, Haydns Streichquartetten und der Mikrotonalität), aber immer noch ruht die Hauptlast der redaktionellen Arbeit auf ihren Schultern. Bereits im Februar 1984 erhielten sie in der Berliner Akademie der Künste dafür den Deutschen Kritikerpreis. An gleicher Stelle fand eine Matinee zum 25-jährigen Bestehen des kühnen Projekts statt, auf Initiative der Akademie, dem die Herausgeber ihr Archiv zugesagt haben.

Musikzeitschriften beginnen, wie die Beispiele von Robert Schumanns „Neuer Zeitschrift für Musik“ oder Hermann Scherchens „Melos“ belegen, häufig als Idee eines einzigen Mannes, bevor sie sich auf einen größeren Kreis von Mitarbeitern ausweiten. Die „Musik-Konzepte“ starteten vor fünfundzwanzig Jahren in München als Projekt zweier Männer: Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn. Heute leben sie nicht weit entfernt von jenem Haus, in dem Walter Benjamin seine Berliner Kindheit verbrachte. Ihre im Dezember 1977 mit einem Debussy-Heft begonnene Reihe hat sich weiter entwickelt (die jüngsten Hefte widmen sich Regers Orgelwerken, Haydns Streichquartetten und der Mikrotonalität), aber immer noch ruht die Hauptlast der redaktionellen Arbeit auf ihren Schultern. Bereits im Februar 1984 erhielten sie in der Berliner Akademie der Künste dafür den Deutschen Kritikerpreis. An gleicher Stelle fand eine Matinee zum 25-jährigen Bestehen des kühnen Projekts statt, auf Initiative der Akademie, dem die Herausgeber ihr Archiv zugesagt haben. Obwohl die „Musik-Konzepte“ sich nicht allein auf den Fortschrittsbegriff einengen lassen, umkreisten ihn die meisten Wortbeiträge. Immerhin hatte die Nummer 100 zahlreiche Komponisten gefragt „Was heißt Fortschritt?“. Frank Michael Beyer deutete den Terminus im Sinne von Begriffserweiterung und Aufklärung und hob den Themenreichtum der Hefte hervor, ihre poetischen Aspekte, die Unabhängigkeit von populären Trends („von der Mode streng geteilt“). Dieter Schnebel verstand die als „Reihe über Komponisten“ angekündigten Hefte als ein Kompendium der Fortschrittsgeschichte in jenem Sinne, wie ihn Schönberg in seinem Essay „Brahms, der Fortschrittliche“ expliziert hatte: um den Fortschritt zu erkennen, muss man zurückschauen.

Neben Rainer Riehn, der für die „Musik-Konzepte“ eine Komponistenkarriere opferte, würdigte er natürlich Freund Metzger, der sich 1950 in die „Bewegung der Avantgarde-Musik“ einreihte. Maßgeblich geprägt durch Adornos „Philosophie der Neuen Musik“ wurde er zum Cheftheoretiker der Avantgarde, wobei seine Polemiken die des Meisters an Schärfe übertrafen. Wenn auch Metzgers Götter wechselten, blieb seine Bewunderung für John Cage und Morton Feldman unverändert. Inzwischen seien Altersmilde und Altersweisheit eingekehrt.

Schnebel verschwieg nicht das Problematische der um Cage und Nono entstandenen Kulte. Sein theologischer Lehrer Karl Barth habe zwischen Glauben und Religion unterschieden:
Glaube müsse ein Wagnis bleiben, anders als die zu Systemen tendierende Religion. Der Kampf um den Fortschritt, so endete Schnebel, sei also ein Kampf gegen die Religion, gegen Orthodoxie. Indirekt war dies ein kleiner Seitenhieb auf dogmatische Tendenzen in Metzgers früheren Polemiken, die sich allerdings kaum in den „Musik-Konzepten“ finden. Der aus Frankfurt herbeigereiste Ernstalbrecht Stiebler gestand den Herausgebern ein Recht auf Irrtum zu. Ihre Schriftenreihe (deren Unentbehrlichkeit auch Friedrich Goldmann hervorhob) pries er dagegen als geistiges wie materielles Wunder. Möglich wurde sie nur durch fünfundzwanzig Jahre Selbstausbeutung, den Verhältnissen zum Trotz.

Wie verschlungen der Fortschritt manchmal verläuft, war auch den achtzehn Fragmenten zu siebzehn Klavierstücken zu entnehmen, die Herbert Henck aus dem Nachlass Arnold Schönbergs zusammenstellte und nun in chronologischer Folge spielte. Nach unbeholfenen Anfängen von 1894 waren rapide satztechnische Fortschritte spürbar, größere Gewandtheit auch bei der Behandlung des Klaviers, die dem Spieler mehr Virtuosität zur Darstellung orchestraler Klänge und Entwicklungen abverlangte. In manchen atonalen Stücken reduzierte sich wieder die Satzdichte, offenbarte sich der Fortschritt auf harmonischer Ebene. Überraschend zeigten gerade die letzten Fragmente (die Reihe endete mit dem Jahre 1934) eine Rückkehr zu tonalen Elementen, als schlösse sich ein Kreis. Der Fortschritt, das zeigte diese Fragmentfolge, bemächtigt sich jeweils verschiedener Dimensionen, verbindet sich mit Rückschritten in einem anderen Bereich.

In gewisser Weise waren Franz Liszts „Trauergondel“ in den Fassungen von 1882 und 1885 sowie seine „Nuages gris“ von 1884 die aufregendsten und kühnsten Kompositionen der Matinee.

Die „Variations I“ und „In a Landscape“ von John Cage, die ihre Fortschrittlichkeit (ähnlich wie bei Erik Satie) vor allem dem historischen Kontext verdanken, wirkten als isolierte Einzelwerke merkwürdig eintönig, gelegentlich fast belanglos. Da die Erkenntnis des musikalischen Fortschritts also notwendig den Bezug auf größere Zusammenhänge braucht, spielten und spielen die „Musik-Konzepte“, die nicht nur Werke analysieren, sondern auch das ästhetisch-soziologische Umfeld sowie die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte ausleuchten, in diesem Prozess eine so wichtige und unentbehrliche Rolle.

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