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Zwischen Durchbruch und Schiffbruch

Untertitel
Veröffentlichungen der Popindustrie zwischen Dezember und Januar
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Diskografie: Snow Patrol – Fallen Empires (Polydor); Nickelback – Here and Now (Roadrunner Records); Seasick Steve – Walkin’ Man: The very best of (Warner); Buika – En mi Piel (Warner); Coldplay – Mylo Xyloto (Parlophone)

Die Schotten Snow Patrol haben sich nach oben geschwitzt und mit dem Album „Final Straw“ (2004) den Durchbruch bewerkstelligt. Radioeinsätze, Tournee und Klischee-Tam-Tam folgte. Leider wurde die Band, die 2004 exzellente Rockmusik zwischen Gitarren- und Elektropop machte, davon nicht beflügelt. Immer gestriegelter und schaler klangen die Alben. „Fallen Empires“, das aktuelle, verdient sich das Prädikat „vergessenswert“ redlich. Wo 2004 elegische und emotionale Songs wie „Chasing Cars“, „Shut Your Eyes“ oder „Run“ durchs Herz pflügten, muss man 2011 schon bei den ersten vier Songs rätseln, ob sich da die „Communards“ oder „Erasure“ im Songwriting verirrt haben. Unambitioniert und herzlos walzen sich Snow Patrol durch Gähn-Balladen oder clubtaugliche Discostampfer, die als substanzlos zu betrachten sind. Schade. Snow Patrol waren eine coole Band. Warum also verändern? Hörhinweis: schwierig.

Eine analoge Karriere verfolgt die kanadische Band Nickelback seit 2001. Den Durchbruch mit allen Mitteln erzwungen, sich selbst und andere nicht verschonend, verkauften Nickelback seitdem über 50 Millionen Alben. Was sie nicht davon abhielt, mit jedem Album irrelevanter zu werden. Vorläufiger, doch wahrscheinlich noch nicht letzter Höhepunkt ist das neue Album „Here and now“. Da schnalzen die Literaten mit der Zunge. Aber daneben dürfen sich die musikalisch Interessierten grämen. Gejagt wird man während des gesamten Albums von typischen – am PC bearbeiteten – Nickelback-Gitarrenriffs, die querbeet über alle sieben Alben austauschbar sind. Grotesk wird es mit der obligatorischen „Lass uns ins Radio kommen“-Nummer „When we stand together“. Ein Song, der Chancen hat, beim nächsten Oktoberfest auf die Songliste der Tätärätätä-Kapellen zu kommen. Wie auch immer. Warum Nickelback auch mal cool war und nun ein träger Auslaufhaufen – keine Ahnung. Diese Art der Musik spielt eine andere Band als die von 2001. Hörhinweis: mit Abstrichen „This means war“.

Was seinen Durchbruch betrifft, davon kann Seasick Steve mehr als einen Blues auftischen. Im graziösen Alter von 60 entdeckte ihn 2006 die Öffentlichkeit in der „Jools Holland Show“. Und seitdem ist der Spätblueser als heimliches Vorbild der Rock-, Alternative- und Blueswelt nicht mehr wegzudenken. „Walkin’ Man: The very best of Seasick Steve“ schneidet nun sein bisheriges Wirken hörenswert zusammen. 21 Songs auf zwei CDs vereinen fünf Alben, die Deluxe-Version wartet mit einer Live-DVD und einer halbstündigen Doku auf. Was Sie dieses Jahr unter dem Weihnachtsbaum spielen, ist mir egal. Meine Entscheidung steht. Hörhinweis: alles. 

Buika, geboren auf Mallorca, hat den Geheimtipp-Status vor Jahren verlassen. Zumindest in südländischen Gefilden. Deswegen darf sie ruhig mal ein Greatest-Hits-Album vorlegen. „En mi Piel“ nennt sich das, kommt als Doppel- CD mit 26 Songs und ist hinreißend. Jazz nennt sich die Grundierung des Ganzen. Darüber gibt es warme Farben spanischer Folklore, die sich gut balanciert zwischen Balladen und den gern zitierten „Uptempo“-Songs platzieren. Was jeden Song einmalig macht: Buikas Stimme. Doch auch wie sie instrumentiert, den Songs Dimensionen gibt und sich selbst zurückfallen lässt, ist charmant arrangiert. Nie hadert sie in Melancholie, selten verzettelt sie sich in ausgetreten Gefühlen. Buika hat ihren Weg gefunden, Romantik singend zu leben. Schön. Hörhinweis: „La falsa moneda“, „You get me“ (mit Seal). 

Gegen Ende Oktober veröffentlichten Coldplay mit „Mylo Xyloto“ ein weiteres Album, und wenigstens bleiben sie sich treu. Cool waren sie nie, aber stringent. Popmusik zu machen ist keine Schande. Dass man dabei gerne Hirn benutzen darf, zeigt Coldplay als eine der wenigen großen Popbands seit vielen Alben. Aber richtig zugebissen haben sie auch noch nie. Hörhinweis: „Major Minus“, „A Hopeful Transmission“.

Diskografie

  • Snow Patrol – Fallen Empires (Polydor)
  • Nickelback – Here and Now (Roadrunner Records)
  • Seasick Steve – Walkin’ Man: The very best of (Warner)
  • Buika – En mi Piel (Warner)
  • Coldplay – Mylo Xyloto (Parlophone)

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