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25. Todestag - Zuckmayers Dossiers für US-Geheimdienst jetzt publik

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Ein Vierteljahrhundert nach dem Tod von Carl Zuckmayer (1896-1977) gelangen brisante Auftragsarbeiten des deutschen Dramatikers für den amerikanischen Geheimdienst erstmals an die Öffentlichkeit: Rund 150 Porträts mit politischen Beurteilungen von Kulturschaffenden im Dritten Reich, darunter Heinz Rühmann, Ernst Jünger, Leni Riefenstahl und Gustaf Gründgens.

Der bislang unter Verschluss gehaltene «Geheimreport», 1943/44 im US-Exil geschrieben, erscheint im April mit Kommentaren und einer Einleitung der Literaturwissenschaftler Gunther Nickel und Johanna Schrön (Röhrig Universitätsverlag).

Zuckmayers Todestag jährt sich am Donnerstag (18.1.) zum 25. Mal, er starb am 18. Januar 1977 in Visp (Kanton Wallis) in der Schweiz, wo er seit 1958 gelebt lebte. Er besaß seit 1966 die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Der Geheimdienst war von Zuckmayers Dossiers begeistert. «Ihre Arbeit ist so gut. Wenn Sie nicht schon berühmt wären, könnten Sie es damit werden», schrieb Emmy C. Rado vom Office of Strategic Services (OSS) 1944 an Zuckmayer. «Diese Art von dramatischer Charakterisierungskraft gab es wohl noch nie in Geheimdienstunterlagen», sagt Nickel, der am Deutschen Literaturarchiv in Marbach (Baden-Württemberg) den Zuckmayer-Nachlass betreut. «Das ist Literatur, und zwar bemerkenswerte.»

Aus der Ferne, sagte Nickel, seien Zuckmayer dabei zum Teil erstaunlich genaue Beschreibungen gelungen, die in ihren Urteilen durch spätere Forschungen bestätigt wurden. So verteidige Zuckmayer Heinz Rühmann, der wegen der Trennung von seiner jüdischen Frau angefeindet wurde. «Zuckmayer beschreibt, dass die Ehe der beiden ohnehin schon kaputt war», erzählt Nickel, «und dass Rühmann alles getan habe, um sie zu schützen - das entspricht dem Bild neuer Biografien.»

Die Karriere des Schauspielers und Regisseurs Gustaf Gründgens im Dritten Reich beschreibt Zuckmayer als Folge seines «fast manischen» Abenteurertums: «Spiel und Leben sind für ihn kongruent (...). Er geht mit unsichtbaren Schlittschuhen an den Füßen am liebsten auf blankem Eis - auf einem weniger glatten und gefährlichen Boden würde er vermutlich straucheln und stolpern.»

Auch der Schriftsteller Ernst Jünger werde «auf eine Weise eingeordnet, wie es dem heutigen Forschungsstand entspricht», sagt Nickel. «Ich glaube, dass sowohl seine wie seines jüngeren Bruders Opposition gegen das Naziregime echt ist», schreibt Zuckmayer in dem mit 30 Zeilen recht knappen Porträt. «Ernst Jüngers Kriegsverherrlichung hat nichts mit Aggression und Weltbeherrschungsplänen zu tun - sein Herren-Ideal nichts mit demagogischem Unsinn à la Herren-"Rasse".»

Manchmal habe Zuckmayer aber auch daneben gelegen, meint Nickel und nennt als Beispiel die seiner Meinung nach zu positive Charakterisierung des Regisseurs Veit Harlan, der den antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß" drehte. «Da schlägt die Informationslücke zu.» Aus diesem Grund sei der «Geheimreport» nach einer Vereinbarung mit Zuckmayers Tochter auch bislang für jede Einsichtnahme gesperrt gewesen, erklärt Nickel - der Text sollte nicht ohne Einordnung und den Hinweis auf Fehler erscheinen.

Der 1896 im rheinhessischen Nackenheim geborene Zuckmayer hatte von 1925 an in Berlin großen Erfolg als Theaterautor, unter anderem mit «Der fröhliche Weinberg» und dem «Hauptmann von Köpenick», die beide später verfilmt wurden. Nach 1933 wurden unter den Nazis die Theaterstücke des «Halbjuden» Zuckmayer nicht mehr gespielt. Er zog sich zunächst nach Österreich zurück und floh nach dem «Anschluss» erst in die Schweiz und 1939 in die USA, wo er schließlich eine Farm pachtete. «Zuckmayer war bei seinen Dossiers also auf indirekte Quellen und seine früheren Erfahrungen angewiesen», sagt Nickel.

Zuckmayer lehnte die These einer Kollektivschuld aller Deutschen ab. «Er war überzeugt, dass es noch ein "anderes Deutschland" gibt», sagt Nickel. In dem Report entstehe ein «facettenreiches Bild von Verhaltensmöglichkeiten im Dritten Reich, wobei das Bild einer Kollektivschuld nicht bestehen kann».

Der Geheimdienst sah jedoch offenbar auch andere Verwendungsmöglichkeiten. «Tun Sie bitte Gerüchte, Geschichten, "dirt" (Dreck), etc. herein», schrieb Rado an den Künstler. «Vielleicht kann sowas noch gebraucht werden im Psychological Warfare (psychologische Kriegführung). Halten Sie sich nicht zurück.»

Folgen habe Zuckmayers Bericht für die Charakterisierten vermutlich nicht gehabt, meint Nickel. Zwar seien wohl schwarze Listen von Nazis angefertigt worden - diese wurden jedoch, berichtet ein OSS-Mitarbeiter, mit der Entdeckung der vollständigen NSDAP-Ordner überflüssig.