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Anders hören und wahrnehmen durch Musik

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Berlin (ddp). Musizieren sorgt nicht nur für Veränderungen im menschlichen Gehirn, musikalische Menschen hören auch anders. Dies ist das Thema eines Kongresses, der von Mittwoch bis Samstag in Berlin stattfinden wird.

Musikalische Menschen nehmen die Geräusche in ihrer Umgebung viel differenzierter wahr als die, die wenig mit Musik anfangen können. Forscher haben auch herausgefunden, dass sie durch bloßes Hinhören viel eher die Stimmung ihres Gegenübers einschätzen können als andere.

Mit der Präzision des Gehörs wächst die Zahl neuer Nervenverbindungen im Gehirn. Das Unglaubliche: Die Vernetzungen ließen sich bei Probanden schon nach 20-minütigem Klavierspiel nachweisen. Ein Experte auf diesem Gebiet ist Eckart Altenmüller, der Leiter des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Er wird seine neuesten Forschungsergebnisse beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vorstellen, der von Mittwoch bis Samstag in Berlin veranstaltet wird.

„Die Beschäftigung mit Musik führt zu Veränderungen im Hörsystem“, sagt der Fachmann, der sowohl Musik als auch Medizin studiert hat. Die sonst weitgehend unabhängig voneinander funktionierenden Zentren des Gehirns, die für die Bewegung und das Hören zuständig sind, würden beispielsweise beim Klavierspiel durch Nervenzellen miteinander verbunden. Das Gehör wird feiner, die Fingerfertigkeit wächst.

Dies sind nicht die einzigen positiven Effekte, die die Beschäftigung mit Musik oder regelmäßiges Singen im Chor bei einem Menschen bewirken. Zwar steigert dies nicht - wie früher angenommen - den Intelligenzquotienten, dafür aber seine Konzentrationsfähigkeit und seine soziale Kompetenz. Diese Vorzüge dürften allein in Deutschland etwa acht Millionen Menschen kennengelernt haben, die regelmäßig singen oder ein Instrument spielen. „Nur drei Prozent der Deutschen interessieren sich gar nicht für Musik“, weiß der Experte.

Vor allem bei Kindern, die in der Gruppe musizieren, wird Altenmüller zufolge die Aufmerksamkeit geschult: „Sie lernen auch besser, auf andere Menschen einzugehen.“ Musikalische Kids lechzten auch nicht sofort nach einem Erfolgserlebnis. Sie lernen mit dem Spielen eines Instruments, an einer Sache dran zu bleiben, auch wenn die Fortschritte anfangs klein sind. Das Singen trainiert Altenmüller zufolge ebenfalls das Gehör und könne bei Kleinkindern den Spracherwerb fördern. Nachweisbar stärke das Singen im Chor auch die Abwehrkräfte im Körper.

Wer musiziert, bleibt im Alter geistig und körperlich länger fit. «Durch das Spielen eines Instruments werden die Muskeln, die Feinmotorik und die Rechts-Links-Koordination trainiert», berichtet der Professor. Meist seien musikalische Menschen psychisch stabiler als ihre Mitmenschen. Bekommen sie einen Schlaganfall, seien die Lähmungserscheinungen und der Verlust der Sprache wegen ihrer zahlreichen Vernetzungen im Gehirn oft nicht so schlimm wie bei anderen, sagt Altenmüller.

Auch Hans Bäßler, Vizepräsident des Deutschen Musikrates, kennt aus seiner Berufspraxis die positiven Auswirkungen der Musik auf den Menschen. „Wer ein Instrument spielt, bekommt ein größeres Durchhaltevermögen, kann Frustration besser überwinden und sich mehr über Erfolge freuen“, sagt er. Musikalische Schüler, weiß der Schulmusiker, lernen viel intensiver und zielgerichteter, sind oft viel teamfähiger als andere Kinder. Ältere Menschen sähen durch das Musizieren häufig viel mehr Sinn im Leben als ihre gleichaltrigen Mitmenschen.

„Mit Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass die Sympathiewerte bei musizierenden Kindern ansteigen“, weiß Matthias Pannes, Bundesgeschäftsführer des Verbandes deutscher Musikschulen, in Bonn. Wenn Musik im frühkindlichen Alter überhaupt keine Rolle spielt, fehle dem Kind bei seiner Entwicklung eine kreative Komponente. „Die Freude an der Musik bewegt alle - vom Kind bis zum älteren Menschen“, sagt der Musikpädagoge. Musikalischen Menschen falle es wegen ihrer höheren Auffassungsgabe oft leichter, eine Fremdsprache zu erlernen. Das Klavierspiel erhalte im Alter die Beweglichkeit der Finger und beuge Krankheiten wie Arthrose vor. Auch bei Demenzkranken sei Musik eine anerkannte Therapiemethode.

Für alle Menschen, die sich für musikalisch völlig talentfrei halten, hat Bäßler eine freudige Botschaft: „Die meisten Menschen sind schulbar.“ Gänzlich unmusikalisch sei nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz. Der Rest müsse nur richtig an die Musik herangeführt werden.

- Von Susann Huster
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