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Bürgerschaftliches Engagements als Gesellschaftspolitik

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Olaf Zimmermann, Gabriele Schulz

Bürgerschaftliches Engagements als Gesellschaftspolitik – Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement


1. Einleitung

Kaum ein Thema hat in den letzten Jahren eine solche Aufmerksamkeitssteigerung erlebt, wie die Diskussion um das bürgerschaftliche Engagement. Galten noch fünf Jahren Vereine als verstaubt, wurde die Vereinsmeierei ins Lächerliche gezogen und auf den Markt oder den Staat vertraut, so rücken heute die in Vereinen und Verbänden organisierten Bürgerinnen und Bürger in das Blickfeld von Politik und Verwaltung.

Am Anfang der Diskussion um bürgerschaftliches Engagement stand ein Schock. Die Eurovol-Studie (Gaskin, Smith, Paulwitz u.a. 1996) förderte zu Tage, dass die Bundesrepublik eines der Schlusslichtern im bürgerschaftlichen Engagement bildet. Auf der Rangskala der untersuchten Länder sah sich die Bundesrepublik auf dem drittletzten Platz angesiedelt. Noch niedriger war das bürgerschaftliche Engagement nur noch in Bulgarien und Slowenien. Dies Ergebnis stachelte den Forschergeist an und verschiedene Befragungen, so zuletzt die große Bevölkerungsumfrage zum Ehrenamt, die im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt wurde, (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2000 a, b, c) lassen uns heute erleichtert aufatmen, dass Deutschland den Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht zu scheuen braucht.

Ist die Diskussion um bürgerschaftliches Engagement, sind die zahlreichen Kommissionen, Forschungsvorhaben und Untersuchungen also nur ein Sturm im Wasserglas? Wir glauben: nein. Unseres Erachtens bedeutet die Diskussion um bürgerschaftliches Engagement auch eine Neujustierung unserer Gesellschaft, eine Verständigung darüber, wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll und eine Vergewisserung des Verhältnisses von Drittem Sektor, Staat und Markt.

2. Bürgerschaftliches Engagements im Dreieck Dritter Sektor – Staat -Markt

2.1 Definition bürgerschaftlichen Engagements

Im Zuge der politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatte zum bürgerschaftlichen Engagement ist eine Begriffsvielfalt entstanden, die kaum mehr zu überschauen ist. Da wird das „freiwillige Engagement“ vom „Ehrenamt“ abgegrenzt, da gilt es zwischen „altem“ und „neuem Ehrenamt“ zu unterscheiden, da sind scharfe Trennungen zwischen bürgerschaftlichem Engagement als Zeit- oder als Geldspende auszumachen. Diese Begriffsvielfalt führt zu einer mitunter babylonisch anmutenden Begriffsverwirrung.

Wir verstehen in diesem Beitrag unter bürgerschaftlichem Engagement grundsätzlich die Spende von Zeit und/oder von Geld. Dabei ist sekundär, in welchen institutionellen Rahmen dieses Engagements eingebettet ist. D.h. es kann sowohl in Form einer aktiven Vereinsmitgliedschaft erfolgen als auch als punktuelles, zeitlich begrenztes Engagements in einer Initiative. Ebenso fassen wir unter dieses Engagements auch die Aktivitäten von Stifterinnen und Stiftern, die entweder selbst eine eigenständige Stiftung gründen oder aber sich an einer Bürgerstiftung beteiligen.

Damit fassen wir bürgerschaftliches Engagement weiter als das klassische Ehrenamt. Unter Ehrenamt wird nach wie vor das zeitliche Engagement von Bürgerinnen und Bürgern verstanden, dass zumeist an Vereine gebunden erfolgt. Unseres Erachtens würde eine Verengung des Begriffs bürgerschaftliches Engagement auf das Ehrenamt zu einer Verkürzung des tatsächlichen Engagementpotenzials führen. Denn gerade in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass viele Bürgerinnen und Bürger ihr Engagement für die Gesellschaft in der Gründung von Stiftungen äußern (Sauerbrey 2000).

In den vergangenen Jahren hat sich darüber hinaus eine Art organisatorischer „Zwitter“ zur Spende von Zeit und der Spende von Geld gebildet: die Bürgerstiftung. Zum Aufbau von Bürgerstiftungen stiften Bürgerinnen und Bürger zum einen Geld. Dieses dient dazu, einen Kapitalstock zu bilden, damit die Stiftung als solche überhaupt genehmigt werden kann. Zum anderen engagieren sich viele Bürgerstifterinnen und –stifter zusätzlich ehrenamtlich in ihrer Bürgerstiftung und ermuntern andere Bürgerinnen und Bürgern es ihnen gleich zu tun und somit den Projekten zum Erfolg zu verhelfen (zu den Bürgerstiftungen siehe: Bertelsmann-Stiftung 2000 sowie www.buergerstiftungen.de oder www.stiftungen.org). In Bürgerstiftungen ist also beides willkommen, die Spende von Zeit und die Spende von Geld. Sie sind in ihrer Organisationsstruktur eine Mischung zwischen dem klassischen Verein und der klassischen mitgliederlosen Stiftung.

Bürgerschaftliches Engagement ist breit gefächert und vielschichtig. Es kann das langfristige ehrenamtliche Engagement in einem Verein bedeuten, es kann im projektbezogenen Engagement in einer Bürgerstiftung seinen Ausdruck finden, es kann die Spende von Geld für einen Förderverein eines Museums beinhalten, es kann in der Errichtung einer Stiftung gipfeln.

Streng abgrenzen möchten wir bürgerschaftliches Engagement von der Tätigkeit in und für private Haushalte und damit auch von der Nachbarschaftshilfe. Wir sind uns bewusst, dass es Überlappungen der Engagementformen gibt, dass auch die Nachbarschaftshilfe einen formelleren Rahmen annehmen kann, dennoch sind wir der Auffassung, dass bürgerschaftliches Engagement nicht ausufernd verstanden werden darf, sondern der Abgrenzungen bedarf.

Dieser Abgrenzung zur Folge findet das bürgerschaftliche Engagement, so wie wir es verstehen, im Dritten Sektor statt. Das heißt in jenem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich, der zwischen Markt und Staat steht. Zimmer (1996, 87) versteht unter Organisationen des Dritten Sektors Einrichtungen, die:

 „über eine formal rechtliche Organisationsform verfügen und auf Dauer angelegt sind,
 keine öffentliche Einrichtung darstellen bzw. Teil der öffentlichen Verwaltung sind,
 sich selbst verwalten und über eine von anderen Einrichtungen (Ämtern, politischen Gremien) unabhängige Führungsstruktur verfügen,
 keine eigenwirtschaftlichen Ziele verfolgen und dem nonprofit-constraint unterliegen,
 nicht voll-professionalisiert sind bzw. bei denen eine Mitarbeit Ehrenamtlicher erwünscht ist.“

Nach dieser Definition gehören sowohl Vereine und Verbände als auch Stiftungen aber auch auf Dauer angelegte Arbeitsgemeinschaften oder Initiativen zu den Organisationen des Dritten Sektors.

2.2 Das neue Interesse am Bürger

Lässt man die Debatten zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements Revue passieren, so fällt insbesondere das staatliche Interesse am bürgerschaftlichen Engagement auf. Obwohl das bürgerschaftliche Engagement gerade nicht dem Staat zu zurechnen ist, machen sich insbesondere staatliche Instanzen und hier ganz besonders die Verwaltung Gedanken, wie die Bürgerinnen und Bürger zu mehr Engagement ermuntert werden können. Teilweise entdeckt die Verwaltung die Bürgerinnen und Bürger nicht nur, sondern weiß zugleich, wie bürgerschaftliches Engagements am besten funktionieren könnte und welcher Organisationsformen es bedarf.


Einen Anfang in dieser Diskussion machte im Kulturbereich der Kulturausschuss des Deutschen Städtetags mit seiner Hanauer Erklärung „Kulturpolitik und Bürgerengagement“ vom 23.10.1997 (Deutscher Städtetag 1997). Hier haben sich Wahlbeamte, nämlich die für Kultur zuständigen Dezernenten der Mitgliedsstädte des Deutschen Städtetags, Gedanken darüber gemacht, wie künftig bei immer knapper werdenden finanziellen Ressourcen die Bürgerinnen und Bürger einen Beitrag zum Erhalt von Kultureinrichtungen beitragen können.

Dieser Vorstoß vom Kulturausschuss des Deutschen Städtetags wurde zunächst vielfach zurückgewiesen. In den Kultureinrichtungen wurde das Engagement der „Dilettanten“ gefürchtet. Die öffentliche Kulturfinanzierung schien in Gefahr zu geraten und bevor solch ein Dammbruch eintritt, wurden nochmals alle erdenklichen Abwehrmaßnahmen mit Argumenten wie z.B. dem Erhalt der Qualität nur durch Profis getroffen.

Heute gut vier Jahre nach der Verabschiedung der Hanauer Erklärung wird gerade in den kommunalen Kultureinrichtungen bürgerschaftliches Engagement als willkommener Rettungsanker gesehen. Die bereits zuvor schon existierenden Fördervereine von Museen, Bibliotheken und Theatern haben an Bedeutung gewonnen, da nur sie teilweise noch verhindern können, dass zum Beispiel eine öffentliche Bibliothek nicht zum modernen Antiquariat wird. Darüber hinaus gewinnt das ehrenamtliche Engagement, trotz verschiedener Vorbehalte der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an Bedeutung.

Auf der Landesebene haben sich die Mehrzahl der Landesregierungen der Fragestellung des bürgerschaftlichen Engagements angenommen. So wurden Untersuchungen zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements angestellt, Tagungen und Konferenzen durchgeführt und einige Länder haben in den für Jugend, Soziales etc. zuständigen Ministerien oder auch in den Staatskanzleien Referate eingerichtet, die sich mit der Stärkung des ehrenamtlichen Engagements befassen sollen. Eine Vorreiterrolle hat das Land Baden-Württemberg übernommen. Hier ist im Sozialministerium eine Geschäftsstelle eingerichtet, die das „Landesprogramm Bürgerschaftliches Engagement“ koordiniert.

Auf der Bundesebene bestehen bereits seit mehreren Jahren sowohl in der CDU/CSU-Fraktion als auch in der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag Arbeitsgruppen, die das Thema ehrenamtliches Engagements diskutieren. Die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung im Jahr 1997 war der Startschuss für eine intensivere Befassung des Parlamentes mit der Frage (Deutscher Bundestag 1997). Das federführende Bundesministerium zur Beantwortung der Großen Anfrage, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ist seither intensiv mit der Bearbeitung der Fragestellung befasst und hat durch die Beauftragung verschiedener Studien zu einer empirischen Fundierung der Diskussion beigetragen (siehe hierzu z.B. Beher 1998 und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2000 a, b, c)

Mit der Einrichtung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ zeigen die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, dass es ihnen ernst ist mit der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und dass sie die Rahmenbedingungen für dieses Engagements verbessern wollen (aktuelle Informationen zur Arbeit der Enquete-Kommission unter: http://www.bundestag.de/gremien/enga/index.html oder auch in den kontinuierlich erscheinenden Handbüchern der Enquete-Kommission). Die Enquete-Kommission hat laut Einsetzungsbeschluss (Deutscher Bundestag 1999) u.a. die Aufgabe, Handlungsempfehlungen zu entwickeln, wie die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement verbessert werden können. Hauptadressat der Enquete-Kommission ist der Gesetzgeber auf der Bundesebene.

Das Internationale Jahr der Freiwilligen im Jahr 2001 (www.ijf.de) stellt zusätzliche Anforderungen an die Bundesregierung. Das federführende Ressort, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat mit der Einrichtung einer Geschäftsstelle und der Bildung eines Beirates aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen den institutionellen Rahmen zur Vorbereitung bundesweiter Aktivitäten zum freiwilligen Engagements geschaffen. Mit Hilfe zahlreicher Kampagnen unter dem Motto „Was ich kann, ist unbezahlbar“ soll auf das bürgerschaftliche Engagement aufmerksam gemacht werden. Auffällig ist hier, dass dem dauerhaften Engagement in festen Strukturen wie Vereinen eher reserviert gegenüber gestanden wird. Im Nationalen Beirat zum Internationalen Jahr der Freiwilligen, dem die Autoren angehören, wird von den Machern der Kampagne immer wieder das so genannte „neue“ Ehrenamt beschworen und das alte Vorurteil der verstaubten Vereinsmeierei wieder hervorgeholt.

Eine andere Form der Entdeckung bürgerschaftlichen Engagement wurde im Zuge der Reform des Stiftungssteuerrechts insbesondere vom damaligen Staatsminister für Kultur und Medien Michael Naumann propagiert. Um den „Knoten des Haushaltsrechts“ zu durchschlagen, sollte öffentliche Kultureinrichtungen in Stiftungen überführt werden. Der besondere Clou bei dieser Überführung sollte sein, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nach der Stiftungserrichtung finanziell an den Stiftungen durch Zustiftungen beteiligen sollten, ohne jemals an den Stiftungsorganen angemessen beteiligt zu werden. Hier zeigt sich unserer Meinung nach die Kehrseite der Debatte um das bürgerschaftliche Engagement. Bürgerinnen und Bürger werden für staatliche Zwecke in den Dienst genommen und die Grenzen zwischen Staat und Drittem Sektor werden verwischt. Den aktiven Bürgrinnen und Bürger wird vielfach die gleichberechtigte Mitwirkung versagt.

Denn so notwendig die ungezählten Aktivitäten von Ministerien der Landes- oder Bundesebene, die zahlreichen parlamentarischen Initiativen in den Landtagen und im Deutschen Bundestag sind, bürgerschaftliches Engagement kann sich nur in der Selbstorganisation der Bürgerinnen und Bürger äußern. Insofern bleibt als Mittel des Staates zur Aktivierung des bürgerschaftlichen Engagements nur die Gestaltung der Rahmenbedingungen.

2.3 Exkurs: Traditionslinien des Bürgerschaftlichen Engagements

Um das heutige bürgerschaftliche Engagement besser zu verstehen, lohnt unseres Erachtens ein Blick in die Geschichte dieses Engagement. Wir konzentrieren uns dabei in erster Linie auf den Kulturbereich.

Die Tradition des bürgerschaftlichen Engagement reicht bis in das 18. Jahrhundert zurück. Bereits in dieser Zeit mit der Gründung der Lesegesellschaften schlossen sich Bürger zusammen, um eine emanzipatorische Gegenkultur zum Feudalismus zu begründen. In den Lesegesellschaften, die zugleich Debattierclubs waren, versammelte sich das entstehende Bildungsbürgertum. Im 19. Jahrhundert wurden diese Traditionen fortgesetzt und fanden nun auch in anderen Bereichen Verbreitung. Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang aus dem Kulturbereich an die Kunstvereine, die sich zum einen zum Ziel setzten, zur Geschmacksbildung im aufstrebenden Bürgertum beizutragen und zum anderen Künstler fördern wollten (zur Bedeutung der Vereine in der Kultur und Kulturpolitik des ausgehenden 19. Jahrhundert siehe: Mommsen 2000). Weitere wichtige Institutionen aus dem 19. Jahrhundert sind die Musikvereine der Instrumental- und der Vokalmusik sowie die Theatervereine, sei es als Theaterbesucherorganisationen oder als Laienspielgruppen.

Vereine waren darüber hinaus die Antriebskraft zur Gründung zahlreicher Museen und Theater. In den Kulturvereinen organisierte sich u.a. die gehobene Beamtenschaft. Es entstand hieraus eine enge Verbindung zwischen Kommunalpolitik und Vereinen, die ein kulturelles Leben der Bürger in der Stadt erst entstehen ließen. Viele Kultureinrichtungen, die für uns heute ein nicht fortzudenkender Teil der kommunalen Kulturpolitik und Kulturversorgung einer Stadt sind, gehen auf Initiativen von Vereinen zurück. Sie gingen erst später in die Trägerschaft der öffentlichen Hand über.

Kulturvereine hatten bei ihren Aktivitäten die Nation als Kulturnation mit im Blick. Deutschland definierte sich bis zur Reichsgründung 1871 vornehmlich über die gemeinsame Kultur. Als logischer Schlussfolgerung wurde nach der Reichsgründung der nationalen Kultur als identitätsstiftendem Moment eine herausragende Bedeutung beigemessen. Museen, die Denkmalkultur und anderes mehr hatten u.a. die Funktion, die Nation zu festigen. Verschiedene Kulturvereine hatten sich daher zum Ziel gesetzt, zur Errichtung von Denkmälern ihren Beitrag zu leisten und auf diese Weise zur Festigung der Kulturnation und der deutschen Nationalkultur beizutragen. Vereine und staatliche Kulturpolitik waren also im 19. Jahrhundert aufeinander bezogen. Dieses Wechselverhältnis zwischen Vereinskultur und Staat setzt sich bis heute fort.

Die Vereinskultur im 19. Jahrhundert war durch konfessionelle und durch Standesunterschiede geprägt. So fand sich das Bürgertum in eigenen Vereinen zusammen und ebenso die Arbeiterschaft in ihren Organisationen. So grenzten sich die evangelischen von den katholischen und nicht-konfessionellen Organisationen ab und umgekehrt. Diese Klassen- und konfessionellen Unterschiede durchziehen die unterschiedlichsten Bereiche der Vereinskultur. Sie sind im Kulturbereich ebenso zu finden wie im Sport, in der Wohlfahrtspflege oder auch in den Jugendorganisationen.

Bis heute wirken die Traditionslinien der Vereine und Verbände fort, auch wenn konfessionelle Bindungen inzwischen eine geringere Rolle spielen und von einer Arbeiterschaft und dem Bürgertum im Sinne des 19. Jahrhunderts nicht mehr die Rede sein kann. Dennoch sind die Wurzeln in vielen Organisationen noch zu verspüren und bilden einen wesentlicher Teil der Identität der jeweiligen Organisationen. Auch heute noch wird die Arbeiterwohlfahrt anders wahrgenommen als Diakonie oder Caritas, um ein Beispiel aus der Wohlfahrtspflege zu nennen. Oder als Beispiel aus dem Kulturbereich unterscheidet sich der Allgemeine Cäcilienverband vom Deutschen Sängerbund oder vom Verband evangelischer Kirchenchöre deutlich.

Neben den genannten Organisationen, die sich entweder auf den Freizeitbereich bezogen (Sport, kulturelle Vereinigungen) oder aber in der Wohlfahrtspflege aktiv waren, wurden im 19. Jahrhundert Berufsverbände, Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen und Parteien gegründet. Auch in diesen Organisationen gab es vielfach konfessionelle Differenzierungen. Diese Organisationen verfolgten in der Regel ein explizites gesellschaftspolitisches Interesse. D.h. ihre Tätigkeit reicht über die Artikulation und Vertretung von Interessen ihrer Mitglieder hinaus.

Bürgerschaftliches Engagement gründet also auf einem emanzipatorischen Moment und ist gesellschaftsbezogen. Bürgerschaftliches Engagement ist verknüpft mit der Entstehung eines selbstbewussten Bürgertums und einer selbstbewussten Arbeiterschaft. Bürgerschaftliches Engagement beinhaltet dabei immer auch einen Anspruch auf Bildung.

Das emanzipatorische, nicht-staatliche Moment des bürgerschaftlichen Engagements gilt neben dem oben aufgeführten Engagement in Vereinen gleichermaßen für das Stiftungswesen. Gerade im 19. Jahrhundert nahm das Stiftungswesen einen beträchtliche Aufschwung. Insbesondere in den Freien Reichsstädten also Städten wie Frankfurt/Main, Hamburg und anderen gab es eine Kultur des wohlhabenden Bürgertums, für mildtätige, kulturelle oder wissenschaftliche Zwecke Stiftungen zu errichten.

Ein Bruch in der Tradition des bürgerschaftlichen Engagements ist das Dritte Reich. Viele Verbände wurden aufgelöst, andere gingen in nationalsozialistischen Organisationen auf. Stiftungen, die von Juden begründet waren, wurden zumeist zerstört. Einige Hochschulen gehen auf solche Stiftungsgründungen zurück.

Die Wunden, die durch den Nationalsozialismus im bürgerschaftlichen Engagements geschlagen wurden, waren sehr tiefreichend. Das schneller Wiederaufleben des Vereinslebens in der bundesdeutschen Nachkriegszeit hat diese Zäsur nur überdecken können. Es konnte eben nicht nahtlos an ein Engagement für die Gesellschaft angeknüpft werden.

Viel Energie wurde in den Wiederaufbau der Wirtschaft investiert. Das Vereinsleben war zwar ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens, seine emanzipatorische Bedeutung nahm aber ab.

In den darauffolgenden Jahrzehnten bis zum Ende der 70er Jahre wurde gesellschafts- und kulturpolitisch dem Staat eine wachsende Bedeutung beigemessen. Kultur für alle – wie eines der wichtigen Schlagworte jener Zeit lautete – hieß den Ausbau der staatlichen Kulturförderung. Es bedeutete auch, über die Einrichtungen der Hochkultur hinaus neue Räume für kulturelle Betätigung und Rezeption zu eröffnen.

Mit dem Beginn der Soziokultur und hier insbesondere den soziokulturellen Zentren, die den neuen sozialen Bewegungen entstammen, erhielt das bürgerschaftliche Engagements in der Kultur eine neue Ausdrucksform. Aus Initiativen wurden Vereine und ein Prozess der Etablierung begann. Die Stadtpolitik, die kommunale Kulturpolitik reagierte darauf und heute gehört die Soziokultur längst zum festen Bestandteil der kommunalen Kulturpolitik. Aus bürgerschaftlichem Engagements heraus erwuchs, der erste Mal im bundesdeutschen Nachkriegsdeutschland, wieder ein neuer Teil des kulturellen Lebens.

In der DDR verlief der Weg anders. Hier gründeten sich direkt nach 1945 viele Vereine neu oder lebten wieder auf. Erst ab 1950 fand eine verstärkte Durchdringung des bürgerschaftlichen Engagement durch Staat und Partei statt. Bürgerschaftliches Engagement äußerte sich fortan in erster Linie in den Massenorganisationen. Die so genannten „gesellschaftliche Aktivitäten“ und „ehrenamtliche Funktionen“ haben die DDR-Gesellschaft tief durchdrungen und nur wenige DDR-Bürgerinnen und DDR-Bürger konnten oder wollten sich diesen Aktivitäten entziehen. Bürgerschaftliches Engagement in der DDR war aber nicht nur durch Zwang geprägt, wie es vielfach beschrieben wird. Bürgerschaftliches Engagement in der DDR bedeutete auch die Schaffung von Freiräumen, den Drang nach Gestaltungswillen und Selbstverwirklichung.

Ende der 80er Jahre mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Situation in der DDR bildeten sich im Umkreis der Evangelischen Kirche zahlreiche informelle Gruppen, die schließlich zur „friedlichen Revolution“ einen entscheidenden Beitrag leisteten. Die Bedeutung dieses bürgerschaftlichen Engagement, dass sich zum erheblichen Teil auf eine tiefgreifende Reform der DDR-Gesellschaft richtete, kann in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Die Vereinigung beider deutscher Staaten bedeutet für die alten Bundesländer, dass fast alles so weiterging wie bisher außer vielleicht, dass der Solidaritätszuschlag erhoben wurde. In den neuen Ländern setzte ein Transformationsprozess ein mit gravierenden Änderungen im Leben jedes Einzelnen. Alles, was bislang Gültigkeit besessen hat, schien nichts mehr wert zu sein. Jeder Einzelne muss sich neu zurecht finden, das reichte vom entschneidenden Verlust des Arbeitsplatzes bis zu so scheinbar banalen Fragen wie den Abschlüssen von Versicherungsverträgen und anderem mehr. Dieser Transformationsprozess ist noch nicht abgeschlossen.

Was das bürgerschaftliche Engagement anbelangt, so gibt es sehr unterschiedliche empirische Befunde. Die Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kommt zu dem Schluss, dass sich die Engagementbereitschaft in den neuen Ländern kaum von der in den alten unterscheidet. Auch in den Motiven für bürgerschaftliches Engagement sowie in den wahrgenommenen Engagementbereichen waren – zur Überraschung der Empiriker – bei der Bevölkerungsumfrage zum Bürgerschaftlichen Engagement nur geringfügige Unterschiede erkennbar (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2000, b).

Andere Wissenschaftler, so z.B. Priller kommen bei der Auswertung von Daten des sozio-ökonomischen Paneels zu dem Ergebnis, dass das Engagement in Ostdeutschland unter dem in Westdeutschland liegt. Unbestritten ist, dass das bürgerschaftliche Engagement in Ostdeutschland in größerem Maße als in Westdeutschland durch hauptamtliche Kräfte unterstützt wird. Da diese hauptamtlichen Kräfte selbst sehr häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt sind, fehlt oftmals die Kontinuität.

Mit Blick auf die Vereinslandschaft ist zumindest für den Kulturbereich festzustellen, dass nach 1990 in vielen Fällen eine Übertragung der westdeutschen Vereinsstrukturen nach Ostdeutschland stattfand. Westliche Vereine leisteten „Entwicklungshilfe“ und unterstützten ihre Schwesterorganisationen nach westdeutschem Vorbild. Eine Zusammenarbeit beispielsweise von Kulturbund, immerhin der mitgliederstärksten Kulturorganisation in den neuen Ländern, und westdeutschen Verbänden fand auf formeller Ebene nicht statt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bürgerschaftliches Engagement einen emanzipatorischen Charakter hat. Es entsteht aus der Selbstorganisation der Bürgerinnen und Bürger, die zu ihrem Freizeitvergnügen oder aber auch aus gesellschaftspolitischem Antrieb heraus etwas bewegen wollen. Bürgerschaftliches Engagement ist die formalisierte Einmischung der Bürgerinnen und Bürger in die Gesellschaft.

2.4 Grundlage Subsidiaritätsprinzip: Bürgerschaftliches Engagement und Staat

Nach dem Subsidiaritätsprinzip darf staatliches Handeln erst dann einsetzen, wenn kleinere Einheiten Aufgaben aus eigener Kraft nicht erfüllen können. Das heißt zuerst, dass sich der Bundesstaat gegenüber kleineren und untergeordneten Gliederungen, also Ländern, Kreisen, Kommunen und Selbstverwaltungseinrichtungen zurücknehmen muss. Wenn sie ihre Aufgaben aus eigener Kraft nicht erfüllen können, kann der Bundesstaat diese nicht sogleich an sich ziehen, sondern muss Hilfen zur Erfüllung dieser Aufgaben leisten.

Aus diesem Subsidiaritätsprinzip ist auch die staatliche Unterstützung von Organisationen des Dritten Sektors abzuleiten. Besonders augenfällig ist dies im Wohlfahrtsbereich. Neben den Leistungsentgelten, die die Wohlfahrtsverbände für ihre Dienstleistungen erhalten, den Mitgliedsbeiträgen sowie Entgelten für den Verkauf von Waren wie Publikationen werden die Wohlfahrtsverbände staatlich unterstützt. Mit dieser Unterstützung bezahlt der Staat sozusagen seine eigenen Kritiker, da die Wohlfahrtsverbände als Anwälte der Menschen auftreten, die sich ansonsten nicht artikulieren können. So äußern sich die Wohlfahrtsverbände zu Fragen wie Armut, sozialer Sicherung und anderem mehr.

Die staatliche Unterstützung bedeutet aber nicht per se, dass diese Organisationen sich damit dem Staat angleichen oder staatlich handeln müssen. Die Prinzipien staatlicher Unterstützung haben aber vielfach zur Folge, dass Organisationen Formen staatlichen Handelns, im Sinne von bürokratischem Handeln, annehmen. Im Sozialbereich ist die Gründung von Selbsthilfeorganisationen auch ein Reflex auf das bürokratische Handeln von Wohlfahrtsverbänden.

Im Kulturbereich lassen sich vergleichbare Beispiele finden. Auch hier ist es so, dass zunächst die kleineren Einheiten wie Vereine Leistungen übernehmen. Da diese Organisationen vielfach nicht die Finanzkraft haben, um ihre selbstgestellten Aufgaben auch aus eigenen Mitteln erfüllen zu können, werden sie durch Förderungen der öffentlichen Hand unterstützt. Dabei unterstützen die Kommunen Organisationen vor Ort, die Länder landesweite Organisationen und der Bund Organisationen von gesamtstaatlicher Bedeutung. Auch diese Organisationen sind in ihren Entscheidungen ausschließlich der demokratischen Willensbildung ihrer Gremien verpflichtet. Sie sind Teil des Dritten Sektors und eben nicht dem Staat zu zurechnen.

Doch werden nicht nur Vereine und Verbände als Organisationen des Dritten Sektors von der öffentlichen Hand unterstützt. Es gibt auch den umgekehrten Weg der Förderung: Organisationen des Dritten Sektors unterstützen staatliche Institutionen. Beispiele aus dem Kulturbereich sind Fördervereine von Museen, Theatern oder auch Bibliotheken. Ohne das Engagement dieser Vereine würde so manche Inszenierung nicht stattfinden und wäre so manche Ausstellung nicht realisiert worden. Die Bürgerinnen und Bürger, die sich in den Fördervereinen engagieren, wollen, dass das kulturelle Leben ihrer Stadt reicher wird. Sie engagieren sich mit ihrem Geld und mit ihrer Zeit für ihr Museum, ihr Theater, ihre Bibliothek.

Das Subsidiaritätsprinzip wirkt hier also in die andere Richtung. Ergänzend zur staatlichen Förderung von Kultureinrichtungen tritt die private Förderung ein.

Neben diesem tradierten Engagement in Fördervereinen hat in den letzten Jahren das direkte ehrenamtliche Engagement in bestimmten Kultureinrichtungen zugenommen. Bürgerinnen und Bürger arbeiten unentgeltlich in Bibliotheken oder auch in Museen mit. Handlungsleitend ist dabei zumeist der Wunsch, einen Beitrag zum Leben dieser Einrichtungen zu leisten.

Staat und bürgerschaftliches Engagement sind also verbunden über das Subsidiaritätsprinzip, dass den kleineren Einheiten generell den Vorrang einräumt und die größeren Einheiten verpflichtet, die kleineren bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen.

2.5 Bürgerschaftliches Engagement und Markt

Das bürgerschaftliche Engagement ist zwar teilweise marktbezogen, verfolgt aber keine Gewinnmaximierung. Es ist vielmehr so, dass gemeinnützigen Organisationen ein enger Rahmen zur Erwirtschaftung von Mitteln gesetzt wird. Wirtschaftliches Handeln widerspricht diesem Rahmen nicht prinzipiell. Doch sind die Grenzen der Abgabenordnung einzuhalten. Begründet wird diese Eingrenzung mit den steuerlichen Vorteilen, die gemeinnützige Organisationen vor Unternehmen haben. Diese steuerlichen Vorteile sind nur zu rechtfertigen, wenn keine Konkurrenz der gemeinnützigen Organisationen zu Unternehmen entsteht und wenn erwirtschaftete Mittel wiederum dem gemeinnützigen Sektor zu Gute kommen.

Bürgerschaftliches Engagement findet aber auch im Grenzbereich von Markt und Dritten Sektor statt. Es kann in privatwirtschaftlich geführten Unternehmen seinen Ausdruck finden, die ihre erwirtschafteten Gewinne dem Non-Profit-Bereich zur Verfügung stellen. Im Kulturbereich heißt das, dass in einem Museumsshop, der unter privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt wird, es selbstverständlich möglich und durchaus auch anzutreffen ist, dass Bürgerinnen und Bürger sich engagieren, d.h. unentgeltlich dort tätig sind.

Ebenfalls können Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bürgerschaftlichem Engagements ermutigen. Gerade dieser Aspekt hat in der gesellschaftspolitischen Diskussion an Bedeutung gewonnen. Dabei sind zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Grundlage beider ist die prinzipielle Bejahung des bürgerschaftlichen Engagement. Von einigen Unternehmen wird befürchtet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich engagieren, häufigere Fehlzeiten aufweisen und daher in das Betriebsgeschehen nicht so eingebunden werden können wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Engagement. Streitpunkt in dieser Debatte sind z.B. Freistellungsregelungen für Engagierte. Auf der anderen Seite gibt es in verschiedenen Unternehmen gezielte Initiativen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesellschaftlich relevante Aufgaben übernehmen und sich engagieren. Teilweise werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Durchführung zeitlich begrenzter Aufgaben freigestellt. Diese Unternehmen erhoffen sich von dem Engagement ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Motivationsschub bei den Freigestellten und nicht zuletzt ein positives Image. Angeführt wird ferner, dass durch bürgerschaftliches Engagement die soziale Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbessert wird.

2.7 Organisationsformen Bürgerschaftlichen Engagements

Die am weitesten verbreitete und traditionellste Organisationsform für Bürgerschaftliches Engagements ist der eingetragene Verein. Die Bildung von Vereinen und Gesellschaften ist nach Art. 9 Abs. 1 Grundgesetz verbrieftes Recht aller Deutschen. Mit dieser Festschreibung wird deutlich, dass den Vereinen in der Bundesrepublik ein wichtiger Stellenwert eingeräumt wird.

Zur Gründung eines Vereins müssen sich sieben gleichgesinnte Personen zusammenfinden, die ein gemeinschaftliches Ziel verfolgen wollen. Mit der Gründung des Vereins treten die Einzelpersonen in Form des Vereines als eine Einheit auf. Die Vertretung des Vereines erfolgt durch den Vorstand. Ein Verein kann rechtsfähig sein oder auch darauf verzichten. Das Bürgerliche Gesetzbuch legt in den wesentlichen Grundzügen fest, welche Voraussetzungen ein Verein erfüllen muss. Bedeutsam für Vereine ist, dass sie prinzipiell jedem, der sich den Vereinszielen anschließen kann und will, offen stehen müssen.

Im Bürgerlichen Gesetzbuch sind auch die Stiftungen in den Grundzügen beschrieben. Die Verfahren zur Gründung einer Stiftung und die Genehmigung von Stiftungen werden durch die jeweiligen Stiftungsgesetze der Länder geregelt.

Ein Verein und auch eine Stiftung können die Gemeinnützigkeit anstreben. Die entsprechenden Regelungen hierfür sind in der Abgabenordnung zu finden. Voraussetzung für die Gemeinnützigkeit ist, dass die Tätigkeit des Vereins darauf abzielt, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Für diese (All-) Gemeinnützigkeit werden dem Verein vom Staat Vergünstigungen bei der Körperschaftssteuer, bei der Grund- und Erbschafts-/Schenkungssteuer sowie der Kapitalverkehrssteuer gewährt. Außerdem können Aufwandsentschädigungen bei bestimmten nebenberuflichen Tätigkeiten für gemeinnützige Vereine bis zu einer Höhe von DM 3.600,-- im Jahr steuer- und sozialversicherungsfrei sein und sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, können gemeinnützige Vereine empfangene Spenden bestätigt, so dass der Spender die Spende steuerlich geltend machen kann. Die Regelungen gelten für gemeinnützige Stiftungen gleichermaßen. Für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit sind die jeweiligen Finanzbehörden vor Ort zuständig.

Die Errichtung von Stiftungen oder die Zustiftung zu bereits bestehenden Stiftungen kann darüber hinaus von den Stifterinnen und Stiftern steuerlich geltend gemacht werden. So kann seit dem 01.01.2000, dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen“, die Ausstattung einer Stiftung mit Vermögen oder einer Spende steuerlich als Sonderausgabe bis zu 5% des steuerpflichtigen Einkommens immer geltend gemacht werden. Werden wissenschaftliche, mildtätige oder als besonders förderungswürdig anerkannte kulturelle Zwecke gefördert, so erhöht sich dieser Satz auf 10%. Darüber hinaus können Zuwendungen von bis DM 40.000,-- an Stiftungen privaten oder öffentlichen Rechts zusätzlich steuerfrei zugewendet werden. Wer ein großes Vermögen in eine Stiftung einbringt, kann dieses zusätzlich bis zu einer Höhe von DM 600.000,-- über eine Zeitraum von 10 Jahren steuerlich in Abzug bringen.

D.h. das bürgerschaftliche Engagements in und für gemeinnützige Vereine und Stiftungen wird vom Staat begünstigt. Vereine und Stiftungen nehmen also eine herausgehobene Position ein. Diese herausgehobene Position wird mit dem Wirken der gemeinnützigen Organisationen für die Gemeinschaft begründet.

Neben dem Engagement in den genannten formalisierten Organisationsformen findet bürgerschaftliches Engagement auch in lockeren Zusammenschlüssen, in Arbeitsgemeinschaften oder in Initiativen statt. Ferner ist das bürgerschaftliche Engagement nicht zwingend von der Mitgliedschaft in einem Verein abhängig. So erfolgt gerade die Geldspende vielfach organisationenunabhängig.

2.8 Zwischenbilanz – die gesellschaftspolitische Dimension bürgerschaftlichen Engagements

Bürgerschaftliches Engagement oder auch die Diskussion um das bürgerschaftliche Engagement ist im Aufwind. Dabei wird zumeist daran gedacht, wie sich Menschen ehrenamtlich engagieren oder durch die Spende von Geld einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten.

Bürgerschaftliches Engagements hat darüber hinausgehend auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Grundsätzlich bedeutet diese gesellschaftspolitische Dimension, dass sich Bürgerinnen und Bürger in demokratischen Zusammenschlüssen für gemeinschaftliche Ziele einsetzen.

Wird von der Ebene des direkten Engagements in Vereinen vor Ort abstrahiert, ist für die gesellschaftspolitische Dimension des bürgerschaftlichen Engagements die Aktivität von Verbänden relevant. In Hinblick auf die Rechtsform sind die meisten Verbände eingetragene Vereine, d.h. die bereits ausgeführten Bestimmungen hinsichtlich der Rechtsfähigkeit und der Gemeinnützigkeit gelten für Vereine wie Verbände gleichermaßen. Doch während sich der Verein zumeist auch durch ein geselliges Vereinsleben auszeichnet, richtet der Verband seine Tätigkeit auf die politische Einflussnahme im gesetzgeberischen Bereich.

In seiner Mitgliederstruktur baut der Verband häufig auf Vereinen auf. D.h. der Chor oder das Laienorchester vor Ort ist Mitglied im Regionalverband, die Regionalverbände eines Landes gehören wiederum dem Landesverband an und die Landesverbände schließen sich ihrerseits zum Bundesverband zusammen.

Die Landes- und Bundesverbände dienen dazu, die Interessen der Mitgliedsverbände zu erschließen, in Diskussionen zu Positionen zu bündeln und diese Positionen wiederum in die Politik einzubringen. Sie übernehmen damit in der Demokratie eine wesentliche Funktion der Meinungsbildung und
–vertretung.

Vor politischen Entscheidungen wird vielfach in Anhörungen von Fraktionen, Ausschüssen oder Ministerien die Position der von der jeweiligen Gesetzesänderung betroffenen Verbände angehört. In der Regel haben die Verbände darüber hinaus die Gelegenheit zuvor oder auch hinterher in schriftlichen Stellungnahmen ihre Position darzulegen.

Diese Einbindung von Verbänden in den Gesetzgebungsprozess soll gewährleisten, dass der Sachverstand aus den Verbänden in die Gesetzesentwürfe einbezogen wird. Ferner können so im Vorhinein Widerstände gegen gesetzliche Neuerungen ausgelotet werden.

Verbände sind darüber hinaus mit ihrer Arbeit eine wichtige Säule im demokratischen Gemeinwesen. Sie garantieren demokratische Legitimität und Kontinuität.

Verbände leben ebenso wie Vereine davon, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in ihnen engagieren. Ohne die Aktivitäten vieler Menschen, die ihre Zeit und ihr Geld in die Verbandsarbeit investieren, wäre der Fortbestand von Verbänden nicht möglich.

3. Rahmenbedingungen für Bürgerschaftliches Engagement

Bei den Rahmenbedingungen für Bürgerschaftliches Engagement müssen die Rahmenbedingungen in den Organisationen selbst, die gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie die verwaltungs- und haushaltsrechtlichen Vorschriften unterschieden werden. Alle drei bilden ein Gerüst, in welches das bürgerschaftliche Engagement eingepasst ist.

Dieses Gerüst bedarf der steten und kontinuierlichen Überprüfung. Denn nur wenn die Rahmenbedingungen stimmen, werden sich die Bürgerinnen und Bürger betätigen. Die in der Kompetenz des Bundes liegenden Rahmenbedingungen gelten für Ost- und Westdeutschland gleichermaßen. Sie bilden sozusagen das Gerüst für bürgerschaftliches Engagement. Nicht verkannt werden darf aber, dass in Ostdeutschland oftmals ein noch größerer Informationsbedarfs hinsichtlich des Umgangs mit den gesetzlichen Vorschriften besteht, als in Westdeutschland. Dies liegt in erster Linie darin begründet, dass in Westdeutschland eine längere Einübung im Umgang mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen vorhanden ist.

3.1 Veränderungsbedarf in den gesetzlichen Rahmenbedingungen

Im Bürgerlichen Gesetzbuch und in der Abgabenordnung wird abgesteckt, was ein Verein ist, wie er zu gründen ist und welche Vorzüge die Anerkennung der Gemeinnützigkeit haben kann. In der Einkommenssteuergesetzgebung wird der Rahmen der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an gemeinnützige Organisationen gestaltet.

3.1.1 Reform des Stiftungsrechts

In Hinblick auf die Debatte um die Reform des Stiftungsrechts wurden über die bereits umgesetzte Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen hinaus Veränderungen im Zivilrecht gefordert. Kerngedanke ist dabei, das zivilgesellschaftliche Engagement zu stärken und die staatliche Reglementierung einzuschränken. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist die Forderung nach einem Recht auf Stiftungen oder der Eintragung in ein Stiftungsregister anstelle der Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde.

Wir meinen, dass bei einer Reform des Stiftungsrecht die Definition von Stiftungen grundlegend sein muss. Stiftungen genießen zu Recht steuerliche Privilegien, sofern sie gemeinnützig sind. Stifterinnen und Stifter können mit gutem Grund ihre Zuwendungen an Stiftungen steuerlich geltend machen. Schließlich stellen sie ihr ganzes oder zumindest einen Teil ihres Vermögens unwiderruflich und ewiglich der Allgemeinheit zur Verfügung. Daraus folgt aber unseres Erachtens, dass das Institut der Stiftung klar umrissen sein. Stiftungen sollten als mitgliederlose Organisationen definiert werden, die aus den Erträgen ihres Vermögens dauerhaft gemeinnützige Zwecke fördern. Die Stiftung wäre damit klar von anderen Rechtsformen abgegrenzt und auf den gemeinnützigen Bereich festgelegt. Bestehende Stiftungen, die dieser strengen Definition nicht standhalten, genießen selbstverständlich Bestandsschutz.

Die Bedeutung von Stiftungen für Ostdeutschland hat der Bundesverband Deutscher Stiftungen sehr anschaulich in seiner Ausstellungsreihe „Stiftungen bauen Brücken“ vorgestellt. Diese Ausstellungsreihe zeigte die vorhandene, teilweise neu- oder wiedergegründete Stiftungslandschaft in den neuen Ländern und ermunterte zugleich zum Stiften. Das besondere Verdienst der Ausstellungsreihe ist dabei zu veranschaulichen, dass Stiftungen auch im Kleinen Großes bewirken können und nicht in jedem Fall ein großes Vermögen vorhanden sein muss.

3.1.2 Überprüfung der gemeinnützigen Zwecke

Noch weitgehender als die Definition von Stiftungen wäre eine Überprüfung der gemeinnützigen Zwecke. Hier sollte unseres Erachtens eine Begrenzung der gemeinnützigen Zwecke erfolgen.

Zwar gibt es bereits heute in der Abgabenordnung gemeinnützige Zwecke erster und zweiter Klasse, doch sind die Unterteilungen teilweise nicht nachvollziehbar. Die neuesten Bestimmungen zur Spendenabzugfähigkeit im Einkommenssteuergesetz haben gerade im kulturellen Bereich zu einer Klassifizierung der Organisationen geführt. Hier ist festzustellen, dass auf staatliches Handeln bezogene Organisationen gegenüber anderen bevorzugt werden. So bedeutsam dieses Engagements ist, so ist doch ebenso wenig einzusehen, wieso die Förderung eines Freien Theater weniger gemeinnützig sein soll als die Förderung eines Stadt- oder Staatstheaters.

3.1.3 Anrechnung von Rentenanwartschaften

Mit Blick auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement wird häufig die Forderung erhoben, dass diese Tätigkeit bei Rentenanwartschaften berücksichtigt werden sollten. Dies wird mit dem gesellschaftlichen Nutzen der Tätigkeit begründet und angeführt, das Engagierte - und dies gilt insbesondere für Frauen – keine oder nur geringere Rentenanwartschaften außerhalb des bürgerschaftlichen Engagements erwerben.

Eine solche Gesetzesänderung im Bereich der Sozialgesetzgebung kollidiert unserer Meinung nach mit dem Prinzip der Unentgeltlichkeit von bürgerschaftlichem Engagement. Ferner wird mit Blick auf Aufwandsentschädigungen gerade gefordert, dass diese nicht in die Sozialversicherungspflicht und damit auch die Rentenversicherung einbezogen werden. Der Erwerb von Rentenanwartschaften würde also der oben genannten Forderung entgegen stehen. Weiter sollte bedacht werden, dass auch auf Vereine ein nicht unbeträchtlicher Aufwand zukäme, denn sie müssten in geeigneter Form das Engagement bestätigen.

Die derzeitige Distanz gegenüber einer rentenrechtlichen Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements schließt nicht aus, dass bei einer prinzipiellen Diskussion zur Zukunft des Rentensystems die Anrechnung bürgerschaftlichen Engagements mit bedacht wird. Dies würde aber eine grundsätzliche Debatte um die Verbindung von Erwerbseinkommen und Rentenanwartschaften erfordern.

3.1.4 Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes

Dringend änderungsbedürftig ist das Arbeitsförderungsgesetz. Hier wird festgelegt, dass Arbeitssuchende dem Arbeitsamt zur Vermittlung zur Verfügung stehen müssen. Bürgerschaftliches Engagement, das einen bestimmten zeitlichen Rahmen überschreitet, wird vielfach als Mangel an Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt ausgelegt und kann zum Verlust der Arbeitslosenunterstützung führen.

Es ist geradezu widersinnig, dass das Engagement von Erwerbslosen bestraft wird, gegenüber denjenigen, die sich nicht für die Allgemeinheit engagieren. Zu berücksichtigen ist ferner, dass gerade das bürgerschaftliche Engagements oftmals eine wichtige Brücke zu sozialen Kontakten für Erwerbslose darstellt. Auch kann bürgerschaftliches Engagement den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben fördern.

Gerade in Ostdeutschland bildet das bürgerschaftliche Engagement oftmals eine Brücke zum Erwerbsleben. Für Engagierten erhoffen die im bürgerschaftlichen Engagement erworbenen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten bei der Suche nach Erwerbsarbeit gewinnbringend einsetzen zu können. Mit Blick auf die ältere Generation kann in Ostdeutschland fast schon von einem Arbeitsmarkt bürgerschaftliches Engagement gesprochen werden.

3.2 Verwaltungs- und haushaltsrechtliche Rahmenbedingungen

Ein großes Hemmnis für das bürgerschaftliche Engagement sind die verwaltungs- und haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen. Von großer Bedeutung sind hier Vorschriften, die den Umgang mit öffentlichen Mitteln regeln, also das Bundeshaushaltsrecht und die Verwaltungsvorschriften.

Konflikte entstehen vielfach aus der vereinsrechtlichen Autonomie von Vereinen und Verbänden und den zuwendungsrechtlichen Bestimmungen nach der Bundeshaushaltsordnung. So ist die Zuwendung eine freiwillige, im Ermessen der Verwaltung stehende Leistung. Die Bewilligung einer Zuwendung erfordert eine gründliche Prüfung der Antragsunterlagen, vor allem hinsichtlich der Notwendigkeit und Angemessenheit der Zuwendung. Der Verwaltung allein obliegt es auch zu prüfen, welche Form der Zuwendung angemessen ist. So entscheidet die Verwaltung, ob für den Verein die Fehlbedarfs- oder die Festbetragsfinanzierung angemessen ist. Das bedeutet in der Praxis, dass die Fehlbedarfsfinanzierung die vorrangige Förderungsform ist, da sie für den Zuwendungsgeber die meisten Vorteile hat und die Festbetragsfinanzierung, bei der die Vorteile beim Zuwendungsnehmer liegen, die Ausnahme darstellt.

In dem die Gewährung von Zuwendungen eine allein im Ermessen der Verwaltung stehende Leistung ist, können politische Entscheidungen beispielsweise von Haushaltsausschüssen der Parlamente oder Stadträte theoretisch außer Kraft gesetzt werden. Dass dies in der Mehrzahl der Fälle nicht geschieht, liegt an der immer noch vorhandenen, aber schwindenden, Durchsetzungskraft der Politik gegenüber der Verwaltung.

Das Subsidiaritätsprinzip, das unser Gemeinwesen auszeichnet, wird von der Verwaltung immer öfter in sein Gegenteil verkehrt. Es gilt nicht mehr als Argument für eine Förderung von Vereinen und Verbänden, sondern wird als ein Knebelinstrument eingesetzt. Das Subsidiaritätsprinzip wird als Grund angegeben, wenn die Verwaltung entscheidet, dass eine öffentliche Förderung immer nur ergänzenden Charakter haben darf. D.h. ein öffentlich geförderter Verein muss zuerst alle Eigenmittel einsetzen. Nach Verbrauch der Eigenmittel – oder wenn diese offensichtlich nicht reichen, um ein Vorhaben zu erfüllen – kann die öffentliche Hand eintreten.

Diese Anwendung des Subsidiaritätsprinzips bedeutet, dass Vereine und Verbände, die sich in erster Linie aus Zuwendungen finanzieren, ihre Haushaltsautonomie aufgeben müssen. Alle ihre Einnahmen müssen sie in den Haushalt einstellen, der durch öffentliche Mittel ergänzt wird. Die Verwendung der öffentlichen wie auch der eigenerwirtschafteten Mittel werden von der Behörde kontrolliert. D.h. im Klartext eine Behörde bestimmt, ob aus Mitgliedsbeiträgen ein Büro in Stadt X oder doch lieber in Stadt Y unterhalten wird. Eine Behörde befindet darüber, ob ein Essen von Verbandsvertreter X mit Verbandsvertreter Y bezahlt werden darf oder nicht. Eine Behörde urteilt darüber, ob die Reise nach A oder B für den Verband sinnvoll und notwendig war. Eine Behörde prüft, welches Gehalt die Angestellten erhalten und ob dieses angemessen oder zuviel ist. Diese Aufzählung ließe sich noch weiter fortsetzen. Die Prüfentscheidungen der Behörden richten sich dabei nicht nach inhaltlichen Zielen des Vereins sondern allein nach den haushaltsrechtlichen Bestimmungen.

In dem in den letzten Jahren vermehrt Verwaltungsaufgaben aus den Ministerien an nachgeordnete Behörden wie beispielsweise das Bundesverwaltungsamt „abgeschichtet“ wurden, wurde die Tendenz der fachfremden, im Sinne der den Inhalt des geförderten Projektes nicht berücksichtigenden Prüfung verstärkt. Als Erfolg wird die vermehrte Rückforderung von Zuwendungen bzw. eine geringere Verausgabung von Zuwendungen gefeiert. Ob sich diese Entwicklung für die Vereine und Verbände und damit das bürgerschaftliche Engagements ebenso positiv darstellt, wird nicht untersucht. Hier schließt die öffentliche Verwaltung ihre Augen, damit die Realität im Zuwendungsbereich ihre positive Bilanz nicht trübt.

Vereinsrechtlich bedeuten die ausschließlichen Haushaltsentscheidungen von Behörden, dass die Vereinsautonomie bei öffentlich geförderten Vereinen außer Kraft gesetzt wird und die satzungsgemäßen Gremien zwar noch Haushaltsbeschlüsse fassen dürfen, diese aber ohne Bedeutung für den Verein oder Verband sein können. Da Haushaltsentscheidungen zumeist den Mitgliederversammlungen obliegen und damit die Mitglieder einen sehr wichtigen Teil der Verbandssteuerung leisten, heißt dies nichts anderes, als dass die Haushaltssteuerung durch die Mitgliederversammlungen von den Zuwendungsbehörden in nicht wenigen Fällen aufgehoben wird.

Eine Folge einer solchen Auslegung des Subsidiaritätsprinzips ist, dass für öffentlich geförderte Vereine und Verbände überhaupt kein Anreiz besteht, eigene Mittel zu erwirtschaften. Zusätzliche Mittel müssen an die öffentliche Hand abgeführt werden und im schlimmsten Fall wird für das Folgejahr als „Belohnung“ die Förderung gekürzt. Das Beharren auf dem Status Quo wird belohnt, Aktivitäten werden abgetötet, da ein Verein nur unter größten Mühen die Abhängigkeit aufbrechen kann.

Diese Deutung des Subsidiaritätsprinzips hat eine Lähmung des bürgerschaftlichen Engagements zur Folge. Das finanzielle Engagement der Bürgerinnen und Bürger für einen Verein wird nicht belohnt, sondern der Verein bleibt bei seinem vorherigen Haushaltsniveau. Wie sollen bei diesen Voraussetzungen Bürgerinnen und Bürger dazu gewonnen werden, private Mittel für Kulturvereine zur Verfügung zu stellen?

Zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements wird es daher dringend erforderlich sein, das Haushaltsrecht zu reformieren. Die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags wird sich hinsichtlich der Verbesserung der Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagements dieser essentiellen Frage unbedingt annehmen müssen.

Haben schon die Organisationen des Dritten Sektors erhebliche Probleme mit den haushaltsrechtlichen Vorschriften, so gilt dies umso mehr für Kultureinrichtungen in der Trägerschaft der öffentlichen Hand. So kann es passieren, dass es einem Intendanten gelingt, zur Realisierung einer Inszenierung einen Spender zu finden, der nicht unerhebliche Geldmittel zur Verfügung stellt. Ein bürgerschaftliches Engagement, das zu begrüßen und zur Nachahmung zu empfehlen ist. Wenn diese zusätzlichen Mitteln, die aus Begeisterung für eine Inszenierung zur Verfügung gestellt werden, dann nach dem Willen der Kulturverwaltung die großen schwarzen Haushaltslöcher stopfen und nicht der Inszenierung zugute kommen soll, so wirkt dies geradezu kontraproduktiv. Welche Bürgerin, welcher Bürger möchte seine privaten Mittel zur allgemeinen Entlastung eines Etats zur Verfügung stellen? Die meisten möchten doch vollständig zu Recht wissen, was mit ihrem Geld bei der öffentlichen Hand geschieht, wie es genutzt wird.

Also auch hier ist zur Stärkung des Bürgerschaftlichen Engagements eine Entrümpelung der Vorschriften dringend von Nöten. Denn dass das Engagement der Bürgerinnen und Bürger gerade im Kulturbereich erforderlich ist, zeigt ein Blick in die Kassen der Gemeinden, Kreise, Länder und des Bundes.

3.3 Entbürokratisierung

Von den meisten Vereinen vor Ort wird als wichtigste Maßnahme die Entbürokratisierung gefordert. Vereinsvorstände, und zwar in Ost wie in West, fühlen sich überfordert von den Vorschriften im Steuerrecht, im Arbeitsrecht, sie sehen nicht ein, wieso GEMA-Gebühren gezahlt werden müssen und empfinden die gesamte Vereinsverwaltung als eine große Last mit geradezu unbegrenztem Risiko. Dieses führt dazu, dass immer weniger bürgerschaftliche Engagierte bereit sind, Vorstandsfunktionen zu übernehmen.

Unseres Erachtens wird es schwer sein, eine durchgreifende Entbürokratisierung zu erzielen. Vereine nehmen am Wirtschaftsleben teil. Sie sind teilweise Arbeitgeber und sei es nur für geringfügig Beschäftigte. Sie erzielen Einnahmen und sei es aus dem Verkauf von Eintrittskarten für das Vereinsfest. Sie nutzen die Rechte von Künstlerinnen und Künstlern und müssen daher vollkommen zu Recht GEMA-Gebühren zahlen.

D.h. soll für Vereine nicht ein vollständiger Sonderstatus geschaffen werden, gilt es zu überlegen, wie Vereine unterstützt werden können, die bestehenden Vorschriften einzuhalten und zu bewältigen. Eine wichtige Funktion können in diesem Zusammenhang unserer Meinung nach Dachverbände einnehmen. Sie sollten in die Lage versetzt werden, die Mitglieder ihrer Mitgliedsorganisationen so zu schulen und zu unterstützen, dass sie ihre Gemeinnützigkeitserklärung ausfüllen können, dass sie die Lohnabrechnungen korrekt erledigen usw.

Neben der kontinuierlichen Schulung von Vereinsvorständen und Kandidaten für Vereinsvorstände müssten die Dachverbände Beratungsstellen unterhalten, die bei konkreten Problemlagen helfen können. Es gilt sogar zu überlegen, ob Landesverbände nicht in die Lage versetzt werden sollten, Verwaltungsaufgaben für ihnen angeschlossene Gliederungen zu übernehmen. Es würde damit eine Kontinuität und Verlässlichkeit in der Betreuung gewährleistet.

Die angesprochenen Beratungsstellen können aber noch eine weitere verbandspolitische Aufgabe wahrnehmen. Durch ihre Beratungstätigkeit werden sie mit den Problemen vor Ort bestens vertraut sein. Sie werden aus der Praxis wissen, wo bei den Organisationen der Schuh drückt, ob vergleichbare Probleme vorhanden sind oder ob die Organisationen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.

Sie können diese Problemlagen sammeln, analysieren und dann Politik und Verwaltung konkrete Änderungsvorschläge anbieten. Diese Form der Politikberatung hätte für beide Seiten einen praktischen Nutzen.

3.3 Rahmenbedingungen in den Organisationen

Bedeutsam in der Debatte um das bürgerschaftliche Engagement ist das Thema „altes“ und „neues“ Ehrenamt. Vereinen und Verbänden wird dabei zumeist das alte Ehrenamt zugewiesen. Damit erhalten sie in einem Atemzug das Etikett verkrustet, verstaubt und von gestern zu sein.

Das neue Ehrenamt wird demgegenüber den Initiativen attestiert. Ganz besonders neu und damit wegweisend scheint das über Freiwilligenzentralen vermittelte bürgerschaftliche Engagement zu sein.

Wir sind der Überzeugung, dass diese Etikettierungen zwar helfen, ohne Zweifel vorhandene verkrustete Strukturen in Organisationen aufzuzeigen, dass dabei aber nicht stehen geblieben werden darf.

Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich in vielen Organisationen Verhaltensweisen eingefahren sind. Dass neben die Klage über zu wenig neue Engagierte auch die selbstkritische Frage gehört, werden Neuankömmlinge wirklich mit offenen Armen empfangen oder nicht viel mehr misstrauisch beäugt? Auch ist es nicht selten so, dass der sich über Jahrzehnte aufopfernde Vereinsvorsitzende es möglicherweise perfekt verstanden hat, mögliche Nachfolger zu entmutigen und sich damit unliebsame Konkurrenz vom Leib zu schaffen.

Diese Phänomene sind organisationsunabhängig, weit verbreitet und liegen im Bereich der menschlichen Schwächen. Sie weisen zugleich daraufhin, dass eine lebendige Organisation, die vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger leben will, sich ständig weiterentwickeln muss. Dass sie sich öffnen muss gegenüber neuen Engagementformen, neuen Zielgruppen, neuen Menschen. Das Kontinuum sind die satzungsgemäßen Ziele und ist die Geschichte jeder Organisation. Das die Organisation nicht zum Fossil wird, ist Aufgabe der Mitglieder und der gewählten Organe.

4. Ausblick

Das bürgerschaftliche Engagement baut auf festen Fundamenten auf. Diese Traditionen bieten die Gewähr, dass der institutionellen Rahmen unseres demokratischen Gemeinwesens erhalten und seine Legitimation erhält.

Die Diskussion um die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagement begann zunächst mit einer Kritik an Verkrustungen von Organisationen des Dritten Sektors. Sie setzte sich dann fort in der Forderung nach besseren Rahmenbedingungen in verschiedenen Rechtsgebieten. Beide Themen sind nach wie vor von Bedeutung und werden sicherlich dauerhaft der Aufmerksamkeit bedürfen.

Die entscheidende Frage dürfte aber die nach dem künftigen Verhältnis von Staat und Drittem Sektor oder Staat und bürgerschaftlichen Engagement sein. Eine Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements, die Übertragung von mehr Verantwortung auf die Bürgerinnen und Bürger muss eine Rücknahme des Staates bedeuten. Der Staat ist weder eine Agentur für bürgerschaftliches Engagements, noch weiß der Staat am besten, wie bürgerschaftliches Engagements organisiert wird.

Aufgabe des Staates ist es die gesetzlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich das bürgerschaftliche Engagements entfalten kann. Wird diese Aufgabe optimal erledigt, kann und wird sich der Staat zurücknehmen.


4. Literatur

Beher, Karin: Das Ehrenamt in empirischen Studien – ein sekundäranalytischer Vergleich. Hg. v. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 1. Auflage. Stuttgart, Berlin, Köln 1998.

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Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Ergebnisse der Repräsentativerhebung 1999 zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Zugangswege zum freiwilligen Engagement und Engagementpotenzial in den neuen und alten Bundesländern. Stuttgart, Berlin, Köln 2000 (b).

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Ergebnisse der Repräsentativerhebung 1999 zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Frauen und Männer, Jugend, Senioren, Sport. Stuttgart, Berlin, Köln 2000 (c).

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Deutscher Bundestag (1997): Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsere Gesellschaft. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion. Drucksache 13/5674.

Deutscher Bundestag (1999): Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Drucksache 14/2351.

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Deutscher Städtetag: Kulturpolitik und Bürgerengagement. Hanauer Erklärung des Kulturausschusses des Deutschen Städtetages. 23.10.1997.

Gaskin, Katharine; Smith, Justin; Paulwitz, Irmtraut u.a.: Ein neues bürgerschaftliches Europa. Eine Untersuchung zur Verbreitung und Rolle von Volunteering in zehn Ländern. Freiburg i.Br. 1996.

Igl, Gerhard: Rechtsfragen des freiwilligen sozialen Engagements. Hg. v. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2. Auflage 1996. Stuttgart, Berlin, Köln.

Kistler, Ernst; Noll, Heinz-Herbert; Priller, Eckhard (Hg.): Perspektiven gesellschaftlichen Zusammenhalts. Empirische Befunde, Praxiserfahrungen, Messkonzepte. Berlin 1999.

Mommsen, Wolfgang J: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830-1933. Frankfurt/Main 2000.

Sauerbrey, Gunda: Statistiken zum deutschen Stiftungswesen. In: Verzeichnis Deutscher Stiftungen 2000. Hg. vom Bundesverband Deutscher Stiftungen. Darmstadt 2000.

Wagner, Bernd (Hg.): Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftliches Engagements in der Kultur, Dokumentation eines Forschungsprojektes. Bonn 2000.

Zimmer, Annette: Vereine – Basiselemente der Demokratie. Eine Analyse aus der Dritte-Sektor-Perspektive. Opladen 1996.

Zimmermann, Olaf: Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements als politisch praktische Aufgabe – Stellungnahme zur Einführung in eine Podiumsdiskussion. In: Ermert, Karl (Hg.): Ehrenamt in Kultur und Arbeitsgesellschaft. Wolfenbüttel 2000. S. 112 – 117.

Zimmermann, Olaf: Bürgerschaftliches Engagement in der Zivilgesellschaft und kulturelles Leben. Einführung zum Tagungsthema. In: Ermert, Karl (Hg.): Ehrenamt in Kultur und Arbeitsgesellschaft. Wolfenbüttel 2000. S. 10-16.

Zimmermann, Olaf: Was hindert und wie fördert man Bürgerschaftliches Engagements in Vereinen und Verbänden des Kulturbereiches. Erscheint in: Kulturpolitik in der Bürgergesellschaft – Jahrbuch für Kulturpolitik 1 (2001). Hg. vom Institut für Kulturpolitik.

Zimmermann, Olaf; Schulz, Gabriele (Hg.): Positionen und Diskussionen zur Kulturpolitik. Nachdruck „Deutscher Kulturrat aktuell“ 1997 –2000. Bonn, Berlin 2000 a.

Zimmermann, Olaf; Schulz, Gabriele (Hg.): Verbändealmanach Kultur. Bonn, Berlin 2000b.





Zu den Autoren

Olaf Zimmermann, geb. 1961; Kunsthändler; Mitarbeiter verschiedener Galerien; seit 1987 einer der Gesellschafter der Galerie und Journalistenbüro Zimmermann + Franken GbR, Mönchengladbach; seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Bonn – Berlin; in der 14. Legislaturperiode Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“; Leiter der Arbeitsgruppe Kunst und Kultur des Forums Informationsgesellschaft beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen des Kunstmarktes, der Kulturpolitik allgemein, der Kulturfinanzierung und der Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements.

Gabriele Schulz, geb. 1963; Studium Germanistik, Ernährungs- und Haushaltswissenschaft in Bonn und Hannover, 1. Staatsexamen; seit 1992 beim Deutschen Kulturrat tätig (bis 1997 als wissenschaftliche Mitarbeiterin, seit 1997 als Persönliche Referentin des Geschäftsführers). Zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen der Kulturellen Bildung, der Kulturpolitik allgemein und des bürgerschaftlichen Engagements.