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Der Musiker und Humanist Mstislaw Rostropowitsch wird 75

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Diese Bilder gingen um die Welt: Kurz nach dem Mauerfall war Mstislaw Rostropowitsch spontan nach Berlin geeilt, um am "Checkpoint Charlie" Bach zu spielen. "Das war einfach ein Bedürfnis; ich musste es tun", sagte der russische Meistercellist und Dirigent später.

Berlin (ddp). 1999, zum 10. Jahrestag des Mauerfalls, kam er wieder an den historischen Ort: Vor dem Brandenburger Tor trat er gemeinsam mit 166 Cellisten auf. "Weltbürger" und "wunderbarer Cellist" nannte ihn Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) damals. Am 27. März wird einer der bedeutenden Cellisten der Gegenwart und UNESCO-Friedensbotschafter 75 Jahre alt.

"Diese Mauer war ein Symbol für mein Leben bzw. meine \'beiden\' Leben - dasjenige vor 1974, und dasjenige danach - die so völlig verschieden waren, und so lange nicht in Übereinstimmung zu bringen waren, wie diese Mauer existierte", betonte Rostropowitsch in einem Interview. Vor 1974 war er ein gefeierter Musiker in der Sowjetunion, absolvierte internationale Tourneen, lehrte an Musikhochschulen in seiner Heimat.

Als sich Rostropowitsch für den vom Sowjet-Regime geächteten Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn einsetzte, wurde er selbst drangsaliert, vom KGB überwacht und durfte praktisch nicht mehr im Westen auftreten. 1974 verließ er mit seiner Frau, der Sopranistin Galina Wischnewskaja, das Land, 1978 wurden ihnen die Staatsbürgerschaft sowie alle staatlichen Auszeichnungen aberkannt. "Wenn ich jetzt im Rückblick über meine damalige Entscheidung nachdenke, dann komme ich zu dem Schluss, dass ich nie in meinem Leben etwas Besseres getan habe, als mich in dieser Situation für Solschenizyn einzusetzen. Das war moralisch das Beste, was ich getan habe", sagte "Slawa" später.

Fortan lebte er im Ausland - Paris, Washington und London waren und sind seine "Exilorte". 17 Jahre lang war Rostropowitsch Chefdirigent des National Symphony Orchestra in Washington (NSO). Tourneen als Gastdirigent und Solist führten ihn rund um den Globus, immer wieder war er auch in Deutschland zu Gast. Und auch heute noch gibt er Konzerte in aller Welt.

Das musikalische Talent war Rostropowitsch, der in Baku (Aserbaidschan) geboren wurde, praktisch "in die Wiege" gelegt worden. Sein Vater war ein namhafter Cellist und Schüler des legendären Pablo Casals, seine Mutter Pianistin. Bereits im Alter von vier Jahren bekam er Klavierunterricht, bald darauf Cellounterricht.

Mittlerweile kann der vielfach preisgekrönte Musiker weit über 100 Uraufführungen auf dem Cello und rund 70 Weltpremieren als Dirigent verbuchen. Viele Komponisten widmeten ihm eigene Stücke, so Dmitrij Schostakowitsch, Sergej Prokofjew oder Benjamin Britten. Rostropowitsch, auch ein glänzender Pianist, spielte mit zahlreichen großen Orchestern, Dirigenten und Kammermusikern, nahm unzählige Platten auf, trat aber auch immer wieder für humanistische Anliegen ein. So spielte er 1980 in Paris für den Dissidenten Sacharow, später zu Gunsten von Schriftstellern, jungen Künstlern und Bürgerrechtlern, und er finanziert soziale Projekte.

Auch seine Liebe zu Russland hat nie aufgehört. "Es gibt nicht nur gute Menschen bei uns. (...) Aber ich denke daran, was mir Schostakowitsch und Prokofjew für mein musikalisches Leben geschenkt haben. Darum mache ich alles für Russland", sagte er einmal. 16 Jahre nach dem Verlassen seiner Heimat spielte er wieder in Moskau und St. Petersburg, wo er 1990 mit dem National Symphony Orchestra in Washington gastierte. Im selben Jahr erhielten er und seine Frau auch die Staatsbürgerschaft zurück.

Ein Jahr später eilte Rostropowitsch während des Putsches in seine alte Heimat, um "Russland zu helfen, gegen den Staatsstreich zu kämpfen". Das waren nach eigenem Bekunden "die drei schönsten Tage" seines Lebens, wie er damals nach dem gescheiterten Putsch gegen Michael Gorbatschow sagte.

Nathalie Waehlisch