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Entert Berlusconi die RAI?

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Berlusconi, der selbst drei ihm treu ergebene TV-Kanäle besitzt, will auch die staatlichen Sender auf Regierungskurs bringen. Die Suche nach einer neuen Führung für den öffentlich-rechtlichen TV-Sender RAI entzweit derzeit die italienische Regierung.

orf - Die italienischen Künstler und Intellektuellen sind seit dem Regierungsantritt des Medienmoguls Silvio Berlusconi in Aufruhr. Zwar hat die Regierung bis jetzt kaum konkrete kulturpolitische Maßnahmen gesetzt, angesichts der Aktivitäten in vielen anderen Bereichen befürchten die Künstler aber eine Verschlechterung des kulturellen und gesellschaftlichen Klimas im Land. Andrea Camilleri, Antonio Tabucchi und Vincenzo Consolo haben ihre Teilnahme am Pariser Salon du Livre abgesagt. Sie weigern sich, eine "undemokratische und kulturlose Regierung" zu repräsentieren. Zudem ist nun der Kampf um die RAI voll ausgebrochen.

Die Suche nach einer neuen Führung für den öffentlich-rechtlichen TV-Sender RAI entzweit derzeit die italienische Regierung. Das berichtet die Tageszeitung Der Standard in seiner Freitag-Ausgabe. Nach Wochen zäher Auseinandersetzungen schien der Gordische Knoten endlich durchschlagen: Die Namen der neuen RAI-Führungsriege waren bereits über die Ticker der Agenturen gelaufen und das Präsidium des Senats hatte für Mittwochabend ein entsprechendes Kommuniqué angekündigt.

Casini schaltet sich ein

Doch kurz vor 22.00 Uhr zog Kammerpräsident Ferdinando Casini die Notbremse. Wenige Minuten vor dem Eklat hatte er einen Anruf von Vizepremier Gianfranco Fini erhalten. Der Parteichef der Alleanza Nazionale protestierte wütend gegen den Ausschluss seiner Partei aus dem fünfköpfigen Verwaltungsrat der RAI. "Man wollte uns ein Bein stellen, aber wir lassen uns nicht überfahren", so Fini.

Zynische Vorgangsweise

Die RAI ist ein aktuelles Beispiel für jene zynische Hemdsärmeligkeit, mit der Berlusconi und die Seinen auch in heiklen Bereichen durchgreifen. Der Premier wirft der Anstalt bereits seit dem Wahlkampf im Vorjahr Linkslastigkeit vor. Mit den Ernennungen will Berlusconi, der selbst drei ihm treu ergebene TV-Kanäle besitzt, auch die staatlichen Sender auf Regierungskurs bringen.

Würde ihm dies gelingen, würde er rund 90 Prozent des italienischen Fernsehmarktes beherrschen. Berlusconis Macht und Reichtum reicht aber weit über das Populärmedium Fernsehen hinaus. Über die Montadori-Gruppe besitzt er auch mehrere von Italiens wichtigsten Verlagshäusern. Er ist, wenn man es genau nimmt, der Verleger vieler jener Schriftsteller, die jetzt gegen ihn auftreten.

Appell von "Reporter ohne Grenzen"

Die in Paris ansässige Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) hat am vergangenen Donnerstag den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi in einem offenen Brief dazu aufgefordert, keinen Einfluss auf die Neubestellung des Verwaltungsrates der RAI zu nehmen. RSF-Generalsekretär Robert Menard begründete die Aufforderung damit, dass Berlusconi mit der Holding-Gesellschaft Fininvest bereits drei private Sender der Mediaset-Gruppe kontrolliere.

"Unter diesen Bedingungen würden die Unabhängigkeit und der Pluralismus der audiovisuellen Information in Italien direkt und auf schlimme Weise in Frage gestellt", kritisierte Menard. Er fügte hinzu, dass dadurch "eine noch nie da gewesene und für eine westliche Demokratie inakzeptable Situation" entstünde. "Daher fordern wir Sie auf, in Ihrer Funktion als Regierungschef und angesichts der besonderen Verantwortungen, die Ihnen die Kontrolle der privaten Sender des Landes auferlegt, auf die traditionelle Politik der politischen Aufteilung der Schlüsselposten der RAI zu verzichten."

Berlusconis Medien-Präsenz

Eine Ende Jänner dieses Jahres veröffentlichte Studie ergab, dass die RAI Berlusconi von Anfang Juni des Vorjahres bis Anfang Jänner 388 Minuten seiner Nachrichtensendezeit widmete, während Oppositionsführer Francesco Rutelli mit nur 155 Minuten bedacht wurde. Auf allen RAI-Programmen kam Berlusconi insgesamt auf 811 Minuten Präsenz, verglichen mit 406 Minuten für Rutelli.

Noch deutlicher fällt das Ergebnis in Berlusconis eigenem Medienimperium aus. Der Sender Mediaset widmete dem Ministerpräsidenten 675 Minuten Sendezeit, Rutelli hatte lediglich 39 Minuten. Die Zahlen für Mediaset wurden von RAI veröffentlicht, da sich der größte Privatsender des Landes weigert, derartige Daten öffentlich zu machen.

RAI-Erdbeben nach Polit-Satire

Die Polit-Satire des staatlichen Senders RAI über den damaligen konservativen Oppositionschef Silvio Berlusconi hatte im März des Vorjahres ein Erdbeben in der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt ausgelöst. Aus Protest wegen der satirischen Polit-Show, die Berlusconi scharf angriff und ihm Mafia-Verbindungen in die Schuhe schob, kündigten damals zwei der fünf Verwaltungsratmitglieder des Staatsfernsehen, Alberto Contri und Giampiero Gamaleri, ihren Rücktritt an. RAI-Präsident Roberto Zaccaria, dessen Rücktritt Berlusconi gefordert hatte, weigerte sich dagegen, seine Demission einzureichen.

RAI-Boykott der Allianz

Kein Politiker von Berlusconis oppositioneller Mitte-Rechts-Allianz wollte mehr an TV-Programmen und politischen Sendungen des Staatsfernsehens teilnehmen, solange keine Garantien zum Schutz der Opposition gegeben würden. Der Zorn Berlusconis war durch ein im Rahmen der Show "Satyricon" gesendetes Interview mit dem Journalisten Marco Travaglio erregt worden. Dieser hatte davor ein Buch über Berlusconis Wirtschaftsimperium veröffentlicht, in dem er die "geheimen Wege" verfolgt, über die der Oppositionschef in den 70er und 80er Jahren von einem kleinen Mailänder Bauunternehmer zum Medien-Tycoon aufgestiegen ist. Travaglio warf Berlusconi auch Kontakte mit dem Mafia-Boss Vittorio Mangano vor.

Demission von Verwaltungsrats-Mitgliedern

"Wir treten zurück, weil RAI-Präsident Zaccaria nicht mehr in der Lage ist, das Staatsfernsehen zu führen, dessen Aufgabe es ist, Pluralismus und Unabhängigkeit zu garantieren", so Contri. Auch Kammerpräsident Luciano Violante hatte in einem Brief Zaccaria aufgefordert, ihm Erklärungen über die Attacke der Polit-Show auf den Oppositionschef zu geben.

Die Demission der beiden Verwaltungsratmitglieder wurde von Berlusconi begrüßt. "Bisher hatte die Mitte-Links-Koalition es noch nie gewagt, das Staatsfernsehen auf diese provokante Weise einzusetzen, um die politischen Gegnern während einer Wahlkampagne zu verleumden", erklärte der damalige Oppositionschef Berlusconi.

RAI setzt Polit-Programme aus

Drei Tage nach dem Streit setzte die RAI alle Programme mit politischem Inhalt bis zur Verabschiedung neuer Vorschriften aus. Diese sollten eine Regelung von Politiker-TV-Auftritten während des Wahlkampfes beinhalten. Das ist die Folge der Polemik um die von der RAI vergangene Woche gesendete Polit-Show "Satyricon".

Berlusconi über neue TV-Regelungen verärgert

Eineinhalb Monate vor den Parlamentswahlen am 13. Mai des Vorjahres drohte in Italien ein neuer Streit unter den politischen Parteien über die Frage des gleichberechtigten Zugangs zum Fernsehen auszubrechen. Trotz heftiger Kritik von Seiten der oppositionellen Mitte-Rechts-Allianz von Silvio Berlusconi verabschiedete die TV-Aufsichtsbehörde des römischen Parlaments eine Regelung, mit der TV-Programme vor Wahlen strengen Kontrollen unterzogen werden sollten.

Die Neuregelung verbietet kommerzielle Parteien-Werbung im TV während des Wahlkampfes. Sie gilt für alle öffentlichen und privaten Fernsehsender. Nach der Regelung muss die staatliche RAI allerdings allen Parteien im Wahlkampf täglich zwei TV-Spots ermöglichen.

Für Privatisierung von zwei RAI-Kanälen

Anfang Mai des Vorjahres - noch vor den Wahlen - sprach sich Berlusconi für die Privatisierung von zwei der drei RAI-Kanäle aus. In einem Interview mit der Tagesschau "Tg 5" sagte er, in Italien genüge ein öffentlicher Kanal. "Die Privatisierung von zwei Kanälen ist ein Vorschlag, der von der Mehrheit der politischen Parteien geteilt wird", so Medien-Tycoon Berlusconi.

TV-Journalisten zu hohen Geldstrafen verurteilt

Ende Mai des Vorjahres wurden zwei TV-Journalisten wegen parteiischer Berichterstattung in Italien zu hohen Geldstrafen verurteilt. Ein Moderator der RAI und der Nachrichtendirektor von Rete 4, der dem (damals) künftigen Regierungschef Silvio Berlusconi gehört, mussten jeweils 20.000 Euro (ATS 275.206,-) Strafe zahlen, wie die Aufsichtsbehörde für Telekommunikation mitteilte.

Nach Ansicht der Behörde verstieß der Moderator der RAI-Politsendung "Il raggio verde" ("Der grüne Streifen"), Michele Santoro, mit einem Beitrag über angebliche Mafia-Kontakte des Berlusconi-Vertrauten Marcello dell Utri gegen die Rechtsgleichheit der Bürger. Dem Nachrichtendirektor von Rete 4, Emilio Fede, warf die Aufsichtsbehörde einseitig positive Berichterstattung über Berlusconi vor.

Medien-Zar Berlusconi

Seit 20 Jahren ist der heute 64-jährige Silvio Berlusconi der König des italienischen Privat-TV. Er kontrolliert über die Familienholding Fininvest, deren Wert bis zu 20 Milliarden Euro mit einem Jahresumsatz von 2,2 Milliarden Euro geschätzt wird, drei national ausgestrahlte Fernsehsender (Canale 5, Rete 4 und Italia 1). Unter dem Dach seiner - in eine Vielzahl von teils mysteriösen Schachtelfirmen aufgesplitteten - Fininvest findet sich in erster Linie Mediaset. Zu dieser Privat-TV-Anstalt gehören die drei italienischen Sender sowie der spanische Kanal Telecinco.