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Geklotzt – und auch danebengekleckert: 400 Kulturmillionen und die Realität

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(nmz – thg) «Ein Kulturinvestitionsprogramm in diesem Umfang hat es in Deutschland noch nie gegeben», sagte Kulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Präsentation des überraschenden 400-Millionen-Euro Kulturtopfes der Bundesregierung. Gleichzeitig werden in Berlin Musikschullehrer entlassen und Sir Simon Rattle spendet mit seinen Symphonikern auch auf Steuerzahler-Kosten New Yorker Ghetto-Kindern kurz mal Musik-Unterricht. Was das miteinander zu tun hat? Signale einer Schieflage des Kulturbewusstseins in diesem unserem Land.

Da mag man doch eigentlich in lauten Jubel ausbrechen: 400 Millionen Euro für ein „Kulturinvestitions-Programm“. Hallelujah und tausend Dank, lieber Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, dass Du unsere Steuergelder mal nicht in Autobahn-Beton oder Diäten-Erhöhungen versenkst. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das „Kultur-Investitionsprogramm“ allerdings eher als Förder-Maßnahme für die deutsche Bauwirtschaft. Allein 200 Millionen sind für die Renovierung der Berliner Staatsoper reserviert, 39 Millionen stehen zur Errichtung einer Spielstätte für das Bonner Beethoven-Haus zur Verfügung und ungefähr weitere gut hundert Millionen fließen in die Restaurierung des Weimarer Stadtschlosses oder in den Sanierungsbedarf der Stiftung „Preußische Schlösser und Gärten“. Sicherlich alles feine und sinnvolle Planungen, die freilich mit Kulturförderung beim besten Willen nur sekundär zu tun haben. Im Wesentlichen handelt es sich um bausubstanz-bewahrende Zuteilungen, die irgendwann sicherlich mal dem hochkulturellen Outfit unseres Vaterlandes zugute kommen werden, so dafür noch Bedarf besteht.

Denn an kultur-kundigen Bürgern wird es in Zukunft eher mangeln. Es hilft kein Gießkannen-Projekt wie „Jedem Kind ein Instrument“ wenn andernorts die pädagogische Kompetenz ökonomisch auch noch sinnlos weggespart wird – und das direkt vor der Haustür unseres Kulturstaatsministers. In Berlin Mitte wurden 18 Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer gekündigt – ihren Job sollen künftig Honorarkräfte erledigen. Damit ist der Bezirk ein wenig entlastet, nicht aber die schüttere Kasse der Bundeshauptstadt. Denn die Planstellen speisen sich automatisch in den allgemeinen Stellenpool Berlins ein – und bieten jetzt vielleicht Jobs für Politessen oder Bewag-Angestellte – zu Lasten des Hauptstadt-Etats. Schilda lässt grüßen.

Gleichzeitig fliegen Sir Simons hochsubventionierte Renommier-Symphoniker zu einer Social-Show in die USA, um medienwirksam deutsche Edelkultur im Rahmen eines Kurz-Trips an Kinder in Harlem zu vermitteln. Na ja, zumindest medienwirksam. Das PR-trächtige „Kulturzeit“-Interview auf 3Sat mit Rattle wird in poppigem Englisch ausgestrahlt. So was putzt, und hilft zu verstehen, weshalb der Luxus-Klangkörper nicht mal – weniger aufwändig – nach Guben oder Mügeln reist. Dort ist der Englisch-Unterricht an den Grundschulen wohl noch nicht so perfekt. There´s no business like Showbusiness, so leider lautet offensichtlich der Leitspruch vieler bildungs- und kulturpolitisch Verantwortlicher in unserer Bundesrepublik. Vielleicht wird ja demnächst Arnold Schwarzenegger in Kalifornien abgewählt. Den können die etwas einseitig begabten Sprecher unseres Bundestags-Haushaltsausschusses dann einkaufen. Der macht noch mehr her als Bernd Neumann…
Theo Geißler
geissler [at] nmz.de (geissler[at]nmz[dot]de)
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