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Claudia Roth
Claudia Roth. Foto: Die Grünen Bundestagsfraktioin/Stefan Kaminski
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Kultur im Krisenmodus - Claudia Roth ein Jahr im Amt

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Berlin - Krisen, Konflikte, Krieg - das erste Amtsjahr hat sich Claudia Roth einfacher vorgestellt. Doch manche Baustellen der Kulturstaatsministerin sind hausgemacht. Zudem erschüttern in ihrer Zeit als Kulturstaatsministerin fundamentale Krisen die ohnehin nicht immer stabile Szene.

Eine andere Sicherheitsstufe sorgt für freien Blick. Das Büro von Claudia Roth ganz oben im Kanzleramt, noch über der Etage des Regierungschefs, geht locker als «beste Lage» durch. Zwischen Lieblingskunst und Besprechungsecke sind es für die Kulturstaatsministerin nur wenige Schritte bis zur umlaufenden Dachterrasse mit einem Traum von Berlin-Kulisse. Allerdings sind die Aussichten für die von ihr betreute Kulturszene auch zwölf Monate nach Amtsantritt weniger prächtig. An diesem Donnerstag (8. Dezember) vor einem Jahr übernahm die Grünen-Politikerin den Kulturposten in der Regierung.

Roth ist nicht Ministerin, aber Mitglied des Kabinetts. Die etwas eigenwillige Konstruktion ist auch dem Argwohn der Bundesländer geschuldet. Sie haben in der Republik eigentlich das kulturelle Sagen, aber nicht immer das Geld dafür. Die starke Position der Kulturstaatsministerin leitet sich auch aus Finanzen ab. CDU-Vorgängerin Monika Grütters hat den Kulturetat bereits mächtig erweitert, Roth konnte für dieses und das kommende Jahr jeweils gut zwei Milliarden Euro zusätzlich rausschlagen.

Und doch hat sie sich das anders vorgestellt. Das sagt Claudia Roth auch selbst. In ihrer Zeit als Kulturstaatsministerin erschüttern fundamentale Krisen die ohnehin nicht immer stabile Szene. Zur noch nicht überwunden Corona-Pandemie kommt der Krieg in der Ukraine, dessen Folgen weitere Probleme anhäufen wie etwa die Energiekrise, die bei Theatern oder Museen die Etats ruiniert. So muss die Grünen-Politikerin kreative Spielräume verknappen.

Kulturbaustellen hat Roth genug, nicht alle kommen voran. Mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gilt die wichtigste deutsche Kulturinstitution als international viel zu behäbig. Reformen sind nun angeschoben, den geforderten großen Umbau vermeidet auch Roth. Auch die ähnlich festgefahrenen Bayreuther Festspiele stehen noch auf der To-do-Liste der in Bayern beheimateten Politikerin.

Das Humboldt Forum in Berlin könnte mal sowas werden wie ein kulturelles Schaufenster der Republik. Das Kultur- und Ausstellungszentrum hinter der umstrittenen Rekonstruktion einer Schlossfassade im Zentrum Berlins gilt allerdings nicht als Herzensprojekt Roths. Zudem brachten ihr die Debatten um das Kreuz auf dem weltlichen Bau und um den von einem Monarchen aus Bibelzitaten zusammengeschusterten christlichen Unterwerfungsspruch auf der Kuppel einen der heftigsten Shitstorms ein.

Ähnlich stürmisch umwehte es Roth auch weitgehend ohne jede Einflussmöglichkeit in Kassel. Bei der Debatte um als antisemitisch interpretierte Kunstwerke auf der documenta fifteen kommen sich die jeweils grundgesetzlich versicherten Werte von Kunstfreiheit und Menschenwürde ins Gehege. Rückblickend glaubt Roth, vielleicht die Dimension der tief sitzenden Angst jüdischer Menschen in Deutschland unterschätzt zu haben. Nuancen haben bei dem Thema kaum eine Chance. Roths differenzierte Haltung etwa bei künstlerischen Verbindungen zur Israel-Boykottbewegung BDS werden eindimensionaler argumentierende Gegner auch künftig als Schwäche zu nutzen versuchen.

Für eine Grünen-Politikerin ein großer Stolperstein ist das in Berlin geplante Museum des 20. Jahrhunderts. In Zeiten der Klimakrise kann Roth keine Energieschleuder fertigstellen lassen. Überarbeitete Pläne für den 360-Millionen-Bau liegen bereit. Es wird nicht billiger.

Komplex und weiter ungelöst ist die als prekär eingeschätzte Lage vieler Künstlerinnen und Künstler. In Krisenzeiten treten die Schwächen eines auch auf Selbstausbeutung basierenden Systems dramatisch deutlich hervor: schwierige Sozialversicherung, kaum Altersversorgung. Eine Aufgabe auch für die Kulturstaatsministerin.

Was hat Roth auf den Weg gebracht? In der Kolonialismusdebatte gilt die Vereinbarung um die wertvollen Benin-Bronzen als international führend. Jahrzehntelang haben sich die Museen um Rückgaben gedrückt, nun werden schon sehr bald die ersten Stücke ihren Weg zurück nach Nigeria finden - und andere hier weiter ausgestellt werden können. Es wird einen Kulturpass für Jugendliche geben mit 200 Euro für Kino, Bücher, Konzerte oder andere Kulturevents. Mit dem Museum Hamburger Bahnhof und den benachbarten Rieck-Hallen in Berlin ist eines der international führenden Häuser für Gegenwartskunst gerettet.

Als erstes Kabinettsmitglied hat Roth die von Krieg und Zerstörung bedrohte Kulturmetropole Odessa in der Ukraine besucht. Es gibt Unterstützung für verschiedene Projekte. Digitalisierung von Kunst etwa ist die erste Absicherung gegen das Verschwinden von Raubkunst aus dem Gedächtnis - und kann eine wichtige Hilfe sein bei der Wiedergewinnung der Stücke.

Ging und geht es bisher um das nackte Überleben von Künstlerinnen und Künstlern oder Medienschaffenden aus den Kriegsgebieten, so wird Roth künftig nach Unterstützung suchen müssen für den Wiederaufbau von Kultureinrichtungen in den zerstörten Städten.

Mitten in einer Corona-Phase hat die Kulturstaatsministerin eine Berlinale in Präsenz zugelassen. Das ging gut. Entsprechend kritisiert wurde die Absage der Leipziger Buchmesse unmittelbar darauf. Aus heutiger Sicht Roths ein Riesenfehler. Im kommenden Jahr will sie dort wieder ein «Fest des Lesens» erleben.

Am Morgen vor ihrer Berufung hat Roth der Nazi-Opfer gedacht. «Eine Aufgabe, die ich mir gestellt habe, ist, dass wir unsere Gedenkorte schützen. Da haben wir einiges zu tun.» Roth will dabei Perspektiven erweitern auf DDR-Unrecht, NSU-Morde, Anschläge gegen Einwanderer oder Minderheiten wie in Mölln, Solingen, Hanau. Für Roth muss auch Erinnerungskultur eine Rolle spielen in einer Einwanderungsgesellschaft wie der Bundesrepublik.

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