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Potter-Gegner melden sich zu Wort

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Lektüre «zum Erbrechen» - Über die Wirkung der «Harry Potter»-Romane gibt es eine lange Reihe von Vermutungen und Vorwürfen


Berlin (ddp). Die Liste der Vorwürfe gegen die britische Autorin Joanne K. Rowling und ihre «Harry Potter»-Bestseller ist so lang wie fantasievoll. Nimmt man alle Interpretationen für bare Münze, dann verwandeln die Bücher Kinder in schwule Wahnsinnige, die zu rituellen Morden fähig sind und Eulen quälen. Rechtzeitig zum Verkaufsstart der deutschen Ausgabe von «Harry Potter und der Orden des Phoenix» am Samstag versuchen sich die Gegner des populären Zauberlehrlings wieder verstärkt an moderner Teufelsaustreibung.

Die Schriftstellerin und Soziologin Gabriele Kuby bezeichnet die fünf Bände in ihrem neuen Buch «Harry Potter - Gut oder Böse» als globales Langzeitprojekt zur Veränderung der Kultur. Rowling zerstöre den christlichen Glauben und die Hemmschwelle gegenüber Magie. Göttliche Symbole würden pervertiert, etwa wenn ein Poltergeist zu Weihnachten obszöne Lieder singt und Harry sich über einen «Züchte deine eigenen Warzen»-Biokasten freut.

«Durch emotionale Manipulation zerstört \'Harry Potter\' die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse», sagt Kuby. Harry bekämpfe seinen Gegner Lord Voldemort nicht, weil er das Gute wolle, sondern aus der egoistischen Angst heraus, die Zauberschule Hogwarts nach dessen Sieg nicht mehr besuchen zu können. Von Band zu Band werde Harrys Verwandtschaft mit Voldemort deutlicher. Im fünften Band sei er gar von ihm besessen - nachdem Voldemort zuvor ein Gemisch aus Harrys Blut, dem abgehackten Arm eines Dieners und einem gekochten Baby trinken konnte.

Szenen wie diese haben Reinhard Franzke nachhaltig erschüttert. «Ich musste mich bei der Lektüre mehrmals heftig erbrechen», sagt der Pädagogik-Professor an der Universität Hannover. Die Auswirkungen auf Kinder schätzt er dementsprechend drastisch ein: «Die Horrorszenen vergewaltigen die jungen Seelen. Sie werden sensible Kinder seelisch krank machen, Depressionen und Albträume verursachen und die Lern- und Leistungsfähigkeit unserer Schüler beeinträchtigen.»

Werde die «Harry Potter»-Manie nicht gestoppt, fürchtet Franzke gar die Apokalypse. «Christen, die Magie ablehnen, werden verfolgt, die Zahl der Einweisungen in die Psychiatrie explodiert, die Krankenkassenbeiträge müssen drastisch steigen, die Zahl der \'unerklärlichen\' Morde, Suizide und Amokläufe wird zunehmen», sagt
er.

Sollen sich die Menschen nach der Lektüre doch an die Gurgel gehen, solange sie die Eulen in Ruhe lassen, sagen - überspitzt formuliert - dagegen Tierschützer. Die Vögel fungieren in den Büchern als putzige Briefboten. In Großbritannien wünschten sich nach dem Start des letzten «Potter»-Kinofilmes viele Kinder eine Eule als Haustier. Carola Ruff vom Berliner Tierheim warnt Eltern eindringlich davor, den Wunsch ihres Nachwuchses zu erhören. Eulen bräuchten viel Platz, schliefen tagsüber und ihr Kot stinke. Außerdem seien sie sehr wehrhaft. «Einen Kinderfinger können Eulen ratzfatz in Einzelteile zerlegen.»

Und wofür die ganze Aufregung? Der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Bronski hat seine ganz eigene Erklärung für die Ablehnung von «Harry Potter». Die Geschichte des jungen Zauberers sei eine schwule Allegorie. Er lebe in einer versteckten Parallelwelt und müsse dafür Anfeindungen in seiner Familie ertragen. Als Harry im Schlaf den Namen seines getöteten Freundes Cedric ausspreche, unterstelle ihm sein fieser Cousin Dudley ein Verhältnis. Im darauffolgenden Streit bekommt Dudley laut Bronski eine homosexuelle Panikattacke, als Harry seinen Stab herausholt -
ein Phallussymbol. «Die \'Potter\'-Bücher erzählen Kindern, dass Normal-Sein uninteressant, fantasielos und dumm ist», schreibt der Literaturwissenschaftler.

Steffen Becker