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Putin-Jugend kämpft weiter gegen "Schund"

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Die Kreml-treue russische Jugendbewegung "Gemeinsamer Weg" hat ihre umstrittene Umtausch-Aktion von "schädlichen" modernen Büchern in "nützliche" Klassiker fortgesetzt. Organisationschef Jakemenko sagte am Mittwoch in Moskau, der "Gemeinsame Weg" werde weiter den "Dreck" der russischen Avantgarde-Literaten Viktor Pelewin, Wladimir Sorokin und Viktor Jerofejew in gute Bücher eintauschen. Schädlich seien auch die Werke von Karl Marx.

mdr - Ende Januar war die Aktion zunächst gescheitert. Nicht nur die "schmutzigen" Schriftsteller, die russische Regierung und die Presse verurteilten die Kampagne. Auch der Autor Boris Wassiljew, dessen Kriegsromane als Tauschobjekte für die "Schundliteratur" vorgesehen war, nannte das Vorhaben des "Gemeinsamen Weges" undemokratisch. Für den zweiten Versuch des Umtauschs druckte die Jugendbewegung nun Werke der klassischen Autoren Anton Tschechow, Nikolai Leskow, Iwan Bunin und Alexander Kuprin nach. Als Standorte für die Tauschaktion gab die Bewegung auf ihrer Internetseite mehrere Denkmäler in Moskau an: das von Puschkin, von Dostojewski und von Karl Marx.

Gegenaktion per Internet

Die Jugendlichen im "Gemeinsamen Weg" haben sich vor allem einen Namen als begeisterte Anhänger von Russlands Präsident Putin gemacht. Russische Internet-Fans persiflierten die Rückgabe-Aktion auf ihre Art: Sie erklärten, dem "Gemeinsamen Weg" helfen zu wollen und bombardierten dessen Mail-Adresse mit den Digitalversionen des Pelewin-Romans "Buddhas kleiner Finger" und anderer "schmutziger" Werke.


Zwei "schmutzige" Autoren

Der Hass der kreml-treuen Jugend richtet sich vor allem gegen die beiden postmodernen Autoren Viktor Pelewin und Wladimir Sorokin. Pelewin macht Helden der Sowjetunion zu buddhistischem Weisen Pelewin war auch von Schriftstellerkollegen vorgeworfen worden, die Literatur abschaffen zu wollen. Nichtsdestotrotz erreichte der äußerst medienscheue Moskauer Kultstatus. In Deutschland wurde er vor allem durch seinen Roman "Buddhas kleiner Finger" berühmt. Darin lässt er seinen Haupthelden Pjotr Pustota auf zwei Zeitebenen wandeln, mal als Adjutanten des Bürgerkriegshelden Tschapajew, mal als Patienten einer Moskauer Nervenheilanstalt der 90er Jahre. Tschapajew selbst - in der Sowjetunion offiziell zum Helden stilisiert und in der Alltagskommunikation Protagonist zahlreicher Witze - wird von Pelewin zu einem buddhistischen Weisen gemacht, dem es sogar gelingt, das Dilemma Pustotas zu lösen, der nie weiß, welche seiner Existenzen er nur träumt, und welche real ist. Der Originaltitel "Tschapajew i Pustota" ist übrigens ein Wortspiel, denn Pustota bedeutet Leere. Was insofern auch passend ist, weil dem Roman-Helden Pustota 70 Jahre Sowjeterfahrung fehlen.

Sorokin und der himmelblaue Speck

Sorokin dürfte der Putin-Jugend mit Büchern wie "Der himmelblaue Speck" ein Dorn im Auge sein. Mal abgesehen von äußerst freizügigen Szenen stieß den Putin-Jüngern mit Sicherheit auf, dass das Buch in einer Zukunft spielt, in der Russland von China beherrscht wird und somit auch die Alltagsprache von chinesischen Floskeln durchsetzt ist (was das Lesen des Buches ein wenig erschwert). Die Helden des Buches haben die aberwitzige Idee, die Heroen der russischen Intelligenz zu klonen, um aus deren geistigen Ergüssen eine Substanz, eben jenen himmelblauen Speck, zu erhalten und damit Atomkraftwerke auf dem Mond zu bauen, was dann aber schief geht, weil sie einer Sekte in die Hände gerät ... Das Ergebnis ist eine groteske Reise durch die russisch-sowjetische Geschichte, voll von Anspielungen, Parodien und absurden Begegnungen. So schläft Hitler mit der Tochter Stalins, der wiederum treibt es mit Chrustschow usw. usf.

Andere "Schandtäter"

Nach Bekanntwerden der geplanten Umtausch-Aktion wurde darüber spekuliert, dass die Putin-Jugend von kommunistischen Hardlinern unterwandert sei. Wahrscheinlich als Gegenaktion wurde kurzerhand Karl Marx in die Gruppe der "Schand-Literaten" eingereiht. Viktor Jerofejew dagegen wird in der zweiten Umtausch-Runde nicht mehr explizit erwähnt.

http://www.mdr.de/online/kultur/