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Sasha Waltz Uraufführungvon "noBody"

Publikationsdatum
Body

Sasha Waltz, Choreografin und Ko-Intendantin der Berliner Schaubühne, hat am Samstagabend ihre neue Produktion vorgestellt. Das Premierenpublikum war beeindruckt und begeistert.

Berlin (ddp-bln). "noBody" ist vielleicht ein Luftballon, vielleicht ein Toter. Vielleicht steckt "noBody" in uns allen, vielleicht sollten wir ihn finden. "noBody" ist der dritte Teil eines choreografischen Triptychons, in welchem sich Sasha Waltz mit dem Thema des menschlichen Körpers beschäftigte. In "Körper", der ersten Produktion des Zyklus, stand das Anatomische im Vordergrund, "S" ging dem Thema der Sexualität und Sinnlichkeit nach. "noBody" nun stellt die Frage nach dem Geistigen der Körperlichkeit, nach körperlicher An- und Abwesenheit, nach Sterblichkeit und Erinnerung. Die Produktion ist zum diesjährigen Festival d\'Avignon eingeladen, wo sie im Papstpalast gezeigt werden soll. Der sakrale Charakter des Abends antizipiert sicherlich die Wirkungsmöglichkeiten an dieser Spielstätte.

Die neue Choreografie ist aber nicht nur eine erneute Auseinandersetzung mit dem Körper vor dem Hintergrund eines religionsgeschichtlich interessanten Festivalortes. Sasha Waltz übernahm für "noBody" zugleich Elemente ihrer letzten Choreographie "17-25/4 - Dialoge 2001", einer tanztheatralischen Erkundung der Schaubühnenarchitektur. Ausgewählte Szenen dieser Produktion verbinden sich nun höchst gelungen mit einer reflexiven Vertiefung, die sich aus der Frage nach der körperlichen Abwesenheit gleichsam automatisch ergibt.

Auf der leeren Bühne erscheinen anfangs die Körper der Tänzer in undeutlichem Licht, es ist kaum mehr zu sehen als schattenhafte Umrisse, deren Erscheinen sich jeweils mit einer Art Wetterleuchten ankündigt. Die entmaterialisiert wirkenden Personen bilden miteinander flüchtige Konfigurationen. Spannung entsteht aus Blicken, aus der Veränderung der Abstände, aus dem Umeinander-Kreisen. Es gibt Gruppenszenen, denen keiner entgehen darf oder kann: Hüpfen, Kopfkreisen, Kniefedern. Die Gemeinschaft produziert gelegentlich Verluste. Dann bleibt ein Körper liegen. Auch trennt sie die zu sehr ineinander Verknäuelten. Sie schafft aber auch Wunder, halbiert einen Menschen oder spuckt ein neues Wesen aus. Gelegentlich finden sich Paare, die ausscheren aus der wippenden, diffus hin- und herirrenden, manchmal ängstlich schreienden Gruppe und die andere Bewegungsabläufe zu etablieren versuchen. Das sind Momente des Andersseins, die aber, wie auch die Soli, seltsam verloren wirken.

Sasha Waltz ist wieder einmal ein großartiger Theaterabend gelungen. Mit ihrer mittlerweile sehr abstrakt gewordenen Bildsprache, die sich immer schwerer "übersetzen" lässt, schafft sie eine ideenreiche Verdichtung ihrer Thematik. Am Ende schwebt ein großer Ballon über der Bühne, eine gewaltige "noBody"-Metapher, die das Geschehen für eine Weile in die Hand nimmt. Doch die Darsteller, die sich gerade noch mit dem Ungetüm vergnügt haben, lassen ihm die Luft raus und quetschen ihn zusammen, bis er daliegt wie ein kleines Häufchen Kunststoff. Mit "noBody" kann eben ganz unterschiedlich umgegangen werden. Am Ende gab es Jubel und Bravos für Sasha Waltz und ihre 26 Tänzer.

Jens Bienioschek