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Wenn das Händel wüsste: Uraufführung der Oper «George»

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Hannover - Eines muss man Dieter Bohlen lassen: Geht ihm beim Casting eine Darbietung gegen den Strich, lässt er den unglücklichen Vokalakrobaten nicht gleich köpfen. Casting in der Oper verläuft etwas anders? Wohl wahr, dort drohen Köpfe zu rollen - damit erschreckt der englische König George seinen Komponisten Georg Friedrich Händel. Jedenfalls in der Oper - zum Jubel des Publikums.

 
 
Denn die Uraufführung der neuen Oper «George» der australischen Komponistin Elena Kats-Chernin in Hannover bringt eine lustige, wilde, quirlig-spritzige, pathetische und eindringliche Mischung aus Oper, Schauspiel und Casting-Show auf die Bühne.
 
Wer glaubt, in Sachen Casting bei RTL schon alle denkbaren schrecklichen Darbietungen erlebt zu haben, kennt diese Oper nicht: Von der Schlager-Schnulze bis zum Rap ist alles dabei. Nicht nur die Musik persifliert hier, auch der Text des Filmemachers Axel Ranisch («Dicke Mädchen») passt perfekt. Kostprobe gefällig: «Mein Vater war ein Vollidiot, ein stinkendfauler Sack - mir und meiner Mum hat er das Leben fett verkackt.» Eine Persiflage in der Persiflage.
 
Denn das ist die ganze Oper, mit musikalischen Zitaten aus zahllosen Genres. Erinnerungen an die Barocktrompete werden wach, wenn sich der wunderbar dekadente und überkandidelte Monarch George I. - grell geschminkt, mit großen Gesten und in Spiellaune: der gefeierte Altist Jochen Kowalski - per Sänfte auf die Bühne tragen lässt und das Publikum mit seiner Herablassung beschenkt.
 
Dazu schaut der zweite George - eben Händel, dargestellt vom Schauspieler Heiko Pinkowski und ironischerweise der einzige in der Oper, der nicht singt - beim Vorsingen genauso baff drein wie die Fernsehzuschauer bei den schrägeren Darbietungen beim RTL-Casting.
 
Überhaupt - Casting? Zur Zeit Händels? Oh ja, nur nennt man es Vorsingen. Und darum geht es in der Oper - der eine George (Händel) erhält von seinem König - dem anderen George - einen Kompositionsauftrag. Gleichzeitig verlangt der Monarch neue Stars. So muss der Komponist auf Sängersuche gehen, vermisst aber schon bald seinen wegen falscher Töne gefeuerten Kastraten Sino (Countertenor Denis Lakey). Denn mit den neuen Stars ist nicht viel Staat zu machen.
 
So bringt Händel seinen ihn liebenden Kastraten von der Casting-Reise einfach wieder mit. Das wiederum verärgert den König - Oper ist damals Chefsache und Homosexualität nicht wohlgelitten. Gut, dass im letzten Moment das übermenschliche Gesangswunder Finella (Eleanor Lyons) vorbeischaut - die beherrscht zwar nur den Laut «ah», aber den singt sie wundervoll. So erinnert sie teils an die singende Puppe Olympia aus Offenbachs «Hoffmanns Erzählungen». Während Sino als Persiflage sowohl der barocken als auch der zeitgenössischen Oper viel Pathos beisteuert - und Gesangslinien, die an die handelsüblicheren neuen Opern erinnern.
 
So fällt der Zugang zur zeitgenössischen Oper leicht, Kats-Chernin hat eine spritzige Musik abgeliefert, die vom Spiel mit den musikalischen Vorbildern lebt. Dass sie gefällige und zugängliche - und dennoch anspruchsvolle - Musik zu schreiben versteht, hat sie allerdings nicht zum ersten Mal bewiesen. Das hat auch die Eröffnung der Olympischen Spiele in Sydney mit ihrer Musik bewiesen. Was sagt das Publikum zu dem neuen Werk? Riesenapplaus. 
 
Thomas Strünkelnberg
 
 

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