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Wo Orgelschüler auf der Barockorgel lernen dürfen

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Eine Orgel mit Pauken und Zimbeln – das ist die barocke Wagner-Orgel in der Marienkirche in Angermünde. Musiklehrerin Dorothea Janowski bildet auch Jugendliche auf dem altehrwürdigen Instrument aus – und kennt viele Geheimnisse im Inneren der Orgel.

Konzentriert sitzt Johannes Glogau vor der mächtigen Barockorgel in der St. Marienkirche in Angermünde. Der 16-Jährige lernt das Orgelspiel, wird bereits in seiner Heimatgemeinde gelegentlich für Gottesdienste eingesetzt. Heute darf er nach längerer Zeit wieder auf einem ganz besonderen Instrument

üben: der Wagner-Orgel, erbaut zwischen 1742 und 1744 und nahezu im Original erhalten. Dorothea Janowski, seine Musiklehrerin, darf das altehrwürdige Instrument für ihre Schülerinnen und Schüler nutzen – und weiht Schulklassen aus der Region bei Führungen in dessen zahlreiche Geheimnisse ein.

„Ein herrlicher Sound“, begeistert sich Janowski auch nach über 40 Jahren immer wieder für den Klang der Wagner-Orgel. „Wie die Orgel hier in den Kirchenraum eingebaut wurde, das ist einfach perfekt.“ Mit „absoluter Präzision“ sei sie konstruiert worden. Das Instrument ist auch der Grund dafür, warum Dorothea Janowski und ihr damaliger Ehemann nach Angermünde gekommen sind.

Schon die pure Größe ist beeindruckend: 38 Register, über 2000 Pfeifen, die größte ist satte 5,20 Meter lang, die kleinste nur neun Millimeter. Es ist die zweitgrößte Wagner-Orgel im Land Brandenburg, die größte steht im Brandenburger Dom. Ihr Erbauer, Joachim Wagner, wurde 1690 in Karow bei Genthin im heutigen Sachsen-Anhalt geboren und starb 1749 in Salzwedel. Er gilt als bedeutendster Orgelbauer der Barockzeit in der Mark Brandenburg, noch erhaltene Instrumente stehen beispielsweise in Treuenbrietzen (Potsdam-Mittelmark), Jüterbog (Teltow-Flämimg) oder im Storchendorf Rühstädt (Prignitz).

Ihr damaliger Mann hatte sich 1978 erfolgreich auf die Kantorenstelle in der evangelischen Gemeinde in Angermünde beworben, erzählt Janowski. Die Marienkirche sei damals gerade saniert worden – und kurz darauf auch die Wagner-Orgel. Die Orgelbaufirma Schuke in Potsdam hatte damals mit finanzieller Hilfe aus der Bundesrepublik eine umfangreiche Sanierung der Orgel abgeschlossen. „Sie erstrahlte im tollsten Klang und Glanz“, erinnert sich die Musiklehrerin.

Selbst studierte Kirchenmusikerin, begann Janowski sogleich damit, Kinder und Jugendliche auf dem ehrwürdigen Instrument zu unterrichten. 2004 eröffnete sie die Uckermärkische Musik- und Kunstschule „Friedrich Wilhelm von Redern“, sie unterrichtet dort Klavier, Orgel sowie Musiktheorie und leitet mehrere Chöre.

Johannes Glogau entlockt der Wagner-Orgel ungewöhnliche Töne. Er spielt ein Gospelstück, das im ersten Moment nicht zu dem dunklen, mächtigen Klang des Instruments passen will. Doch das ist so gewollt.

„Meine Methode ist, dass ich die Lieder nehme, die Jugendlichen gefallen“, sagt die Musiklehrerin.

Wer bei Dorothea Janowski das Orgelspiel lernen will, muss aber zunächst mit dem Klavier Vorlieb nehmen. „Es ist besser, wenn die Kinder erstmal oben sicher sind“, sagt Janowski. Mit oben meint sie die Tastatur. Dann nimmt sie nach und nach das Pedalspiel hinzu.

Orgelspiel, so betont die Musiklehrerin, sei ein „schönes Gehirntraining“. Die Jugendlichen lernten dabei, ihre Koordination zu entwickeln. Die rechte und die linke Hand, dazu das Pedalspiel mit den Füßen: Es ist anfangs gar nicht so einfach, das alles zusammenzubringen.

Aktuell sind es nur wenige Jugendliche, die sich auf dieses „Ganzkörpertraining“ einlassen. Laut Verband der Musik- und Kunstschulen (VDMK) in Brandenburg gibt es derzeit landesweit 35 Orgelschülerinnen und -schüler, davon die meisten an der Kreismusikschule „Gebrüder Graun“ im Landkreis Elbe-Elster, und an der Musikschule Oder-Spree „Jutta Schlegel“.

Einen corona-bedingten Rückgang der Schülerzahlen kann der VDMK nach eigenen Angaben nicht ausmachen. Bis ins vergangene Jahr sei die Schülerzahl bis auf 43 gestiegen. Der Rückgang auf aktuell 35 sei darauf zurückzuführen, dass zwei Musikschulen keinen Orgelunterricht mehr anbieten würden. „Dies kann vor allem ein Rückschluss auf strukturelle Defizite wie insbesondere den Lehrkräftemangel an brandenburgischen Musikschulen sein“, so der VDMK.

Auch der 16-jährige Johannes hat bei Janowski vor sechs Jahren erst einmal mit dem Klavierspiel begonnen, ist dann vor zwei Jahren auf die Orgel umgestiegen. Eine bis anderthalb Stunden pro Tag übe er am Tag, erzählt der junge Mann im Gespräch. Einmal pro Woche trifft er seine Lehrerin zum Unterricht, aber nur ab und zu hat er die Gelegenheit, an der imposanten Wagner-Orgel zu üben.

Doch die hat es ihm besonders angetan. „Das ganze Mechanische interessiert mich besonders“, erzählt er. Und das merkt man ihm beim Spielen auch an. Während Janowski das Innere des Orgelprospekts erklärt, entlockt er den beiden Engelfiguren, die am Oberwerk außen am Prospekt angebracht sind, kräftige Schläge auf die original erhaltenen Barock-Kesselpauken. Sobald er das Paukenregister zieht, setzen zudem zwei weitere Engelfiguren Trompeten an, geben allerdings keine Töne von sich.

Das ist eines von mehreren Geheimnissen dieser Orgel, die Janowski Kindern und Jugendlichen bei Führungen im Rahmen des „Uckermärkischen Orgelfrühlings“ vermittelt. Dann setzt der Orgelschüler die „Sonne“, einen Zimbelstern, in Bewegung, der leise, liebliche Zimbelklänge von sich gibt – auch eine Besonderheit der Angermünder Wagner-Orgel.

„Orgelschüler waren meistens die großen Jungs“, sagt Janowski. Offenbar sei die komplexe mechanische Funktionsweise der Orgel für sie besonders faszinierend, meint die Musiklehrerin. Landesweit ist das Geschlechterverhältnis etwas ausgewogener. Nach VDMK-Angaben sind rund 60 Prozent der Orgelschüler männlich, dabei liege der Altersdurchschnitt aller Schülerinnen und Schüler bei 17 Jahren.

Dass es noch mehr werden, dafür setzt sich der VDMK mit verschiedenen Initiativen ein. Bekannt ist insbesondere die Aktion „Musikschulen öffnen Kirchen“. Mit dieser Benefizkonzertreihe belebt der Verband alte Kirchen in Brandenburg, die vom Verfall bedroht sind. Junge Musiker geben hier Konzerte und verzichten dabei auf ein Honorar zugunsten einer Spende für den Erhalt des Gebäudes.

Vom Verfall ist die Angermünder Marienkirche glücklicherweise nicht bedroht – im Gegenteil. Dafür können die Schüler hier an einem gut restaurierten, historisch bedeutsamen Instrument trainieren. „Ich habe schon einige zum Studium gebracht“, sagt Janowski.