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Miriam Clark, Statisterie des NTM. Foto: © Hans Jörg Michel
Miriam Clark, Statisterie des NTM. Foto: © Hans Jörg Michel
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Aller Anfang ist schwer – Albrecht Puhlmann will am Nationaltheater Mannheim mit Verdis „Aida“ durchstarten

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Giuseppe Verdis „Aida“ ist ein bewährtes Repertoireschmuckstück. Geniale Musik mit großem Pomp und zarten Tönen. Mit Haupt- und Staatsaktion und vertrackter Lovestory, bei der die Liebenden keine Chance auf eine gemeinsame Zukunft haben. Oder eben nur im Jenseits. Es ist die Oper für die Arena von Verona, bei der man die Darsteller auf exotisch schminken und verkleiden darf, was das Zeug hält. Hier haben in der Aufführungsgeschichte schon allerhand Ketten geklirrt und hier sind schon manche nicht nur metaphorische Elefanten durch den Wüstensand gestapft und haben die Rüssel Richtung Pyramiden gehoben.

Wenn der Feldherr Radames als Lohn für seinen Sieg den König darum bittet, die Gefangenen am Leben zu lassen und wie Menschen zu behandeln, dann fällt heute von dieser Szene ein grelles Licht auf die Verwerfungen des gegenwärtigen Gemütszustandes unserer verunsicherten Gesellschaft. Oder umgekehrt. Im Sinne hatte das Regieteam so etwas. Doch die Programmheftabsicht ist das eine, die überzeugende Umsetzung auf der Bühne etwas ganz anderes.

Friede-Freude-Eierkuchen Rampentableau

Beim szenischen Umgang mit dem Triumphmarsch etwa kann man auf recht unterschiedliche Weise scheitern, wenn man sich von der opulenten Arena- oder Zeffirelli-Illustration des kommentarlos vorgeführten Exotischen löst. Roger Vontobel „gelingt“ das gleich mehrfach. So nachvollziehbar der Versuch ist, den eskalierenden Pomp und seine Krönung durch die eigens dafür kreierten Aida-Trompeten zu brechen – bei dieser Musik die Anweisungen für das Volk dazwischen zubrüllen, die auf ihren Klappelementen erst die Trompeten, die man lieber nur gehört hätte, als Bild erscheinen lassen und eine Faust, die das Gesicht Amonasros trifft, wirkt allzu plakativ. Wie ein großes Piktogramm für Analphabeten. Wenn sich dann die gefangenen Äthiopier wie Vertreter der Zuschauer im Saal erheben, ist das zwar ein Effekt, der auch von gescheiten Regisseuren immer wieder gerne mal genommen wird (bzw. wurde), doch man fragt sich schon, wieso wir uns plötzlich in der Rolle von besiegten Eroberern wiederfinden sollen, die dann unter dem „Wir-schaffen-das“ analogen Banner „Ce la faremo!“ von den Siegern mit Willkommensgeschenken bedacht und in ein Friede-Freude-Eierkuchen Rampentableau integriert werden. Bliebe offen, wieso „wir“ Äthiopier dann die Flucht planen und den Aufstand proben sollen. Diese Identifikation andererseits als disparat erhellenden Teil einer Collage von einzelnen Bildern durchgehen zu lassen, dafür ist der Ansatz zu durchgängig erzählt.

Die Verlegung aller Schauplätze auf, vor und hinter das machtvolle Tribünen-Teilstück, das Palle Steen Christensen auf die Drehbühne gesetzt hat, ist die beste Idee des Abends: Mit der Königsloge im Zentrum für die großen Auftritte. Und mit dem Backstage-Bereich auf der Rückseite auch für die eher privaten Begegnungen. 

Aber wenn die zum Jubeln bestellten Massen mit ihren Klappelementen Nordkorea spielen, wird eben nicht ganz klar, ob die Unvollkommenheit mit der sie das machen, den offenen Widerstand gegen verordnete Rituale und damit das herrschende Regime ankündigen oder eben nur dilettantisch umgesetzt wurden. Kann man das noch als Herausforderung annehmen, werden die eher privaten Auftritte zum Ärgernis. Das gewollte Herumalbern im Hintergrund der doch sehr privaten Begegnung von Aida und Amneris führt die Damen des (hervorragend singenden) Chores schnell in die Regionen peinlichen Changierens. Und weil sie einmal da sind, bleiben sie auch gleich dort. Da hilft es auch nicht, dass Amneris selbst mit ihrem Spiel nicht weit von einer Liz-Taylor-Parodie bei einem Cleopatra-Dreh entfernt ist. Überhaupt ist es für einen ausgewiesen versierten Schauspielregisseur erstaunlich, wie weit er in der Oper packende Personenregie ausblendet und seine Protagonisten stattdessen zum Rampensingen animiert. Stört wenigstens nicht, könnte man sagen, außer, dass in dem Falle nichts „stört“.

Vielleicht war das Ganze ja doch eher ein Spiel des Regieteams mit den Problemen des Stückes? Mit seiner Rezeptionsgeschichte? Das Sofa, das da hinter der Tribüne stand, gar eine Anspielung auf den einen der beiden wirklichen epochalen Aida-Würfe (also von Neuenfels und Konwitschny, in dem Falle auf letzteren?). Die Einbeziehung des Zuschauerraumes und der demonstrative Ausstieg von Radames und Aida aus der Geschichte hinters Stehpult in der Seitenloge legen den Verdacht nahe. Das wäre dann nach hinten losgegangen. 

Wenn es aber ernst gemeint war, dann unterläuft das Rampenfinale, bei dem sich alles Volk und auch die Priester in der gemeinsamen Trauer um Radames und Aida in der Auflösung aller staatlichen Gewalt in einer politischen Utopie vereinen, die musikalische Vision einer anderen Welt, die von den beiden herüberklingt, allzu banal und plakativ. Roger Vonthobel hat den gescheiterten szenischen Aida-Versuchen einen weiteren hinzugefügt. Die pfiffige und in viele Richtungen offene Bühnenbild-Idee verpufft durch Unverbindlichkeit (auch bei den Kostümen von Nina von Mechow) und einer erschreckend mageren Personenführung.  

Dass dieser Eröffnungsabend der Intendanz von Albrecht Puhlmann in Mannheim dennoch auch viel Zustimmung erntete, ist einem grandios aufrauschenden und in den heiklen Passagen auch die Regiekinkerlitzchen aushaltenden Orchester unter der Leitung von Alexander Soddy zu verdanken. Der konnte mit seiner eigenen Nilkreuzfahrt alle Sympathien auf seine Seite ziehen. Ihm gelang es zudem seine Protagonisten zu vokalen Glanzleistungen zu verführen. Miriam Clark ist eine hinreißende Aida, mit überirdisch schönen Piani und jugendlich reinen, aber doch hinreichend kraftvoll schlankem Leuchten. Ihr gelingt es zudem eine darstellerische Autonomie und Würde zu bewahren, die die gegen jede Staatsraison und Vernunft lodernde Liebe eines Radames nachvollziehbar macht. Wie es Heike Wessels als Amneris auf der anderen Seite schafft, hinter der Maske von Frustration und affektierter Aufgeregtheit, die Tragik der Frau, die den Falschen liebt, vokal glaubhaft zu machen. Sung Ha lässt als kraftvoll markanter Ramphis auch stimmlich in offensichtlicher Konkurrenz zum etwas blassen König (John In Eichen) keinen Zweifel daran, wer das Sagen im Staate hat. Die einzigen beiden Nichtdebütanten Rafael Rojas als mühelos einschmeichelnder Radames und Jorge Lagunes als entschieden fordernder Amonasro spielen ihre Rollenerfahrungen voll aus. Der Chor ist fabelhaft von Dani Juris einstudiert. Das Publikum bejubelte alle Protagonisten. Das Regieteam kassierte dagegen etliche lautstarke Buhs.

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