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»Dr. FAUST jun.«. Alexandra Flood als Marguerite. Foto: © Christian POGO Zach
»Dr. FAUST jun.«. Alexandra Flood als Marguerite. Foto: © Christian POGO Zach
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Allzu „teutsche“ Teufelei – Münchens Gärtnerplatztheater hat Mühe mit Florimond Rongers alias Hervés „Dr. Faust jun.“

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Viele Zutaten sind vorhanden, um diese französische Persiflage des „Faust“-Stoffes zwischen Goethe und Gounod zu einem amüsanten Theaterabend zu machen. Dennoch geriet der Abend nicht zur rauschenden Wiederentdeckung Rongers als veritablem Vorläufer von und Wegbereiter für Jacques Offenbach.

Musikalisch war alles „haute cuisine“: Michael Brandstätter servierte mit dem Gärtnerplatzorchester mal schwelgerische Üppigkeit „à la Gounod“ und schwenkte gekonnt zu Walzer und Galopp bis hin zum Cancan. Elaine Ortiz Arandes changierte als Mephisto zwischen süffisantem „maître de plaisir“, berechnendem Verführer und holte in einem Prolog einen Faust-Darsteller aus dem Publikum – der sich dann als blitzsauber singender lyrischer Tenor David Sitka entpuppte. Ihm als auf offener Bühne zum rauschebartig ummaskierten „Professor Faust“ wurde dann eine Marguerite zur Pflege aufgedrängt – und Alexandra Flood brachte alles für ein „sexy beast“ mit und sang gestochene Koloraturen bis in schwindelerregende Höhen und um sie herum tollten die Musical-Studenten und –Absolventen der Theaterakademie singend und tanzend wie erfahrene Profis und der Gärtnerplatz-Chor bot eine Soldaten-Persiflage und ein gezielt steifes Belle-Epoque-Gesellschaftsimitat und all das kam hinten aus einem Höllenschlund, über dem sündig rot „L’enfer“ leuchtete undundund… und dennoch zündete all das nicht so recht…

Das lag hauptsächlich an der deutschen Fassung des Duos Troßbach-Risso. Der frech-leichte Chanson- und Couplet-Tonfall ist im Deutschen kaum nachzuahmen – und wenn Dirigent Brandstätter das Tempo noch mehr angezogen hätte, wäre noch weniger Text zu verstehen gewesen. Zwar amüsierten Fausts Selbstcharakteristik „Als ich jünger war, war ich auch schon alt“, Marguerites Verführungsnummer mit „Deutsch, blond und keusch“ samt Jodel-Imitat sowie ihrem „Sex-Studium“ ausgerechnet in England und Mephisto las dem Publikum die Leviten mit „Dummheit verdient das Böse“. Doch aus dem Libretto des französischen Duos Crémieux und Jaime müssten mehr aktuelle Attacken herausgelesen werden: Hervés Faust muss Mephisto nämlich nicht seine Seele verkaufen, sondern seinen Verstand – was angesichts unserer derzeit weltumspannenden Unvernunft doch erschreckend brisant ist! Es gibt auch keinen Pakt, denn „heute gibt sich jeder dem Teufel hin ohne Papier“ – und diese unsere unvermindert käufliche Gier wäre erst recht Stoff für bissig entlarvenden Spott, Häme und Kritik!

Doch dafür hätte der Text deftig aufgepeppt gehört – was Ronger-Hervé 1869 ff. in seinem Théâtre des Folies-Dramatiques durchweg praktizierte. So stimmte jetzt in Rudolf Freys Inszenierung grundsätzlich das Tempo nicht. Die wenigen Pointen verpufften. Beate Vollacks Choreographie wirkte allzu verzappelt. Die Freude an Rainer Sinells reizvollen Kostümen und weiträumiger Nutzung der Reithallen-Bühne rettete den bemühten Abend nicht … der Theaterfreund hatte Zeit darüber nachzudenken, ob nicht das französische Original mit deutschen Übertiteln bis hin zu Hinweisen wie „Achtung: Gounod!“ oder „Vorsicht: Wagner!“ oder „Tirol!“ den Abend kurzweiliger gemacht hätte.

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