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Gottfried von Einem: Der Prozess 2018: Ensemble, ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Foto: © Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Gottfried von Einem: Der Prozess 2018: Ensemble, ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Foto: © Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
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Ausgeliefert … – Gottfried von Einems „Der Prozeß“ bei den Salzburger Festspielen

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Zu dieser konzertanten Aufführung von Gottfried von Einems Kafka Oper „Der Prozeß“ muss man sich die beiden exzellenten Produktionen hinzudenken, die die Staatsoper Wien mit „Dantons Tod“ und das Theater an der Wien mit dem „Besuch der alten Dame“ aus Anlass des einhundertsten Geburtstags des Österreichers in der zu gerade zu Ende gegangenen Spielzeit herausgebracht haben.

Bei den Salzburger Festspielen gab es dazu, quasi als Ergänzung, jetzt in der Felsenreitschule die dritte der langfristig gesehen erfolgreichsten Literaturopern des 1918 geborenen Komponisten. 1953 hier uraufgeführt ist sie Teil einer Festspielgeschichte, die auf interessante Weise mit den Zeitläuften verwoben ist. Ein Jahr nach Kriegsende hatte von Einem eine ehrenamtliche Beratertätigkeit für das Festspieldirektorium begonnen. Nach dem Sensationserfolg seiner Oper „Dantons Tod“ 1947 bei den Festspielen wurde er im Jahr darauf sogar ins Festspielpräsidium berufen. Als von Einem sich aber für die Einbürgerung ausgerechnet der Linken-Ikone Bertolt Brechts nach Österreich einsetzte, wurde das zum politischen Skandal. In der Folge einer beispiellosen Kampagne kostete es ihn 1951 seinen Posten im Direktorium. Nach dem in jeder Hinsicht erfolgreichen, als Rehabilitierung gedachten, „Prozeß“ kehrte er, jetzt als Vorsitzender des gerade geschaffenen „Kunstrates“ der Festspiele, auch organisatorisch wieder zurück. Er nutzte diese nicht allzu genau definierte Position für die Etablierung von Neuer Musik bei den vor allem auf ihre Tradition setzenden Festspielen. Immerhin hielt von Einem diesen mühsamen Kampf bis 1964 durch. Bei seiner Demissionierung hatte er immerhin zwischen 1948 und 1961 neun szenische Uraufführungen durchgesetzt. Und so ein Stück Festspielgeschichte geschrieben, an die die programmatische Öffnung in den 80er Jahren anknüpfen konnte.

Nun, im Jahr seines 100. Geburtstages, hat es zwar nicht zu einer szenischen Neuproduktion einer seiner Opern gereicht, aber in einer Melange aus historischem Bewusstsein und Festspielluxus bat man immerhin für eine einzige konzertante Aufführung die Fans dieser Musik zu einem Hochamt in die Felsenreitschule.

Am Ende, beim enthusiastischen Schlussapplaus, küsste der Dirigent HK Gruber die Partitur seines Lehrers und Freundes. Es war dem dirigierenden Komponisten anzumerken, dass es ihm eine Herzensangelegenheit war, das Radio-Symphonieorchester des ORF zur Hochform zu führen und das auf die das erstklassige Protagonistenensemble zu übertragen. 

Mit dem Libretto folgten Boris Blacher und Heinz von Cramer dem Roman von Franz Kafka, dampften ihn lediglich operngerecht ein. In den knapp zwei Stunden in neun Bildern wird nichts unterschlagen.

Im Zentrum steht jener Prokurist Josef K., der eines morgens aufwacht und verhaftet ist. Weder wir noch der Angeklagte erfahren bis zu seiner Hinrichtung, wessen er eigentlich angeklagt ist. Diese Ohnmacht des Einzelnen, die Mächte zu durchschauen, die ihn beherrschen und die Wehrlosigkeit mit der man reagiert, wenn man in die Mühlen der Justiz gerät, ist sprichwörtlicher Kafka! Für die wachsende Beklemmung, die das bei Josef K. aber auch bei den Zuschauern auslöst, trifft die Musik einen eingängig bannenden Sound. Auch wenn gleichsam hinter dieser Nebelwand immer wieder einmal bekanntes, melodisches, lyrisches, jazziges aufscheint, verstärkt das den Grundeindruck nur noch. 

Die Musik selbst ist heute längst unmittelbar eingängig, behauptet sich aber selbstbewusst unter den ihr folgenden Novitäten. (Gruber verweist im Programmbuch etwa auf John Adams „Nixon in China“).

Die neun Bilder haben einen inneren Zusammenhang aber doch auch einen jeweils eigenen Charakter. Für den deklamatorischen, rhythmisch pointierten Stil war das richtige Ensemble beisammen. Aus dem einen Dutzend Protagonisten, die die insgesamt 28 Rollen teilten, ragt der fabelhaft eloquente Tenor Michael Laurenz mit seinem Josef K. heraus. Er bildet den Fixpunkt, auf den sich alle anderen in ihren wechselnden Rollen beziehen. Bei den Frauen etwa muss sich Ilse Eerens als Fräulein Bürstner, die Frau des Gerichtsdieners, Leni und Buckliges Mädchen gleich vierfach bewähren, während sich Anke Vondung auf ihre Frau Grubach konzentrieren kann. Auch Jörg Schneider kann sich auf den schwadronierenden Maler Titorelli konzentrieren. Jochen Schmeckenbecher hingegen hat mit dem Aufseher, dem Geistlichen, dem Fabrikanten und dem Passanten vor allem die Autoritäten, und Matthäus Schmidlechner neben dem Studenten noch den Direktor-Stellvertreter zu singen. Komplettiert wird das fabelhafte Ensemble durch Lars Woldt, Johannes Kammler, Tilmann Rönnebeck, Alexander Hüttner, Martin Kliener und Daniel Gutmann, um sie wenigstens zu nennen.

Szenisch war dieser Prozeß im aktuellen Salzburger Programm ein konzertanter Ruhepunkt. Musikalisch aufregend vielleicht wie am ersten Tag.

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