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Bayreuther Festspiele eröffnet: „Der fliegende Holländer“ und „Tristan und Isolde“

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Bastel- und Zeichenspiele enthält das Programmheft zur Kinderoper „Der fliegende Holländer“, mit dem sich Bayreuth in der zum Breitwandtheaterraum (Bühnenbild: Merle Vierck) umgestalteten Probebühne IV des Festspielhauses erstmals konkret um den Nachwuchs an Zuschauern kümmert. Fassung und Umsetzung auf Bayreuth-Niveau überzeugten die bei der Premiere in der Überzahl anwesenden erwachsenen Zuschauer ebenso, wie die Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren, für die sie konzipiert ist.

Für die Kostümfigurinen wurde ein bundesweiter Wettbewerb an Schulen veranstaltet, und die (Frei-)Karten für Schulklassen wurden übers Internet verlost.  Dirigent Christoph Ulrich Meier – er hatte sein Hügel-Debüt mit „Tannhäuser“ und leitete auch Katharina Wagners „Rienzi“-Inszenierung in Bremen – hat die Originalpartitur auf einen 19-köpfigen Klangkörper mit solistischen Streichern reduziert. Unter seiner Leitung klingt die Kammerphilharmonie aus Wagners Vaterstadt Leipzig ebenso überzeugend, wie der spielfreudige, auf dreizehn Köpfe reduzierte Chor (Chorsoli des  Festspielchores, einstudiert von Christian Jeub). In der Textfassung von Katharina Wagners PR-Manager Alexander Busche erzählt der alte Steuermann (Schauspieler Frank Engelmann) die in musikalische Häppchen aufgelöste Geschichte als Rückblick. Da ist nicht mehr vom Fluche des „Satan“ die Rede, sondern von einem „Wassergeist“. Und wenn der Steuermann beim hangreiflichen Streit zwischen Erik und Senta kommentiert, „Erik versucht Senta von seiner Liebe zu überzeugen“, dann lachen auch die Erwachsenen.

Alvaro Schoeck, ein Verwandter des Schweizer Komponisten, hat die insgesamt fünfviertelstündige „Holländer“-Fassung kurzweilig und jugendgerecht inszeniert. Holländer (der junge Dmitri Orlov vom Moskauer Konservatorium) erscheint auf einem Schienenkarren und durchbricht dann die Wand des Daland-Hauses an jener Stelle, an der Senta eine Kreidezeichnung von ihm gefertigt hat. Senta (Anna Gabler), die sich als Seeräuberbraut maskiert, springt am Ende nicht vom Felsen: durch ein Fenster, zu dem ihr Verlobter Erik (Florian Hoffmann) ihr Hochbett nie zu schieben bereit war, entweicht sie, gemeinsam mit dem Holländer, in eine andere Dimension. Dazu erklingt der Erlösungsschluss von Wagners Münchner Fassung, dessen tristanische Wendungen den Bogen zur großen Eröffnungspremiere schlagen. 

Christoph Marthalers postmoderne Inszenierung ist in die Jahre gekommen. Den Medien der neuen Ära der Wagner-Urenkelinnen verpflichtet, wird „Tristan und Isolde“ am 9. August als „Public Viewing“ auf einer Großbildleinwand des Bayreuther Volksfestplatzes zu sehen und per Live Stream weltweit zu erleben sein. Dies mag aufgrund des unsinnlichen Raumes von Anna Viebrock zunächst als wenig reizvolles Unterfangen erscheinen, doch könnte gerade diese Inszenierung im neuen Medienverbund von Screen, Internet und anschließender DVD spannender wirken als im Festspielhaus, denn Marthalers Regie lebt von ihren Nuancen. Dies wird dies sogar im neuen Programmheft erlebbar, denn nach Jahren des schweren Gesamtprogramms im Folioformat gibt es nun wieder Einzelhefte, die in die Taschen des Smokings passen; und das zu „Tristan und Isolde“ kann man auch als Daumenkino verwenden.

Wenn Isolde nach dem vermeintlichen Todestrank vergeblich auf den Exitus wartet, ihre Halsschlagadern testet und verzweifelt ihren Puls misst, während Tristan sich auf den Clubsesseln schon mal zum Sterben flachlegt, ist der Zuschauer bereits tief  in den Kessel Marthalerscher Komik eingetaucht. Die Schiffs- und Lebensreise wird hier als ein permanentes Wechselbad von Energieströmen sichtbar. Dem ganz realen Löschen der Lichtschalter (anstelle der bei Wagner verlöschenden Fackel) folgen die kleineren, insbesondere Isolde faszinierenden Wunder selbstlaufender Energie-Indikationen: Leben ist Energie, die lässt sich verströmen, aber auch – im Wagnerschen Sinne als „Liebestod“ – ganz bewusst ausschalten. Im Werkraumkeller des abgesackten Einheitsraumes beginnen bei Tristans Flüchen abgelagerte Neonröhren ohne Stromanschluss zu flackern. Und wie der zum Hausmeister gewordene alte Hirt dies registriert, das ist ein eigenes Charakterstückchen: die starken Subtexte von Arnold Bezuyen konterkarrieren Tristans exzessive Ausbrüche und lassen gleichzeitig an die Gewerkschaft Verdi denken, die für den Eröffnungsabend einen Streik angekündigt hatte. Er konnte abgewendet werden, wäre aber – nach den Erfahrungen mit dem technisch reduzierten Spielplan der Bayerischen Staatsoper in einer ähnlichen Situation – für diese Inszenierung durchaus zu verschmerzen gewesen.

Iréne Theorins Isolde überzeugt neben ihrem Volumen mit weichen Piani und Spielfreude, in der Artikulation bleiben jedoch Wünsche offen. Im Bemühen, wie eine zweite Isolde zu klingen, fallen bei Michelle Breedt als Brangäne Vokalverfärbungen unangenehm auf; an Komik vermag Breedt, wenn sie, wie von der Tarantel gestochen, den Bühneraum durchrast, durchaus mitzuhalten. Bei Robert Dean Smith’ Tristan waren in den Fieber-Eskalationen des dritten Aufzuges Ermüdungserscheinungen merkbar. Nicht so bei Jukka Rasilainen als Kurwenal im Kilt, der Tristans Diener als kauzigen Sonderling mit Witz und Stimmkultur verkörpert. Eine wirklich spannende gesangliche Gestaltung gelingt Robert Holl als Marke: mit seiner an Lied-Praxis geschulten Diktion charakterisiert er auch da nuancenreich, wo die Regie auf trockene Farblosigkeit zielt. Publikumsjubel, aber auch einige Buhrufe für Peter Schneider, dessen all zu gleichförmiges Dirigat nur wenige orchestrale Spannungspunkte aufweisen konnte.

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