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Morton Feldman / Samuel Beckett / Romeo Castellucci: Neither, Jahrhunderthalle Bochum, 2014. © Ruhrtriennale, Foto: Stephan Glagla, 2014
Morton Feldman / Samuel Beckett / Romeo Castellucci: Neither, Jahrhunderthalle Bochum, 2014. © Ruhrtriennale, Foto: Stephan Glagla, 2014
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Castellucci-Fantasien – Feldman/Becketts Avantgarde-Oper Neither bei der Ruhrtriennale

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Es ist der Hit dieser Ruhrtriennale: Tiere auf der Bühne. Den Anfang gemacht hatte Festivalchef Heiner Goebbels. Im großen Misterioso um Andriessens De Materie durfte eine Schafherde auflaufen. Irgendwie wollte sich Romeo Castellucci da wohl nicht lumpen lassen. Für Morton Feldmans Experimental­oper Neither, ein auskomponierter Trance-Zustand auf ein hermetisches Textfragment von Samuel Beckett aus dem Jahr 1977, hatte er mit Hund und Katz und Pferd den Streichelzoo komplettiert.

Womit sein Ausstattungseifer aber keineswegs gestillt war. Da gesellten sich zu den Tieren zunächst jede Menge Kinder. Dann rollte, ganz im Stil der guten alten Zeitoper, ein Auto aufs Spielfeld und am Ende eine ausgewachsene Lok, von Castellucci auf Publikum-Kollisionskurs gebracht, bis sich das Ungetüm im letzten Augenblick doch anders besinnt, um sich fast ein wenig beleidigt zurückzuziehen, nicht ohne gehörig Dampf abzulassen. Letzterer verflüchtigte sich dann recht schnell in den oberen Etagen der Bochumer Jahrhunderthalle. Wer wollte, konnte in dieser finalen Einstellung ein Menetekel erkennen für eine der sonderlichsten Produktionen dieses Internationalen Festivals der Künste.

So ziemlich alles, was diese mit Spannung erwartete Neuinzenierung einer an den Rändern des Genres operierenden Avantgarde-Oper offerierte, war Remake, war Dejà-vu, allerdings mehr der Sorte des abgesunkenen Kulturguts zugehörig. Von alten amerikanischen Kinofilmen hatte sich Castellucci das Setting einer Mafiosi-und-Gendarm-Geschichte geborgt mit nächtlichen Überfällen auf alleinstehende Häuser, Bedrohung unschuldiger Zivilisten, mit Schändung, Totschlag und anderer unerfreulicher Dinge mehr wie der nachfolgenden Amputation eines Frauenbeins, das dann erst lange nur herumlag bis es von rußverschmierten Eisenbahnern wieder in aufrechte Position gebracht ward – ein Knie geht durch die Welt hätte Morgenstern da in den Saal gerufen. Doch der ist lange tot und konnte uns, die wir diesem losgelösten Theater befremdet zu folgen suchten, nicht mehr aufheitern. So wurden die Gesichter zwangsläufig immer länger. Und als es in die Bewegungslosigkeit des surrealistischen Schlussbilds mit aufgestelltem Bein und davonhumpelnder Double-Mutter ging und man aufgegeben hatte, zu ergründen, was das erstens sollte und was es zweitens mit Neither zu tun haben könnte, war die Luft raus. So sehr, dass man mit dieser musealen Theater-Lok und ihrem letzten erschöpften Dampfablassen schon ein wenig Mitleid haben konnte.

Fazit: Kein neuer Schlüssel zur Musik dieser fast vergessenen Gegen-Oper, die Morton Feldman auf einen erratischen Text eines anderen Virtuosen des Nichterscheinenmachens, Samuel Beckett, geschrieben hat. Vor den eigentümlich schwankenden Cluster-Klängen, dem scheinbar voraussetzungslosen Anfangen und ebenso motivationslosen Abbrechen, hat diese Regie die Waffen gestreckt. Wie sie das Orchester der Duisburger Philharmoniker denn auch überhaupt im rechten Seitenschiff mehr versteckt als aufgestellt hat. Da konnte Emilio Pomarico in gewohnter Manier des vor keiner Partitur zurückschreckenden Dirigenten noch so luzide am Ausdruck und an den Äußerungen arbeiten – es war und blieb ein Ereignis am Rande. Was Bühne war an diesem Abend, gehörte den Castellucci-Fantasien. Ich, ich bin wichtig! Hier spielt die Musik! hieß es in einem fort.

Was, wenn man den sympathischen Italiener ein wenig kennt, eigentlich klar ist. Als Konzeptkünstler durch und durch geht Romeo Castellucci nicht vom Werk, nicht von Dingen wie einer Partitur aus, um daraus seine Vorstellung zu bilden, sondern eingestandermaßen vom Werktitel – „wie das so oft bei mir der Fall ist“ wie er uns aus dem Programmheft souffliert. Überhaupt verdichtet sich der Eindruck als ob dieses Theater an der höheren Dramaturgen-Prosa hängt wie der Intensivpatient am Tropf. Neither? „Transzendierung des Körpers in der Entfaltung eines hypothetischen Selbst an der Verwerfungslinie der Simulation von Geschichten.“

Bei so viel Verwerfungslinien blieben denn, wie das so oft der Fall ist, vor allem die Leistungen der Sänger und Musiker im Gedächtnis. Hier an erster Stelle zu nennen die famose Sopranistin Laura Aikin, die die in ein vokales Fließen aufgelösten Textfragmente ohne Einbrüche und Unfälle bewundernswert Gestalt werden ließ. Nicht verschwiegen sei indes, dass Castellucci mit einem ebenso überraschenden wie überwältigenden Ausstattungseinfall dann doch noch eine Musik-Nähe gelungen ist, die ihm mit seiner Regie versagt blieb. Als nämlich unten auf der Spielfläche der Jahrhunderthalle die Sache allmählich heikel wurde, ließ er als rettenden Stern hoch oben unterm First einen Lichtkegel aufgehen in Form eines alten Uhren abgeschauten Riesen-Pendels, das sich mit erhabenem Taktgefühl in den Rhythmus und in die repetitiven Formverläufe der Musik einschwang. Dramatik, soviel können wir festhalten, ist bei Castellucci eine Angelegenheit der Zeichen. – Draußen dann, beim Nachhauseweg, war der Riesenkran, der uns schon beim Kommen so irritiert hatte, gerade dabei, seinen Arm einzufahren. Irgendwer muss ja die Laterne schwenken.

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