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Christoph Marthaler - Foto: Oswald
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Collage von Christoph Marthaler: Vom Hotel zum „Waldmusiktheater“

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„Die musikalisch-theatralen Collagen, mit denen die ‚Christoph-Marthaler-Familie‘ berühmt geworden ist, haben etwa ähnlich viel gemeinsam mit einem herkömmlichen Theaterstück wie das Waldhaus mit einem herkömmlichen Luxushotel“, meint Urs Kienberger, der zusammen mit seiner Schwester Rita und seinem Schwager Felix Dietrich das Hotel Waldhaus in Sils-Maria betreibt. Ein Familienunternehmen als Bühne - ein Hotel als Opernhaus.

So dürfte das Waldhaus das einzige Fünf-Sterne-Hotel der Welt sein, das seinen Gästen zum hundertjährigen Bestehen des Hauses zumuten und sie damit erfreuen kann, dass der vertraute Ort durch eine theatrale Marthaler-Aufführung verfremdet wird.

Lang ist die Liste der Kulturschaffenden, die in diesem Grandhotel in Sils-Maria nächtigten – Thomas Bernhard, Joseph Beuys, Richard Strauss, Bruno Walter sind nur wenige Beispiele aus einer langen Reihe berühmter Namen; ein Salonmusik-Trio und ein Welte-Mignon gehören zur musikalischen Grundausstattung des Hauses. Und so ist es wohl mehr Glücksfall als Zufall, dass die Hotelierfamilie mit Jürg Kienberger einen renommierten Theater(musik-)macher hervorgebracht hat, der nicht nur seit vielen Jahren bei Christoph Marthalers Bühnenproduktionen mitwirkt, sondern auch mit eigenen Projekten und Bühnenmusiken (zum Beispiel beim „Großen Welttheater“ 2007 in Einsiedeln) von sich reden macht – unter anderem auch als Mitwirkender in einer Waldhaus-CD mit eigenwillig-schrägen, witzigen Monologen.

Wer zum „Marthaler-Event“ bereits eine Woche zuvor anreist, erlebt die subtile Metamorphose des Hotels in einen imaginären Ort am deutlichsten: Plötzlich wachsen Kakteen von der Decke, Zimmernummern werden durch fremdartige Symbole ersetzt, ein geheimnisvoller Bretterverschlag entsteht vor der Tiefgarage und aus dem sonst so stillen „Sunny Corner“ dringt auf einmal live gesungen Isoldes Liebestod.

Das Faszinierende an diesem Gesamtkunstwerk, das weit über eine herkömmliche Theaterperformance hinausgeht, und das Marthaler unter anderem zusammen mit den Protagonisten Claudia Carigiet, Rosemary Hardy, Christoph Homberger, Graham Valentine und zahlreichen anderen Mitwirkenden realisiert, ist die genaue Beobachtung und „Aushörung“ des Waldhaus-Alltags. Die große Halle wird von fiktiven Hotelgästen als Bühne zelebriert, ein extra aufgebauter Jägerstand hinter dem großen Fenster dient einem Jäger („Stalker“) als Beobachtungsposten und schließlich als Ort, von dem aus er mit Schüssen den Selbstdarstellungsposen der Schauspielgäste ein Ende bereitet. Jürg Kienberger konnte bei den ersten Aufführungen nicht mitwirken. Aber gerade er vervollständigt das Bild: Wenn er sich als fiktiver Kellner mit Kissen statt Tablett auf seiner Schulter während der Aufführung durch die engen Stuhlreihen zwängt oder mit einem laut klappernden Geschirrwagen die schönsten Tenorarien geräuschvoll unterbricht, dann wird klar, dass im Gegensatz zum gängigen Klischee-Bild im Alltag nicht nur die Hotelgäste Mitwirkende in einem seltsamen Theaterstück sind, sondern auch das Hotelpersonal Hauptrollen einnimmt.

Am spannendsten ist jedoch die akustische Verwandlung des Grandhotels: Im Waldhaus gibt es niemals Musikberieselung per Lautsprecher, die technischen Einrichtungen dafür sind eigentlich gar nicht vorhanden. Das Trio Farkas sorgt live für die Salonmusik, und zahlreiche eingeladene oder durchreisende renommierte Gastmusiker/-innen wie etwa der Cellist Danjulo Ichizaka sorgen für das „5-Sterne-inklusive“ Konzertprogramm.

Wenn nun Marthaler den Speisesaal mit „Radio Waldhaus“ beschallt oder auf den Toiletten andauernd „Ich werde hundert Jahre alt“ ertönt, während in der Theaterstückaufführung Livegesang, Instrumentalspiel, synchrones Zeitungsumblättern und das Klirren von Besteck und Schlüsseln die Musik-Collage bestimmen, wird manch langjährigem Waldhausgast vielleicht zum ersten Mal bewusst, dass es diese in der heutigen Zeit so selten gewordene „akustische Nichtberieselung“ ist, die den Urlaub in diesem Hotel vielleicht am stärksten prägt. Deutliche Symbolik: Wenn im Theaterstück „Happy Birthday, liebes Waldhaus“ gesungen und eine Heesters-Parodie aufgeführt wird, untersucht ein Arzt die Ohren der fiktiven Gäste.

Das Geburtstagsfeuerwerk in der Tennishalle am Ende der Aufführung findet nur in der Imagination der Zuschauer statt: In Wirklichkeit wird es akustisch mit aufprallenden Bällen und Pfeifgeräuschen simuliert – vielleicht die poetischste Huldigung an die akustische Landschaft und den Charme dieses einmaligen Hauses, dessen Gästen und Mitarbeiter/-innen man nur wünschen kann, dass es noch mindestens weitere hundert Jahre einen so spannenden „Eigenklang“ und eine so individuelle, „schräge“ und dennoch überaus herzliche Atmosphäre behält.

Weitere Aufführungen von „Das Theater mit dem Waldhaus“ vom 25. bis 28. März 2009

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