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Lakker. Foto: jobix photography
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Dancefloor-tauglich mit Kunstanspruch: Das Berliner Krake-Festival macht Ohren, Geist und Körper frei

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Die Krake breitet ihre Arme aus, weit über alle Grenzen und Sparten elektronischer Popkultur. Seit drei Jahren stellt sich in Berlin das gleichnamige Festival jeder Tendenz zur inflationären Beliebigkeit mutig entgegen – und zeigt, dass zwischen progressivem Kunstanspruch und Dancefloor-Tauglichkeit von programmierten Sounds und Beats kein Widerspruch bestehen muss. Also flogen beim Krake Festival nicht nur zu vorgerückter Stunde die Arme hoch, sondern eswurde auch gründlich zugehört.

Die Ausrichter des Krake-Festivals vom Killekill-Label (www.killekill.com ) haben das Konzept verschlankt und dabei gleichzeitig neue Örtlichkeiten mit einbezogen. Mit Spannung erwartet wurde der diesjährige Eröffnungsabend in der Passionskirche, eine Rechnung, die bestens aufging. Augenzwinkernd bemerkt Tobias „Tobey“ Schleinkofer, dass Leute wie der Multimediakünstler Thomas Köner mit seinen Drones (darunter versteht man im weitesten Sinne monotone, dunkle Klangflächen) die Kirchenmauern richtig zum Vibrieren brachte. 

Zum guten Ton gehört, auch den profilierten Technoclub Berghain (der übrigens im internationalen Ranking aktuell deutlich zurückgefallen ist…) mit einzubeziehen. Ohnehin tritt das ehemalige Heizkraftwerk nicht nur als begehrte Adresse fürs auserlesene Feierpublikum, sondern ebenso als Aufführungsstätte musikalischer Avantgarde in Erscheinung. 

Und wieder öffnete der Suicide Circus im Stadtteil Friedrichshain seine Graffiti-besprühten Türen fürs Krake-Festival. Wo hier ungefähr ein Dutzend Clubs für die nächtliche Abfahrt ein breites Angebot darstellen, sind hier die eher kleineren Räumlichkeiten des Suicide Circus für eine konzentrierte Atmosphäre  gut.

Während das Klischee des Elektronik-Musikers diesen nur zu oft in versteinerter Haltung hinter seinen Apparaten verortet, bemüht sich der Ambient-Zauberer Ulrich Schnauss um deutlich mehr Transparenz. Er bricht die Frontalsituation auf, nimmt dafür dieselbe Blickrichtung ein wie sein Publikum, um in die Tasten seines Keyboard-Apparates blicken zu lassen. Sowas legt das Handwerkliche offen. Und auch die normale Erwartungshaltung eines Freitagabend-Clubgängers wird mit den – durchaus an Brian Eno erinnernden – Wohlfühl-Sphärenklängen reichlich durchkreuzt und die Gelegenheit zum kontemplativen Zuhören umso mehr genutzt. 

Doch auch in der Königsdisziplin des geraden Viererbeats tun sich weite verschlungene Welten auf, wenn nur solche Künstler wie auf dem Krake Festival genau wissen, was sie wollen und tun. Und die Energie, die den abgedunkelten Raum des Suicide Circus während der Samstagnacht immer mehr anfüllte, wuchs proportional zur Publikumsexplosion, die es ab halb drei in der Nacht auf der Tanzfläche eng werden ließ. „Swarm Intelligence“ nennt sich ein Berliner DJ, der vor allem die Akzentuierungen auf der Bassdrum variiert, Elemente von Dubstep und Industrial integriert und damit extrem die Körper der Tanzenden steuert. „Phlex“ versteht sich darauf, perkussive Bassdrums mit viel harschem Noise zu überlagern,  um damit eine atemberaubende Videokunst hoch über der Tanzfläche zu verdichten: Flimmernde zerhackte Sequenzen von Leibern im Wasser, von Erotik und Körperlichkeit.

Der Brite Tim Exile alias Tim Shaw demonstriert sehr anschaulich, auf welch unterschiedlicher Grundlage eine funktionale Klangkunst mit Rhythmen, Basslinien und geräuschhaften Klängen funktionieren kann. Sein Rohmaterial für alles ist die eigene Stimme. Per Gesangsmikro spielt er Fetzen seiner eigenen Stimme auf Sampler und Loopgeräte, um daraus einen Kosmos aus schrägen Grooves und noch viel mehr zu evozieren. 

Auch das irische Duo „Lakker“ überschüttet das Publikum mit dichten Wogen aus geballter hypnotischer Energie. Rauschhaft, ekstatisch und zugleich ausgesprochen abstrakt feuern die zwei Iren ihr suggestives Ideenfeuerwerk ab, das irgendwo zwischen Techno,  psychedelischer Klangkunst und Noise angesiedelt ist. Einmal mehr spielt sich hier ein organisches, von vielen Einflüssen und Klängen genährtes Ganzes frei und stimuliert zugleich die Körper der Tanzenden.

Auf dem Krake-Festival haben sich aktuelle Künstler von Schubladen und Stereotypen emanzipiert, die doch in so manchen Bereichen der Clubmusik-Kultur von heute für so viel Wiederholung sorgt. Ohren, Geist und Körper werden wieder frei für das Unbekannte. Und man taucht irgendwann wieder wohlig erschöpft an der Oberfläche eines Berlins in der frühen Morgenstunde auf. Längst ist schwarz wieder zu blau geworden am Himmel über dieser weitläufigen Partymeile an der Revaler Straße.

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