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Die Soldaten an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Die Soldaten an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Das Orchester ist die Militaria – Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ an der Komischen Oper Berlin

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Für den katalanischen Regisseur Calixto Bieito ist die aggressive Klangmaschinerie in Bernd Alois Zimmermanns an Radikalität bislang unüberbotener Partitur aus dem Jahre 1965 identisch mit dem Apparat der titelgebenden Soldaten. In Uniformen und mit militärischen Kopfbedeckungen spielen die 120 Orchestermitglieder auf sieben Ebenen eines Stahlgerüsts, mitten auf der Bühne, untermischt mit kinetischen, sich horizontal und vertikal verfahrbaren Elementen für Schlagwerk, sowie Aufzüge von Sängerdarstellern und Komparserie.

Ein kleines Mädchen im roten Kleid trägt einen Hahn auf ihren Armen – mit dieser Projektion (Video: Sarah Derendinger) beginnt die Opernproduktion noch vor dem ersten Orchestereinsatz. Später wird das Mädchen auf insgesamt vier Videoscreens durch bedrohliche Stahlgänge laufen und nach der Pause wird der tote Hahn von roten und weißen Maden bevölkert – wie eine Hommage an die durch Maden scheinbar wiederbelebten toten Hasen in Schlingensiefs „Parsifal“-Inszenierung in Bayreuth.

Im Bühnenbild von Rebecca Ringst wird szenisch auf die Rhythmus-Gruppe der 18 Offiziere und Fähnriche verzichtet. Deren Klangerzeugung mit Tischgeschirr, Tischen und Stühlen wird nur partiell von Schlagzeugern übernommen, das kollektive Klingeln der Löffel in den Tassen in der simultanen Kaffeehausszene entfällt.

Mit dem direkten Blick auf das gigantische Orchester werden dem Betrachter gleichwohl einige Zusammenhänge zwischen Klang und Klangerzeugung deutlicher, etwa wenn die Blechbläser tonlos in ihre Instrumente blasen. Wie schon in Bochum, muss auch in Berlin kein Fernorchester an den Aufführungsort übertragen werden; die Einspielung der elektronischen Bänder, als Sourroundklang im Auditorium, gewinnt so an Prägnanz.

Dirigent Gabriel Feltz leitet die ursprünglich von Zimmermann für sieben simultane Dirigenten konzipierte Mammutpartitur als Apparat sicher und bemüht sich dabei merklich, dem Werk auch musikalisch eine eigene Lesart abzugewinnen. Dabei arbeitet er die Bach-Bezüge besonders heraus und betont die Nummern-Struktur der Gesamtkonzeption überdeutlich durch Einschnitte. Die so entstehenden, mal kürzeren, mal längeren Pausen werden vokal gefüllt durch kollektive „Ja“-Rufe, durch skandierende Schreie oder das Heulen Maries.

Die Dominanz des Schlagwerks betont das Waffenartige des Orchestersatzes jener Opernhandlung, die ohne Schlacht und Krieg auskommt. Denn dem Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz ging im Jahre 1775 in seinem Drama, das dem Libretto Zimmermanns zugrunde liegt und das seinerseits bereits dramaturgisch das Zeitalter des Films antizipiert, ausschließlich um die Frage, wie es zu verhindern sei, dass junge Mädchen durch die per Gesetz zur Ehelosigkeit verpflichteten Soldaten zu Huren gemacht würden.

Während des Orchestervorspiels rückt die Front der heutig gewandeten Darsteller (Kostüme: Ingo Krügler) unter dem Stahlgerüst im Gleichschritt an die Rampe. Die Entwicklung der jungen Marie von der Soldatenbraut zur Soldatenhure macht die dänische Sopranistin Susanne Elmark – wie zuvor schon in Bieitos Inszenierung Zürich – sängerisch und schauspielerisch mit Lockerheit und mit selbstverständlicher Hingabe zum Ereignis.

Die Simultanität bei Zimmermann wird durch Videos weiter zugespitzt. So überlagert etwa die Szene von Stolzius (Tom Erik Lie) und seiner Mutter (Christiane Oertel) eine Live-Projektion von Marie, die ich am Bühnenrand ihre Lippen nuttig, aber auch blut-rot schminkt. Jenen Brief, den Marie in der ersten Szene an ihren postpubertär unter der Fuchtel seiner Mutter bebenden, fernen Verlobten geschrieben hat, zerreißt dessen dominante Mutter kurzerhand.

Schwungvoll, merklich am ganzen Körper enflammiert, ist Marie von den Komplimenten des Baron Desportes (Martin Koch). Er filmt Marie mit einer Handkamera, und sein spezifischer Aspekt auf das Objekt der Begierde wird auf Screens übertragen. Das anschließende Unwetter deutet Marie als Gewitter der Gefühle in sich: sie reißt sich mit den Worten „Wenn es einschlägt“, ihr Gewand auf und bietet ihre nackten Brüste der Welt dar. Bei ihrem Manifest, „ich sterb’ nicht anders als gerne“, breitet sie die Arme, gleich dem Gekreuzigten aus. Am Ende der Handlung stirbt sie tatsächlich so, – obendrein von Blut übergossen.

Die Szene auf dem Stadtgraben in Amentièrs wird zur brutalen Folterszene an einem jungen Mann, der mit grüner Perücke zur Frau gemacht und ausgepeitscht wird. Auf Gerüsten rechts und links des Proszeniums überhöht, erfolgt die Diskussion von Feldprediger (Joachim Goltz) und Pirzel (Hans Schöpflin) als geistiger Höhenflug an der trüben Wirklichkeit vorbei. Maries Großmutter (wunderschön singend: Xenia Vyaznikova) mischt sich an ihrem fahrbaren Tropf über die von ihr gesungene Szene hinaus, als älteste Generation wiederholt sichtbar ins Geschehen.

Im Gegensatz zu der mit ähnlich starken Bildern aufwartenden Inszenierung von David Pountney in der Jahrhunderthalle in Bochum, erfährt die Opernhandlung in Berlin eine Pause nach dem zweiten Akt; zuvor frieren Orchester und der ebenfalls in Uniform dirigierende Orchesterleiter ein zu einem Tableau vivant, und die Zuschauer verlassen in gedämpfter Stimmung, merklich leise, den Saal.

Szenisch aufgewertet wird Charlotte (Karolina Gumos). Ihre Bezeichnung Maries als „Soldatenmensch!“ erfolgt hier nicht als ein anklagender Ausruf, sondern hat zugleich etwas fatal Verlockendes. Die Beziehung zwischen den Schwestern besitzt denn auch eine deutlich erotische Komponente, wobei sich die ältere, vom Leben frustrierte, bewusst in die Hände der jüngeren, auf die Soldaten so erfolgreich wirkende Schwester begibt. Auf die ihr von Marie ausgezogene und dann am Boden liegende Oberbekleidung bezieht sich der wiederholt vorgebrachte Satz von der „großen Unordnung hier“. Zuvor schon, bei der Kutschenfahrt mit Herrn von Mary (Günter Papendell) wurde die Landpartie unmissverständlich als ein flotter Dreier gedeutet: die mit Marys Gürtel gegängelte Marie befriedigt den Adeligen oral, während der sich, an Charlottes Busen grapschend, zusätzlich aufgeilt.

Völlig neu, aber konsequent und plausibel ist Bieitos Sicht auf die Gräfin, die Noëmi Nadelmann hinreißend interpretiert. In der Berliner Inszenierung ist sie eine alte Schlampe, die ihrem libidinösen Sohn lautstark und heftig den Po verdrischt und dabei selbst zum Orgasmus kommt. Das bei Aufführungen häufig überaus lang und redundant erscheinende Duett von Mutter und Sohn, das auch in der Inszenierung von Hans Neuenfels – bei der Berliner Erstaufführung an der Deutschen Oper vor nunmehr 31 Jahren – mit Autoscooter-Fahrten optisch mehr überbrückt als gelöst erschien, wird an der Komischen Oper Berlin zu einem dramatischen Höhepunkt des Abends. Den Sohn der Gräfin, den jungen Grafen, habe ich noch nie so glaubhaft verkörpert und zugleich trefflich gesungen erlebt wie von Adrian Strooper.

Warum Marie die ihr von der Gräfin angebotene Stelle als „Gesellschafterin“ in ihrem Haus nicht erträgt und fortläuft, wird in Bieitos Inszenierung ebenfalls drastisch deutlich: die Gräfin verdrischt die Geliebte ihres Sohnes zunächst mit ihrer Handtasche, um sie dann demütigend weiter zu missbrauchen: mit Spucke an den Händen massiert sie ihr das Gesicht, zieht Marie aus und raubt ihr durch das Lösen sämtlicher Haarklammern und -Spangen gesellschaftlich den letzten Halt; gleichwohl legt sie der Geschundenen am Ende der Szene ihre Pelzjacke um. Maries Prostitutionsangebot gegenüber ihrem Vater Wesener (Jens Larsen) erfolgt dann bei vollem Bewusstsein und szenisch durchaus eindeutig.

Obgleich in der Produktion mit zahlreichen Live- und ergänzenden Projektionen gearbeitet wird – so antizipiert etwa der Lauf einer Ratte in Zeitlupe die Fußtritte der zahllosen Gefallenen – gibt es keine Entsprechung für die vom Komponisten geforderte finale Projektion des Schattens des Atombombenpilzes.

Die vom Regisseur szenisch aufgewertete Andalusierin und Kaffeehaus-Inhaberin Madame Roux (Beate Vollack, die auch selbst für die Choreographie verantwortlich zeichnet), ein Sinnbild käuflicher Liebe, tötet nicht nur Marie, nachdem diese kollektiv von Soldaten vergewaltigt wurde, sondern sie agitiert auch und schlägt dabei den Putz von den Proszeniumswänden.

Nach einem letzten, generalpausenmäßig lang gestreckten Einschnitt gehört das Schlussbild dann aber doch jener Frau, die den Mittelpunkt der Opernhandlung bildet: Marie, blutüberströmt, als Gekreuzigte in einer Batterie von blendendem Gegenlicht.

Beim ungeteilten, frenetischen Schlussbeifall am Premierenabend, erhielt auch Norbert Biermann, der als Suggeritore in der Mitte der ersten Reihe des Auditoriums platziert, die Sänger dirigiert und mit seiner Zeichengebung sogar szenische Abläufe koordiniert hatte, stürmisch-dankbaren Applaus aller Beteiligten.

Bernd Alois Zimmermanns apokalyptisches Trauerspiel, eine Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich, ist für Berlin ein wichtiges, besonders gelungenes Opernereignis am Ende der Saison.

  • Weitere Aufführungen: 20., 25. Juni. 1., 9. Juli 2014.

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