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Deutsch-amerikanischer Kulturtransfer an der Orgel: Rudolf Innig mit „Variations on America“

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Dass die im 19. Jahrhundert geborene amerikanische Kunstmusik europäische Wurzeln hat, verwundert kaum. Aber wem ist bewusst, dass es vor allem die Orgel war, die diesen wichtigen „Kulturtransfer“ geleistet hat? Rudolf Innig ruft diese Tatsache in Erinnerung mit seiner CD, auf der er einige der wichtigsten Repräsentanten der amerikanischen Orgelmusik versammelt.

Dudley Buck und Horatio Parker waren nur zwei von rund 5.000 jungen Menschen, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts an regelrecht nach Deutschland geschickt wurden, um hier zu studieren, um die europäische Tradition „aufzusaugen“ und anschließend in ihre Heimat zurückzukehren. Buck und Parker waren Komponisten geworden – und vor allem auch Organisten, die prägenden Einfluss ausübten.

Rudolf Innig, der seit Jahrzehnten zu den renommiertesten deutschen Organisten gehört und beachtliche Gesamteinspielungen von Messiaen, Mendelssohn Bartholdy, Brahms, Schumann und Nowowiejski vorgelegt hat, präsentiert als Auftakt seiner CD „Variations on America“ Dudley Bucks Transkription von Gioacchino Rossinis „Wilhelm Tell“-Ouvertüre. Später erklingt der „Feuerzauber“ aus Richard Wagners „Walküre“ – zwei Beispiele, dass es im Amerika des 19. Jahrhunderts oft die Orgel war, mit der berühmte und repräsentative Orchesterwerke einem breiten Publikum nahegebracht wurden. Ihre Faszination behält diese Musik bis heute, erst recht, wenn die Orgel so packend und lebendig gespielt wird wie hier.

Genuine Orgelkompositionen wie Dudley Bucks „The Star Spangled Banner“ (ein Variationsreigen über die heutige amerikanische Nationalhymne) und Horatio Parkers „Revery“ lassen stilistisch die Verbundenheit der Komponisten mit Mendelssohn und Rheinberger erkennen.

Ganz anders die „Variations on America“, die Charles Ives mit gerade einmal 17 Jahren schrieb: ein wahrer Husarenritt über die Orgeltasten. Wobei Ives sich an die Tradition hält – um sie immer wieder und völlig „verrückt“ zu konterkarieren. Ein kühnes Zehn-Minuten-Stück, dessen Tücken Rudolf Innig mit Bravour meistert. Ein Highlight steuert Innig dann als Arrangeur höchstpersönlich bei: Gershwins aufregende „Rhapsodie in Blue“. Abermals ein Brückenschlag zwischen Alter und Neuer Welt – und unglaublich gut gemacht, subtil „orchestriert“ und farbenreich gestaltet.

Spektakulär ist nicht zuletzt auch die Auswahl der Orgel: Innig spielt das für die Boston Music Hall erbaute Mammutwerk des Deutschen Eberhard Friedrich Walcker, dessen Opus 200 aus dem Jahr 1863: beste deutsch-romantische Orgelästhetik, exportiert an die Ostküste und mit 86 Registern damals die größte Orgel auf dem amerikanischen Kontinent. Das Instrument hat dann eine wechselvolle Geschichte durchlebt, wurde klanglich mehrfach „umgestrickt“ und steht heute eine halbe Autostunde von Boston entfernt in der „Methuen Music Memorial Hall“, einem klassizistischen Bau, der um die Orgel herum errichtet wurde. Von der originalen Walcker-Substanz ist etwa die Hälfte noch vorhanden, die späteren neobarocken und auch die typischen amerikanischen Zutaten spielen in dieser aufregenden CD-Produktion keine große Rolle.

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