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Alexander Scheer. Foto: © Arno Declair
Alexander Scheer. Foto: © Arno Declair
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Die Welt von außen – David Bowies Musical „Lazarus“ in Hamburg

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Links die Band. Rechts eine gut bestückte Bar. In der Mitte eine quietschbunte Videoclip-Landschaft. Mit Fels und Kirschblüten. Dahinter und dazwischen jede Menge Fenster in die Vergangenheit und Gegenwart, also Projektionswände für das unvermeidliche Fluten der Bilder. Von der Rampe aus hat Katrin Hoffmann mit einem selbstleuchtenden Blitz die Bühne in den Zuschauerraum verlängert.

Ein Laufsteg mit einem Plexiglassessel. Dort lümmelt unser Held Newton. Beobachtet sich quasi selbst und die Welt von außen. Lässt TV-Bilderfluten über sich ergehen, in der die vergangenen Jahrzehnte vorbeiflimmern. Kennedy und Reagan, Amokläufe, Katastrophen und die Politik von heute. Alles im Breaking-News Format. 

Dieser Mister Newton, der nicht ganz von dieser Welt ist, sieht fast von selbst aus wie David Bowie. Oder wie diverse Varianten der Kunstfiguren, die er sich geschaffen hat und in deren Gestalt der große Wandelbare und sich immer neu Erfindende geschlüpft ist und sich im kollektiven Gedächtnis eingerichtet hat. Schauspieler Alexander Scheer ist dieser Mann. Die Kostüme von Andy Besuch zitieren natürlich drauf los, bedienen die Abteilung Trash und Glamour.

Das Musical „Lazarus" von David Bowie und Enda Walsh ist jetzt im Hamburger Schauspielhaus eingeschlagen – so ambitioniert signalisieren es jedenfalls diese Zeichen. Was in der Musical-Stadt Hamburg ja nicht ganz ohne ist. Da weiß man, welchen Drive das Genre entfalten muss, um die gelegentliche Dürftigkeit der Story auszugleichen. Mit einem eigenen Sound für die Dialoge, vor allem aber mit dem Schwung der Musik und der Perfektion der Darsteller. Was die Musik betrifft gibt es kein Problem. Zumindest nicht für die David Bowie Gemeinde. Die erkennt und genießt, was sie hört. Die Musiker an den Gitarren und der Posaune, an Bass und Keyboards, an Schlagzeug und Saxophon machen ihre Sache unter Leitung von Alain Croubalian wirklich gut.

Der damals schon schwerkranke Bowie hat sein einziges Musical zusammen mit dem Iren Enda Walsh geschrieben. Seinen Part als ein Meister der inszenierten eigenen Songs hat er geliefert. Walshs verbindende Dialoge bleiben eher banal. Sie schaffen es nicht über wichtig daherkommende Mini-Sketche zwischen den Musiknummern hinaus.

Die Pop-Ikone hat die New Yorker Uraufführung seines Musicals im Dezember 2015 noch gesehen. Er starb im Januar 2016. „Lazarus“ wurde so von selbst zu einem Adieu an die Welt. Wie bei Mozart das Requiem. Den Gesetzen des Genres folgend, landete es via London (in einem eigenen Theaterprovisorium) schließlich auch in Deutschland. Es fiel hier aber nicht der Musicalindustrie in die Hände, sondern dem Theater. Der gerade als Burgtheaterdirektor geschasste Regisseur Matthias Hartmann hat im Februar 2018 die Deutschen Erstaufführung in Düsseldorf inszeniert. Am Schauspiel in Leipzig wird es am 15. Juni, am Ende der Spielzeit, über die Bühne gehen. 

In Hamburg ist es Falk Richter, der hier zuletzt die Uraufführung von Elfriede Jelineks Trump-Stück „Am Königsweg“ erfolgreich herausgebracht hat. Er rückt seinen Bowie-Lazarus so weit ins Künstliche einer assoziationsoffenen Kulissenopulenz, dass sie zwar an die allemal perfekte Bowie-Show erinnert, aber sich nicht an der Imitation verhebt. Er versucht sich an der Mischung aus dem von Bowie gewollten „Fiebertraum" und einer aus Videoclips destillierten Kunstinstallation. Ohne Berührungsängste zu poppigem Trash oder gar Kitsch.

Der Plot, wenn man es denn so nennen will, knüpft an Bowies Kinodebüt in Nicolas Roegs Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“ von 1976 an. Da kommt der Außerirdische Thomas Jerome Newton auf die Erde, sucht eigentlich nach Wasser für seinen Planeten, verliert sich aber im Ginkonsum, der der Bilderflut des Fernsehens und flüchtigen Beziehungen. Dieser Newton ist das Zentrum in „Lazarus“.

Für den Hauptdarsteller eine Herausforderung, weil er seine eigene Melange aus Nähe und Distanz zu Bowie finden muss. Alexander Scheer ist ein Bowie Wiedergänger, der den gewollt androgynen und gelangweilten Nicht-von-dieser-Welt-Habitus perfekt hinbekommt und auch seine Stimme vorzeigen kann. Nach seinem gerade hochgelobten Titelhelden im biographischen Film über die Ost-Ikone Gerhard (Gundi) Gundermann wieder ein Sänger. Aus einer anderen Welt in einem anderen Genre. Scheer ist erstaunlich wandelbar, also die richtige Wahl! Überraschend auch Schauspielerin Julia Wieninger als frustrierte, eigentlich graue Maus, die schnell zum bunten Vogel wird. Auch Tilman Strauß als mörderisch mephistohafter Hinkefuß Valentine in Lack und Leder macht vokal ebensolchen Eindruck.

Bei Falk Richter ist eine Nummernrevue rausgekommen. Den Versuch dem Ganzen eine stringente Handlung zu verpassen, hat er gar nicht erst gemacht. Wenn Newton am Ende die Erde wieder verlässt, geht im Hintergrund ein Stern auf. Das dachten wir uns doch.

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