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Beherzt, unkonstruiert. Mit „Backspacer“ ist Pearl Jam wieder voll da. Foto: Promo
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Ein Brückenschlag: Pearl Jams „Backspacer“ Song für Song durchleuchtet

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Zeit und Platz. Zwei Probleme der fortschrittlichen Medienwelt. Schnell und instruktiv soll es gehen. Eher flüchtig denn ausschweifend. Vor allem Rezensionen jeglicher Art leiden unter dieser Prämisse. CDs, DVDs, Schallplatten, Hörbücher, Konzerte gilt es en passant darzustellen. Oft unter Bauchschmerzen für die Rezensentin oder den Rezensenten.

Weil sie / er doch etwas Besonderes zeigen möchte, etwas Einzigartiges gehört und gesehen hat. Doch dem Diktat der Zeit und des Platzes ist schwer zu entkommen. Die nmz möchte mit der online – Rubrik „Song für Song“ die Zeit / Platz – Problematik entsorgen. Platz gibt es im Datenmeer des Internets genug. Zeit muss man sich eben für den Platz wieder nehmen. Sofern man an ausführlichen Rezensionen interessiert ist. Und darüber mit anderen diskutieren möchte. „Song für Song“ kann hierfür eine Basis für den Meinungsaustausch mit dem Rezensenten bieten. Er bittet darum.


Pearl Jam – Backspacer: Informationen

Produziert von: Brendan O’Brien
Aufgenommen von: Brendan O’Brien
Veröffentlichungsdatum: 18.09.2009
Label: Monkey Wrench
Internet: www.pearljam.com
Band: Eddie Vedder (Gesang), Matt Cameron (Schlagzeug), Mike McCready (Gitarre), Stone Gossard (Gitarre), Jeff Ament (Bass)

Zur Entstehungsgeschichte:
Drei Jahre nach ihrem selbstbetiteltem Album „Pearl Jam“ veröffentlichten Pearl Jam ihr neuntes Studioalbum. „Backspacer“ entsteht unter drei nicht unwichtigen Voraussetzungen.

Erstens: Nach Jahren der Bush-Regierung, gegen die die Band immer wieder opponierte, produzieren sie „Backspacer“ unter den frühen Impressionen der Obama-Regierung.

Zweitens: Statt wie üblich erst Studio bzw. Studiozeit zu mieten und dann zu komponieren, schreibt die Band diesmal zunächst die kompletten Songs vorab. Mit den fertigen Songs werden Studios in Atlanta und Hollywood gemietet und analoger Prozess gemacht.

Drittens: Sänger Eddie Vedder kehrt nach einem Soloalbum samt Grammy- und Oscarnominierung für Sean Penns Film „Into the Wild“ zur Band zurück. Auffällig an „Backspacer“: Die Band arbeitet mit orchestralen Momenten: Streicher, Hörner, Violinen und Celli. Äußerliche Merkmale: Das Album wird ausschließlich über eigene Verkaufskanäle der Band vertrieben. Große Aufmerksamkeit bekommt der online- und digitale Vertrieb. Auf der physischen CD hält die Band Downloadcodes bereit, mit deren Hilfe man zwei Livemitschnitte kostenlos auf seinen PC laden darf. Bei Bestellung der Vinylversion gibt es in Deutschland noch einen MP3 Song per Link geschenkt. Verwunderlich an „Backspacer“: Mit gerade mal 36 Minuten und elf Songs Laufzeit ist das Album durchaus als kurz zu bezeichnen.

Albumsongs:
1. Gonna See My Friend
2. Got Some
3. The Fixer
4. Johnny Guitar
5. Just Breathe
6. Amongst The Waves
7. Unthought Known
8. Supersonic
9. Speed Of Sound
10. Force Of Nature
11. The End

Die Songs

01. Gonna See My Friend 2:48
Ein Eröffnungssong, der diesen Titel verdient. Mit grimmiger Verzerrung und fachgemäßer Geschwindigkeit erinnert „Gonna See My Friend“ eher an schamlosen Sleezerock der 90er. Die Gitarren hätte man so auch bei den guten Guns’n’ Roses finden können. Getragen wird der Song von Stone Gossards Gitarrenriff, das er unbeirrt durchzieht. Vedders Stimme kippt während der Strophe gediegen Richtung Wahnsinn, fällt jedoch im Refrain auf den Boden der wütenden, sarkastischen Tatsachen zurück. Im Mittelteil widmet man sich ein paar melodiösen Sekunden, verzichtet auf ein erwartetes Gitarrensolo und lässt sich von Eddie Vedder in den tatsächlichen Song zurück schreien. Textlich versteht sich „Gonna See My Friend“ mehr als irrelevante Angelegenheit. Es geht ums Leben. Und das, was uns danach erwarten könnte. Also gilt es das JETZT noch mal zu nutzen …:

Do you wanna hear something sick? We are but victims of desire
I'm gonna shake this thing I wanna shake this pain before I retire
I’m gonna see my friend,.. I'm gonna see my friend
Buona Sera, won’t be long before we All walk off the wire
I’m gonna see my friend,.. I'm gonna see my friend
for what I require

Ein Song, der nicht beim ersten Mal ins Gehirn will, aber die Nackenmuskeln aktiviert. Erst langsam reift der Gedanke, dass„Gonna See My Friend“ eine großartige Livenummer werden könnte. Klassikergefahr! Bassist Jeff Ament bezeichnet den Song übrigens als „erste richtige ‘Grunge’-Nummer“ der Band. Soviel zum Thema „Pearl Jam = Grunge Band“.

02. Got Some 3:03
Ein typischer Pearl Jam Song, der bereits vor Veröffentlichung des Albums uraufgeführt wurde. Zunächst live und dann in der „Tonight-Show“ von Conan O’Brian, der für den groß angekündigten Liveauftritt der Band Rekordeinschaltquoten kassierte. Eine markante Gitarrenfigur leitet ein, die Strophe wird flach und leise gehalten, der intensive wie mächtige Pre-Chorus verlangt einen geradezu brüllenden Refrain. Aber: Fehlanzeige. „Got some if you need it“ wird ein stiller, süffisanter Refrain. Erst gegen Ende der drei Minuten wird das Tempo angezogen, die Gitarren werden derber und Mike McCready legt ein für seine Verhältnisse fast anspruchsloses dafür wirksames Mini-Solo über den Abspann. Dynamik war stets eine Stärke der Band, „Got some“ untermauert dies, wenngleich die musikalische Leistung klar den umständlichen Text überlappt:

Every night with the lights out, where you gone?What’s wrong?
Everytime you can try but can’t turn on Your rock song
Got some if you need it

Aber nach Jahren der verklausulierten Texte und konstruierten philosophischen Kritiken darf man Eddie Vedder ein Stück Normalität gönnen. „Got some“ erzeugt ein gutes Gefühl und nährt den Gedanken bereits zu diesem Zeitpunkt von einem der besten Pearl Jam Alben nach „Ten“ zu träumen.

03. The Fixer 2:58
Offenkundig einer der besten Songs des Albums. Warum? Weil Pearl Jam einen gewagten Versuch unternehmen. Einerseits ist „The Fixer“ das eventuell kommerziellste Stück der Bandgeschichte und absolut charttauglich. Andererseits bleiben die typischen Wurzeln erhalten. Und nebenbei ist „The Fixer“ gleich noch programmatisch für „Backspacer“. Denn die zentrale Textstelle „I wanna fight to get it back again“ entfaltet den Fokus des Albums. Pearl Jam kämpften ohne Zweifel. Nämlich darum, nach künstlerisch hochwertigen Alben wieder in die Rock/Punk-Ecke des Meilensteins „Ten“ zu kommen. Bereits beim dritten Song ist klar, dass das gelungen ist. Noch dazu, weil der Brückenschlag hin zu neuen Akzenten vorzüglich mit der Bandbasis harmoniert - zärtliche Pianotasten versüßen den zum Mitgrölen gedachten Refrain.

Wohl fühlt man sich mit „The Fixer“ außerdem, weil während der ersten Sekunden eine Zeitreise ins Seattle der 90er Jahre führt. „The Fixer“ könnte desgleichen Soundtrack zum Grungefilm „Singles“ gewesen sein. Paul Westerberg, ein Urgestein der Szene, inszenierte seine Songs in grauer Vorzeit ebenso: Ein wenig „na na na“, reduziertes Gitarrenriff und Mitsingrefrain. Konzertbesucher konnten sich im September von der Stadionqualität des Songs überzeugen. Und mitsingen, denn die Band stellte den Song Monate vor der offiziellen Veröffentlichung auf der Webseite in voller Länge vor. Passend zu diesem Harmoniebolzen an Song genauso die literarischen Zuweisungen Eddie Vedders. Er versucht sich als „Kleber“, als „Richter“ all der Dinge, die im Lauf der Zeit eben mal an Glanz oder Konsistenz verlieren. Aber genau um das lohnt es sich zu „fighten“:

When somethings dark - Lemme shed a little light on it
When somethings cold - Lemme put a little fire on it
If somethings old - I wanna put a little shine on it
When somethings broke - I wanna put a little fixing on it
When somethings gone - I wanna fight to get it back again

Puristisch einfach gedacht. Song wie Text. Und deshalb funktioniert diese Liebeserklärung an die Einfachheit der Dinge. Meisterhaft wie immer in diesem Song: Der grandiose B-Teil, der nicht geklebt, sondern fixiert wird und auf instrumentales Gitarrenwand-Geplänkel am Ende des Songs vorbereitet.

04. Johnny Guitar 2:51
Klarer Beeinflussung hier: Punk und Neil Young. Dazu packen McCready und Gossard die Alarmgitarren aus, Ament und Cameron zementieren das Punkfundament mit distinguiertem Rhythmus, der aber eine vertrackte Linie fährt. Vedder lässt sich profan zum Text anstiften. „Johnny Guitar“ fand seine Erleuchtung im Klo des Bandhauptquartiers in Seattle. Johnny Guitar Watson zeigte sich einst verantwortlich für ein Cover – Artwork. Eines seiner schlüpfrigen Poster diente Vedder als Grundlage des Textes, der sinniert, warum sich Dutzende Frauen zu Johnny Guitar Watson hingezogen fühlten, obwohl sie wussten, nicht die einzigen Geliebten zu sein. Ein Schwerenöter als Song, dem textlich doppelschneidige Passagen nicht abzusprechen sind:

Johnny Guitar Watson staring at me
Riding on 3 wheels, a woman on his knee
With a leg under a red dress I wish I could see
Further North a warmth alive & lingering
Now Johnny he be having lots of women
The reason he be smiling known to him

Ironie also. Aber nicht nur textlich. Auch musikalisch packen Pearl Jam die Satire-Keule aus. Etwa wenn nach dem ersten Refrain ein scheinbar entrückter „Wah-Wah 70er Jahre Ausfall“ stattfindet. Als Hommage an „Die Straßen von San Francisco“. Der es aber wieder in die Strophe schafft, die Vedder atemberaubend schnell, dennoch präzise artikuliert. „Johnny Guitar“ ist packend, witzig und verhehlt keine Sekunde, woher die Band musikalisch kommt. Ein kleiner „Konzeptsong“, der sich im Gegensatz zu Songs früherer Album gar nicht erst auf den Weg macht, in der Verzettelung zu enden. Klare Kante durchgezogen.

05. Just Breathe 3:36
Wer sich an Eddie Vedders Soloalbum „Into the Wild“ erfreute, wird „Just Breathe“ schnell als Überbleibsel dieser Phase identifizieren. Vedder beginnt mit Akustikgitarre und Gesang. Und öffnet sein Herz für eine besondere wie simple Art der Liebeserklärung an seine Lieben und das Leben:

Yes I understand that every life must end
As we sit alone, I know someday we must go
I’m a lucky man to count on both hands The ones I love
Some folks just have one,Others they got none
Stay with me .,..Let’s just breathe.
Did I say that I need you? Did I say that I want you?
Oh, if I didn’t now I’m a fool you see No one knows this more than me. As I come clean.

Was Vedder wirklich meint, wird erst auf den zweiten Blick handfest. Viel zu schnell zieht ihm das Leben davon. Viel zu schnell, um sich für die wichtigen Momente, für Liebe und Freunde, Zeit zu nehmen. Daher die Aufforderung „Just Breathe“ verbunden mit der Hoffnung ab und an eine kleine Bestandsaufnahme einzustreuen.

Prinzipiell bleibt dem ambitionierten Hobbymusiker bei dieser Vedder-Komposition freilich die Spucke weg. Denn was er mit seiner Stimme über die Akkordgrundlage CGAF legt, sucht seinesgleichen. Hintergründige Premiere bei „Just Breathe“: Pearl Jam benutzen Streicher und Celli. Fällt im Übrigen zunächst nicht auf. Nach und nach setzen sich die orchestralen Einwürfe durch; wirken jedoch nicht übergestülpt, sondern scheinen natürlich ihren Platz zu finden. Apart, stilvoll und ursprünglich. Im Wesentlich eine Pearl Jam Ballade, die live ohne Orchester funktionieren wird und in deren Verlauf Jeff Ament nach eigenen Aussagen „eine Bass-Spur im Stil von Carol Kaye“ spielt, die behutsam einsetzt, dem Song aber unendlichen Platz verschafft.

06. Amongst The Waves
Nach „The Fixer“ und „Just Breathe“ ein weiterer Höhepunkt des Albums: „Amongst The Waves“. Erstmals läuft Mike McCready im Solo zu Höchstform auf. Gefühlvoller, akzentuierter und treffender kann man auf diesen Song nicht solieren. Gelungen: die Parallelität von Song, Text und Bandgeschichte. Textlich erhärtet sich der Verdacht, Vedder gehe es zuvorderst ums Freischwimmen, ums Erkennen, dass die guten Sachen oft erst später entdeckt werden können:

What used to be a house of cards
Has turned into a reservoir
Saved the tears that were waterfalling
Let’s go swim tonight, darling

Um im Refrain festzustellen, dass man ganz gut inmitten der Welle bestehen kann:

Riding high amongst the waves I can feel like I
Have a soul that has been saved I can feel like I put away my early grave

Die Schlussfolgerung verdeutlicht dann die beschämend schlichte Dringlichkeit seines Anliegens:

Gotta say it now
Better loud
Than too late

Mag sein, dass dieses Freischwimmen sich auf das aktuelle Album übertragen lässt. Weg von der künstlerischen Knorrigkeit solcher Alben wie „Yield“ oder „Riot Act“. Hin zur Einfachheit. Die sich in der ruhig instrumentierten Strophe spiegelt und im kontrolliert strahlenden Refrain ihre Bestätigung findet. Ein Song, den man auf eine Stufe solcher Klassiker wie „Even Flow“ oder „Given to fly“ hieven muss.

07. Unthought Known
Mit „Unthought Known“ wartet der längste Song des Albums auf, der es immerhin über vier Minuten schafft. Einzuordnen wäre „Unthought Known“ als moderne Kreuzung der Songs „Wishlist und Given to fly“ vom „Yield“-Album. Interessant gestaltet sich die Zweiteilung des Songs. Dynamisch steigern sich Band und Vedder von leise zu laut, bringen einen fast kommerziellen Refrain am Ende dieser Sequenz und begeben sich anschließend in einen B-Teil, der hauptsächlich vom nach vorne gemischten Klavier bestimmt wird, das in seiner Intonation bereits Anfang der 90er Jahre im neun Minuten Opus „November Rain“ von Guns’n’ Roses verwendet wurde. Stört aber nicht und hinterlässt einen nahbaren Eindruck. Ein kurzer Schwenk und damit Rahmen zur ursprünglichen Strophe beenden einen Song, der uns mit jenen Gedanken zurücklässt, die wir selbst oft genug wälzen:

All the thoughts,... You never see,... You’re always thinking,...
Brain is wired,... Brain is deep,... Oh are you sinking?,...
Feel the path of every day,... Which road you taking?,...
Breathing hard,... & Making hay,... Yeh this is living,...
Nothing left,... Nothing left,...
Nothing there,... Nothing left,...

Ein Gänsehautsong, der den Brückenschlag zwischen vertrauten Keime und tendenziöser Neugestaltung der Band leichtgängig schafft. Gekonnt frisierte Nostalgie.

08. Supersonic 2:40
In seiner graziösen Unkompliziertheit lässt sich „Supersonic“ kaum in die Songhistorie der Band einsortieren. Aber „Überschall“ trifft das richtige Motto. Ohne Schnörkel leiten Gitarre und Schlagzeug eine knapp dreiminütige Achterbahnfahrt ein, die sich irgendwo zwischen Buddy Holly, dem Pearl Jam Song „Listerine“ (Album „No Code“) und gepflegtem Kneipenrock ansiedelt. Textlich drückt Vedder nicht rum. Es geht darum, unseren Träume und Wirklichkeiten hinterher zu laufen. Oder zu entkommen

Yeah I been dreaming of getting along Now I’m awake, dreaming keep it on keeping on
I catch a break, then a punch to the head I smile big with a toothless grin.
Supersonic gone & took my soul I caught the rhythm but the clock was slow yeh
Supersonic, truth be told I don’t need you to live, but I’ll never let you go

Eine Nummer, die rumpelt, rockt und rotzt. Verwegene dürfen gerne das antike Grunge-Tanzbein schwingen.

09. Speed Of Sound 3:34
„Speed of Sound“ beginnt ungelenk in einer unbequemen Tonart, aus der sich Vedder zunächst in eine angenehmere kämpfen muss. Dazu gibt es als Einleitung mandolineske Klänge, die die Fischer von Capri sonst zum Abendessen servieren. Aber: Diese Kurve kratzen Pearl Jam passabel. Was folgt, stellt sich als netter Midtemposong vor, der eindeutig um Vedders Stimme kreist und der im Refrain herzzerreißend barmt: „Can I forgive what I Cannot forget And live a lie I could give it one more try“.

Entstanden ist der Song auf den letzten Drücker und während Eddie Vedder mit Ron Wood von den Stones auf Jamaika arbeitete. Wir verstehen. Arbeiten auf Jamaika. Dennoch gruppiert sich die Band schmeichelnd um Vedders Stimme und verpasst dem Song damit auch eine textliche Parallele. Irgendwie zieht doch alles am „Speed of Sound“ vorbei:
Yesterdays, how quick they change All lost and long gone now
It's hard to remember any thing Moving at the speed of sound
And yet I’m still holding tight To this dream of distant light
Gefühlvoll arrangiert und mit einer knapp schlagerartigen Gitarren Hookline gegen Ende des Songs. Mutig.

10. Force Of Nature 4:05
Wieder so ein Song, den Pearl Jam gut und gerne auf das zusammen mit Neil Young produzierte Album „Mirrorball“ (1995) hätten packen können. Ein düsteres Gitarrenriff
fungiert als roter Faden, der Refrain sorgt dagegen für Hoffnung. Die melancholische Grundtendenz schadet dem ansonsten ordentlich stampfenden Song kaum. Ebenso nachdenklich finden sich Textstellen, in denen uns Vedder darauf hinweist, dass eben jeder – Mann und Frau - sein Päckchen zu tragen hat, die Kontrolle verlieren aber irgendwo am Horizont wieder einen Hoffnungsschimmer finden kann:

Understand she’s a force of nature
Contraband hiding deep inside her soul
Exorcising her will to lose control
She lets go
A common man, he don’t stand a chance, no
Wonderland pulling Alice in the hole
No way to save someone who won't take the rope
And just let’s go
One man stands the edge of the ocean
A beacon on dry land
Eyes upon the horizon
In the dark before the dawn

Ein Song, mit dem man sich wohl fühlt und der kurz vor Schluss Mike McCready noch einmal zu einem grundanständigen Solo hinreißt.

11. The End 2:57
Der Titel als Inhaltsangabe. „The End“ klingt nach Doors, ist aber einzig Eddie Vedders Beschäftigung mit dem Ende. Was war, was kommt?

What were all those dreams we shared Those many years ago?
What were all those plans we made Now left beside the road? Behind us in the road

Es folgt die nüchterne Feststellung, dass er mit diesen Gedanken eigentlich gerne allein wäre und das einfach nur mit sich ausmachen würde:

More than friends I always pledged Cause friends they come and go
People change as does everything I wanted to grow old Just want to grow old
Slide on next to me I’m just a human being
I will take the blame Bust just the same
This is not me You see Believe I’m better than this
Oder würde er sich doch gerne anders behandelt fühlen, dann im Tod:
Don’t leave me so cold Or buried beneath the stones
I just want to hold on And know I’m worth your love
Enough I don’t think There’s such a thing

Ein nebulöser aber dennoch schöner Text, den Vedder in fast lyrischer Form verfasst hat. Klar, dass die musikalische Begleitung da nur Richtung Orchester und Akustikgitarre zielen kann. Streicher schwelgen tragend über Vedders Akustikgitarre und zwingen ihn in ungewohnt hohe Stimmlagen, die gerade mal so eben noch durchgehen. Ein Viertel Tönchen höher und Glas würde zerspringen. Ein sehr fatalistische Schlussnummer, die ein völlig überraschendes Ende während des zweiten Refrains (wenn es denn einer soll) findet. Hoffnung ist anders. Eine eigenwillige Ballade, leicht an Vedder’s Soloalbum angelehnt, die man sich eher als Filmsoundtrack vorstellen kann denn als gesetzte Nummer im Liverepertoire der Band. Aber live sind sie ja immer für eine Überraschung gut.

Fazit
Lässt man zunächst schnöde Zahlen sprechen, dürfte „Backspacer“ das erfolgreichste Album aller Zeiten für Pearl Jam werden. Sicher werden sie die 13 Millionen verkauften „Ten“ – Exemplare nicht knacken, aber die 90er waren andere Zeiten. Heute ein paar Hunderttausend Kopien zu verkaufen gilt als knapp unmöglich. Doch „Backspacer“ hütet seit über zwei Wochen die Position 1 der amerikanischen Billboard Charts. Und ließ Altstars wie Whitney Houston und Jay-Z, Jungstars wie Miley Cyrus oder Jazzgötter wie Harry Connick, Jr. weit hinter sich. Und das bei Vertriebswegen, die auf die herkömmlichen Kaufhäuser verzichten und dem knallharten Bandcredo entsprechen, keinen Cent für Werbung, Promo oder Videos auszugeben. Das verdient Respekt und zeigt, dass Pearl Jam, aber auch „Backspacer“ ankommt.

Betrachtet man abschließend die elf Songs noch einmal im Gesamten, so rangiert „Backspacer“ in der Discographie der Band als klare Nummer 2 nach „Ten“. Ganz einfach deshalb, weil ein Brückenschlag vollzogen wurde. Man bleibt sich treu, versucht sich aber auch an Neuem wie Streicher oder Celli. Und gibt dabei verschrumpelte wie künstlerische Attitüden auf. Die ohne Zweifel einen gewissen „Coolheitsfaktor“ besaßen, aber mitunter anstrengend wirkten.

Pearl Jam bedient mit „Backspacer“ also eindeutig den Mainstream. Das ist berechtigt. Ob das den treuen Fans gefällt, bleibt eine offene Frage. Aber mal ehrlich. Wenn Rockmusik so beherzt, vermeintlich einfach und unkonstruiert klingt, dann soll bitteschön jeder in den Genuss kommen, das zu hören. Zumal die Band nichts von ihrer strengen Bandphilosophie verraten hat. Damit soll bloß keiner rumjammern.

Gönnen wir das Schlusswort Eddie Vedder, der die Unkompliziertheit des Albums auf den Punkt beschreibt: „So schwer ist es eigentlich gar nicht, eine gute Platte aufzunehmen. Du brauchst dazu nur eine gute Band und ein Wörterbuch – danach erledigt sich die Arbeit praktisch wie von selbst“.

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