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Otto Katzameier als Lautréamont in Philipp Maintz' „Maldoror“, Foto: Regine Koerner / Münchener Biennale
Otto Katzameier als Lautréamont in Philipp Maintz' „Maldoror“, Foto: Regine Koerner / Münchener Biennale
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Ein Käfig voller Wörter: „Maldoror“ von Philipp Maintz bei der Münchener Biennale

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In zwei Eimern trägt „die Sopranstimme“ den Ozean herein. Sie übergießt sich mit Wasser und hebt zu singen an. Das Meer in das sie und wir eintauchen, ist ein Meer aus Wörtern, aus jenen monströsen Wörtern, die Isidor Ducasse, der sich Comte de Lautréamont nannte, zu seinen „Chants de Maldoror“ einst auftürmte.

Die Grenzüberschreitung, die Lautréamonts zunächst unbeachtete Visionen des Bösen Ende des 19. Jahrhunderts bedeuteten, haben später die Surrealisten für sich entdeckt, und auch die „écriture automatique“, mit der er einige Passagen seines Opus verfasste, faszinierte spätere Dichtergenerationen. Philipp Maintz und sein Librettist Thomas Fiedler haben daraus sieben Szenen extrahiert, Szenen, die Vieles von dem, was Maldoror, ein tiefschwarzer Fürst der Finsternis, an Grausamkeiten imaginiert und begeht, nur andeuten.

Zwar stirbt im zentralen vierten Bild ein Kind von Maldorors Hand, doch sind dazu kaum Handgreiflichkeiten nötig, kurze Berührungen und vor allem Worte sind die Todbringer. Weil also auch Philipp Maintz offensichtlich stärker an der dunkel irisierenden Sprachmacht Lautréamonts als an der Frage nach der Herkunft des Bösen in der Welt interessiert ist, ist es nur konsequent, dass es auch die Regisseure Georges Delnon und Joachim Rathke bei Andeutungen belassen und die Sprache buchstäblich die Szene beherrschen lassen:

In riesigen Projektionen läuft nahezu permanent der französische Text über einen schmalen, einen kleinen Teil der Bühne nur kurzzeitig verdeckenden Zwischenvorhang, um sich dann in den Stangen einer riesigen Käfigtrommel reflektierend zu vervielfältigen. In diesem mal mehr, mal weniger geöffneten Käfig finden die zentralen Begegnungen Lautréamonts und Maldorors statt, die, gleich gekleidet, als Facetten einer einzigen Persönlichkeit kenntlich sind. Gesungen von zwei Baritonstimmen (mit perfider Noblesse: Martin Berner und Otto Katzameier) kulminiert im dritten Bild die Auseinandersetzung des Dichters mit der dämonischen Figur, die er (in sich) freigesetzt hat.

Dies ist einer der wenigen Momente, in denen Philipp Maintz seine instrumentatorische und dynamische Zurückhaltung aufgibt; in einem großen Ausbruch kündigt sich die Katastrophe an, die in der folgenden Szene über die Familie hereinbrechen wird. Maintz’ Musik ist über weite Strecken eine Studie in der Selbstbeschränkung. Nie erliegt er der Versuchung, mit dickem Pinsel das gesungene Wort zu übertünchen. Die Klänge des groß besetzten, aber selten im Tutti eingesetzten Orchesters (fabelhaft: das Sinfonieorchester Aaachen unter Marcus Bosch), sind präzise ausbalanciert, das Schlagwerk ist vornehmlich als Farbe eingesetzt, einzig der zunächst dumpfe Pulsschlag, der sich von der dritten zu vierten Szene hin ins kindliche aufhellt, deutet zwischendurch ein durchlaufendes Metrum an. Kein süffiges Eintauchen in die Abgründe also auch hier, eher ein distanzierter Blick auf „ein Anderes“ als der im Festivalmotto evozierte „Blick des Anderen“.

Für diesen Blick sorgt auch die Sopranstimme, die vor allem für die Bilder eins und sieben zentral ist. Philipp Maintz hat diese beiden Szenen aus früheren Werken weiterentwickelt. Marisol Montalvo, für Maintz die Auslöserin dieser Rahmenidee, war der enormen Tessitura zwar mühelos gewachsen, das Volumen ihrer Stimme reichte freilich nicht ganz für eine visionäre, raumfüllende Gestaltung.

So blieb auch hier der Eindruck einer exquisit kontrollierten, aber vielleicht doch eine Spur zu gedämpften Auseinandersetzung mit den Abgründen menschlicher Fantasie. Große Zustimmung gleichwohl im Prinzregententheater.

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