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Alexia Voulgaridou (Lida), Yonghoon Lee (Arrigo), Chor.  Foto: Bernd Uhlig
Alexia Voulgaridou (Lida), Yonghoon Lee (Arrigo), Chor. Foto: Bernd Uhlig
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Ein Vaterlandsrühr- und –röhrstück – Verdis „La battaglia di Legnano“ an der Hamburger Staatsoper

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Dass im Zuge des Verdi-Jubiläums 2013 nicht nur die „Greatest Hits“ nochmals auf- und durchgezogen werden, sondern auch ein Blick auf die Opernwerke geworfen wird, die aus dem Kanon des Repertoires ausgeschieden sind, ist im Prinzip erfreulich. Simone Young, die Intendantin der Hamburger Staatsoper und zugleich deren Generalmusikdirektorin, ermöglichte eine Wiederaufführung von „La battaglia di Legnano“ (Text von Salvatore Cammarano nach François-Joseph Merys Drama La Bataille de Toulouse [1828]). Das von Eheproblemen im Kontext eines Kriegs zwischen dem römisch-deutschen Kaiser Friedrich I. („Barbarossa“) und den oberitalienischen Städten handelnde hurrapatriotische Werk reagierte hörbar auf die Zeitgeschichte. Es wurde 1849 am Teatro Argentino in Rom uraufgeführt, ist aber – wohl vor allem wegen des drastischen Politisierens von Text und Ton – längst gründlich vergessen.

Mehrfach wurde das Ansinnen der Dirigentin, die Hamburger Philharmoniker in die Ouverture einsteigen zu lassen, vereitelt. Erst einmal ging das in den Opernhäusern des deutschsprachigen Raums so beliebt gewordene Krakeelen los. Nach zunächst schwer verständlichem Unmut von den billigen Rängen wurde „Simone go home“ intoniert. Und als der oder die Hinterbänkler trotz des Schweigen heischenden Zischens nicht zu brüllen aufhörten, stand einer im Parkett auf, setzte sich als Hausmeister in Szene mit einem deftigen „Sei still, du Arsch“. Soviel zu Niveau und Witz des Parlamentierens im hanseatischen Operntempel. Womöglich lange angestaute Emotionen gingen also schon hoch, bevor Verdis revolutionsinspirierte Stimmungs- und Rührmusik ihre stimulierende Wirkung entfaltet konnte. Was sie dann aber recht gründlich tat.

Die Dirigentin und Theaterprinzipalin leitete die durch ihre politische Fermentierung in besonderer Weise problemgeladene Musik nicht so zackig wie manch andere Premiere in der Vergangenheit (z.B. Benjamin Brittens „Gloriana“). Sichtbar geschmeidig und mit Gespür für Balance kümmerte sie sich auch die Lyrismen der Tragedia lirica. Die bewegte sich zwar hörbar auf „Luisa Miller“, „Rigoletto“ und „La traviata“ zu, erreichte aber die exzessive Subjektivität und die Individualismen dieser Werke noch nicht. Dass Young, die sich detailliert auch mit den Urtextfragen befasst hatte, der Unmut gerade bei dieser Produktion traf, bei der sie sich erfolgreich um die Nuancierung einer streckenweise recht grob geschnitzten Musik bemühte, ist Ironie der Geschichte.

Das Battaglia-Projekt selbst wurde ironie- und witzfrei durchgezogen. Derweil hätte die im Stück angelegte Charakterisierung des großen Kaisers als Feindbild Anlass zu einer maliziösen Charakterstudie en Detail hergegeben und der schwere Bass Tigran Martirossian als Sängerdarsteller auch das Zeug dazu mitgebracht. Unter Ausblendung der hochmittelalterlichen Bildsphären geht es betulich-bürgerlich im Geist und der Kostümierung des mittleren 19. Jahrhunderts zu: Man sieht also nichts von einem Heer der oberitalienischen Städte, das die Lanzknechte des über die Alpen gekommenen Kaisers Rotbart Lobesam schlug – außer deren Lanzen. Der Krieg findet hinter den Kulissen des Theaters im Theater statt. Wenn er denn wirklich so harmlos wäre! Auch die „Befreiungskriege“, von denen sich Verdi eine lichtere Zukunft für sein Italien versprach, hatten grauenhafte Aspekte.

Der Bühnenbildner Charles Edwards ließ einen Mehrzwecksaal bauen, dessen Portal an ein Theater der Entstehungszeit des Werks erinnert, aber auch die Wohnung von Rolando und Lida darstellen kann, einen Ratssaal und einen Andachtsraum. Aus dem Gerümpel erhebt sich der Held Arrigo, der nach einer früheren Schlacht als vermisst gemeldet wurde und dessen Verlobte Lida nach kurzer Trauer mit Rolando eben einen anderen wackeren Recken geehelicht hatte. Das macht ihm so sehr zu schaffen, dass er sich freiwillig zu den „Todesrittern“ meldet, einem „Himmelfahrtskommando“. Zuvor aber agiert er als Einpeitscher bei den Bündnisverhandlungen der Stadtparlamente von Mailand und Como. Arrigo schmettert Sentenzen, die in der deutschen Übertitelung bereits etwas abgeschwächt klingen, aber immer noch ziemlich martialisch: „Wir haben denselben Feind – den Deutschen. Wir haben dasselbe Vaterland – Italien“. Da wusste in den Jahren 1848/49 selbst der schwerhörigste Italiener, dass nicht das Jahr 1163 und nicht die Staufer gemeint waren, sondern die Habsburger. Der Tenor Yonghoon Lee als Recke Arrigo und Giorgio Caodora als Ritter Roland verkörpern mit wuchtigen Stimmen das Freundespaar, das das Vaterland retten will, wegen der schönen und treuen, aber gelegentlich kräftig von der vorgegebenen Tonspur abweichenden Lida – Alexia Voulgaridou – in Rivalität gerät.

Verdi komponierte aus seiner Pariser Sicht auf die revolutionären Ereignisse in Mailand (auf jene „fünf Tage“, in denen die habsburgischen Truppen aus der Stadt vertrieben wurden), ein Pamphlet, das mit heutiger mitteleuropäischer Lebens- und Gefühlswelt beim besten wie beim bösesten Willen nichts zu schaffen hat: Außer vielleicht ein paar islamistischen Schläfern ist gerade auch in Hamburg derzeit niemand wirklich auf Selbstmordkommando und Heldentod konditioniert (und die, von denen die Terrorbekämpfer dies argwöhnen, gehören wohl nicht zum bevorzugten Kundenkreis der Staatsoper). Und das ist gut so. Das Problem jeder Inszenierung, die das Stück nicht der Lächerlichkeit preisgibt, ist die faktische Unübersetzbarkeit und die Tatsache, dass Musik die indirekte Rede so wenig kennt wie die ironisch Distanzierung. Die aber kann, und dies ist die vornehme Aufgabe der Regisseure, die Inszenierung leisten. Tut sie aber in Hamburg nicht. David Alden wählte, um seine Produktion nicht mit scheppernden Blechrüstungen und wiehernder Rosse Getrabe unfreiwillig ins Komische kippen zu lassen, die Transposition in ein Theater der Entstehungszeit des Werks, in die Kostümierung mit Fräcken und Zylindern. Diese „Deutung“ ist eine seit Patrice Chéreaus Bayreuther „Ring“ im Jahr 1976 inzwischen fast allerorten probat gewordene Methode – längst erweist sie sich als erwartungsgemäß risikoarm und will von den Zuschauern weiters kein Nachdenken fordern.

„Die Fahne ist der letzte Wunsch des Sterbenden“, heißt es, vom Orchester warmblütig unterstützt, im IV. Akt der „Battaglia“. Das glaubte Verdi doch selbst nicht, der informelle „Tribun“ einer noch nicht existierenden (und zu seinen Lebzeiten sich auch nicht konstituierenden) Republik! Also hätte sich eine Inszenierung, die diesen Namen verdient, mit den als Glücksverheißungen daherdröhnenden nationalistischen Lügen des Werks auseinanderzusetzen müssen. Einen dritten Weg der Wahrheit gibt es wohl nicht. Der Regisseur hat sich vor den Problemen des Werks wie denen des Strukturwandels der Öffentlichkeit seit 1849 weggeduckt.

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