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Enescus „Oedipe“ in Bukarest. Foto: Liviu Sova
Enescus „Oedipe“ in Bukarest. Foto: Liviu Sova
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Ödipus aus der Sicht eines Weltbürgers: Eindrücke vom 19. Enescu Festival in Bukarest

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Wenn der Sommer ausklingt, die größeren und kleineren Musik- und Opernfestivals zu Ende gehen, in den Konzertsälen und Opernhäusern die neue Saison beginnt, dann lädt alle zwei Jahre, von Ende August bis Ende September, das Enescu-Festival ein zu einem Besuch der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Seit 1958 findet dieses Musikfest statt, benannt nach Rumäniens größtem und bekanntestem Komponisten, dessen Werk eher übersichtlich ist.

Enescu hat nur wenig mehr als dreißig Werke hinterlassen, Kammermusik, Lieder, Symphonik. Er war ein weltbekannter Violinvirtuose und Lehrer für dieses Instrument. Yehudi Menuhin war sein bekanntester Schüler. Eine gemeinsame Aufnahmen von Mozarts drittem und siebtem Violinkonzert aus den 1930er-Jahren mit dem Lehrer als Dirigenten, auch hier war er hoch geschätzt, belegen dies. Mit dem Pianisten Dinu Lipatti hat er hinreißende Aufführungen eigener Werke eingespielt. George Enescu, 1851 in einer heute nach ihm benannten Stadt in Rumänien geboren und 1955 in Paris gestorben, ist in seiner Heimat ein bekannter und hoch verehrter Künstler. Eine Banknote trägt sein Porträt, Denkmale erinnern an ihn, die Musik des Mannes, der Europäer und Weltbürger war, hört man außerhalb seiner Heimat selten.

Ob es daran liegt, dass er sich, als Schüler von Fauré und Verehrer Wagners, jedem Stil seiner Zeit versagte, sich weder nach Strawinsky noch nach Schönberg richtete und dennoch seiner Musik impressionistische Züge gab, gemischt mit Traditionen der wiederum von vielen Einflüssen durchzogenen Volksmusik seines Landes und die Melodik zugunsten der Moden nie vernachlässigte? Eigentlich beste Voraussetzungen für einen Opernkomponisten.

George Enescu hat nur eine Oper geschrieben, der Schaffensprozess wurde mehrfach unterbrochen, an die dreißig Jahre vergingen vom Beginn der Arbeit bis zur Uraufführung 1936 in Paris. Heute ist es im Werk zu spüren, zu hören, dass das Grauen des ersten Weltkrieges, das Heraufziehen des zweiten, diese spezielle Bearbeitung der antiken Ödipus-Mythologie beeinflusst haben. Der Librettist Edmond Fleg und George Enescu erzählen in dem symphonisch-oratorischen Werk die Geschichte des Ödipus linear, von der Geburt bis zum Tod. Es gibt aber eine zunächst klein anmutende, im Hinblick auf die Zeit der Entstehung und heute besonders im Hinblick auf die Gegenwart, wesentliche Veränderung. Wie im Original beantwortet Ödipus die Frage der Sphinx, deren Fluch auf Theben liegt, mit „Der Mensch“. Nur ist die Frage des Schreckenswesens anders, weniger in Rätselpoesie verkleidet, sondern ganz direkt fragt sie danach, wer oder was denn stärker sei als das Schicksal.

In der Oper geht es darum, dass Ödipus seine Antwort belegen muss, also das Schicksal besiegen indem er es annimmt, dass er den blinden Boten, der ihn sehend macht und ihn daran erinnert, dass er schuldlos schuldig ist, ein Blutschänder und Mörder, nicht bestraft und mundtot macht. Schuld und Schicksal anzunehmen, nicht zu verdrängen, nicht zu entfliehen, der Vergangenheit auf den Grund zu gehen lässt die Gegenwart ertragen und öffnet einzig Fenster im betonierten Horizont.

Ein Gang durch Bukarest im Sommer 2009 lenkt den Blick auf mörderische Wunden der Vergangenheit, auf die der Gegenwart auch, betonierte Zeichen der Epochen und ihrer Schicksalstaten sind allgegenwärtig. In diesem Jahr wurde das renommierte Bukarester Enescu-Festival, das einen ganzen Monat währt, mit der Premiere „Oedipe“ in einer Koproduktion mit dem Théatre du Capitole de Toulouse und der hiesigen Nationaloper eröffnet. Großes Medieninteresse, einmütig wie sonst nie sitzen die Regierungsmitglieder in der ausverkauften National-Oper unweit des monströsen Ceausescu-Palastes. Unter der musikalischen Leitung von Oleg Caetani wird der Abend zu einem Ereignis, das noch einmal deutlich macht, welches Meisterwerk es auch endlich andernorts zu entdecken wäre. In der statuarischen, oratorisch-antikisierenden Regie von Nicolas Joel, dem neuen Chef der Pariser Oper, wird deutlich, dass in szenischer Hinsicht die Möglichkeiten des Werkes erst recht auf zeitgemäße Entdeckungen warten.

Bejubelt werden zu Recht Chor und Orchester der Bukarester Nationaloper. Es wird grandios gesungen und musiziert. Der Chor, homogen, in großen Bögen, melodisch wenn gefordert, auch extrem rhythmisch, Sprechgesang, kommentierend, fordernd, betroffen, in höchster Erregung, feierlich und spirituell.

Gleichermaßen das Orchester. Die Spannung fällt nie ab, harte Klangkaskaden erschrecken, Stimmungsbilder von kosmischen Dimensionen, geheimnisvolle, flirrende Passagen. Caetani betont das immerwährende Drängen der Musik, die Beunruhigung bis in das lichtdurchflutete Finale, wenn der geblendete, sehende Ödipus in erlöstem Einklang mit sich und seinem Schicksal die Bühne dieses Welttheaters verlässt.

Die große Anzahl der Partien wird aus dem Ensemble der Bukarester Nationaloper weitaus mehr als angemessen besetzt. In der Titelpartie als Gast aus Toulouse Franck Ferrari, reich in den Abstufungen der Stimmungsfacetten des komplizierten Charakters, authentisch in der Entwicklung. Sein rumänischer Kollege Stefan Ignat, der von der zweiten Aufführung an die Partie singt, hat in dramatischer und emotionaler Hinsicht noch ein paar Dimensionen mehr zu bieten. Für den Sänger der ersten rumänischen Aufführung überhaupt, die eine zutiefst berührende Aufnahme aus dem Jahre 1964 dokumentiert, David Ohanesian, wurde nach der zweiten Aufführung im Rahmen des diesjährigen Festivals im Foyer der Oper eine Büste enthüllt.

Im Verlauf des Festivals werden bis zum 26. September etliche der berühmtesten Orchester aus der ganzen Welt hier Station machen und auch im Bukarester Athenäum, wo Enescu 1896 sein Debüt gab, konzertieren. Dazu kommt eine illustre Liste von Dirigenten, Instrumentalvirtuosen und Sängern. Eine groß angelegte Konzertreihe ist bei freiem Eintritt ausschließlich der rumänischen Musik des 20. Jahrhunderts gewidmet und schließt so gut wie alle Genres ein. In einem Festivalzyklus erklingt George Enescus Musik in Korrespondenzen mit der seiner Zeitgenossen. Das Bukarester Festival, in dessen Rahmen sich auch eine wissenschaftliche Tagung mit dem Werk Enescus beschäftigt und der englische Choreograf Royston Maldoom in einem integrativen Projekt mit über 100 Kindern und Jugendlichen eine Feuervogel-Version auf die riesige Bühne des Nationaltheaters bringt, kommt mit einem Etat von ganzen sechs Millionen Euro aus.

Vor dem Finale mit Konzerten des Orchestre de la Suisse Romande in Bukarest, weiteren Gastspielen verschiedener Klangkörper in rumänischen Städten, findet am 24. September in der National-Oper die Erstaufführung der Oper „Celan“ von Peter Ruzicka statt. Die konzertante Aufführung in rumänischer Sprache leitet der Komponist. Ein international besetztes Symposium beschäftigt sich an drei Tagen mit Leben, Werk und Wirkung Paul Celans, der 1920 im rumänischen Czernowitz, in der Bukowina, geboren wurde und sich 50 Jahre später in Paris das Leben nahm. Festivalchef Ioan Holender versteht dies als ein Signal, den Dichter in Rumänien bekannter zu machen. Im Mai nächsten Jahres kommt die Bremer Inszenierung „Celan“ von Vera Nemirova auf die Bukarester Opernbühne. Das zwanzigste Enescu-Festival wird im Jahre 2011 stattfinden.

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