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Foto: Wilfried Hösl
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Filmnahe Verbrecherjagd – Bartóks „Blaubart“ und „Konzert für Orchester“ im Münchner Nationaltheater

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„Fakt ist jedoch, dass weibliche Perspektiven immer noch zu häufig übersehen werden, weil die Institution Oper nach wie vor stark von männlichen Künstlern dominiert wird“ konstatierte Regisseurin Katie Mitchell vor ihrer Neuinszenierung von Béla Bartóks „A Kékszakállú herceg vára“. Ob die Kombination mit einem Bartók-Konzert und einem Film neue, tiefere Einsichten vermittelte, prüfte unser Kritiker Wolf-Dieter Peter.

Zwei Frauen an den „Schaltstellen“ der Neuproduktion - immerhin! Und Katie Mitchell nutzte ihre Chance, alle männliche Opern-Dominanz zu unterlaufen, ja zu konterkarieren. Statt eines anderen Operneinakters  stellte sie – wohl im Einvernehmen mit der Dirigentin und Intendanz – Bartóks „Konzert für Orchester“ voran und ließ zur Live-Musik aus dem Orchestergraben von Grant Gee einen aus ihrer Sicht passenden Film drehen: eine Kriminalkommissarin – die spätere Judith – sucht einen Mann – den späteren, steinreichen Londoner Businessman „Blaubart“ -, der per Internet „Senior Queens“ als Hostessen bucht und verschwinden lässt; sie nimmt die Identität einer solchen „Queen“ an und wird vom konspirativen Edelchauffeur vorgefahren… „Konzert“-Ende.

Leider nur stimmen schon hier die Anschlüsse von Film zur Bühne  enttäuschend schlecht: eine erste Film-„Queen“ passt äußerlich und altersmäßig nicht zu den drei jungen Frauen, die im 7. Bühnen-Zimmer Blaubarts gefangen gehalten werden; der Film-Mercedes mit Kommissarin Judith hält in einem völlig anderen Raum als dem bei Vorhang-Öffnung – und Blaubart kommt im Gegensatz zum Film erst gegangen … das ging nicht besser? Oder: Wenn schon der Aufwand, dann bitte Staatsopernniveau!

Als dann Filmleinwand und schwarzer Vorhang hochfahren, folgt erfreulicherweise Bühnentechnik auf Staatsopernniveau von Alex Eales: residierte Blaubart im Film in einem Londoner Loft mit Glasfassade zur nächtlichen Metropole, so führt auf der Bühne von der Ankunftsgarage dann per vielfachem Treppengang ein technisch gekonntes, seitliches Herein- und Weggleiten der folgenden, jeweils mit einem Schlüssel zu öffnenden sieben Zimmer – so wie die Musik pausenlos fließt.

Doch Eales‘ Raumerfindungen sind eher enttäuschend ausgestattet: Blaubarts Folterkammer ist ein heutiger OP-Saal mit chirurgischem Gerät; in seiner Waffenkammer hängen halt Schusswaffen an der Wand; im Tresor seiner Schatzkammer lagern Antiquitäten und viel Schmuck; der im Loft enttäuschender weise nicht frei offene Zaubergarten wirkt ausgedörrt braun; für den Höhepunkt der fabulös weiten Herrschaftslande - und dessen an Wagner- und Mahler-Höhepunkte heranreichende Klangeruptionen samt Judiths überwältigt langem Fortissimo-„Ah!“ – ist ein verbreitertes Jet-Cockpit zu sehen; Judith wird in einem Schleudersitz angeschnallt und bekommt eine Cyber-Brille übergezogen, während hinter den Cockpit-Fenstern ein Jet-Flug-Filmchen über Berge samt Flugrollen zu sehen sind … da hält sich die Enttäuschung über eine große Nasszelle mit allerlei Duschen für den „Tränensee“ in Grenzen, ebenso für den edlen Schlussraum, in dem drei junge Frauen in schwarzen Unterkleidchen gefangen gehalten werden. Auf Mitchells Konzeptionsschiene folgerichtig hat Judith bei einem Kuss Blaubart die Pistole aus dem Hosenbund gezogen, hält ihn in Schach, befreit die drei Frauen – und erschießt dann Blaubart – entgegen Libretto und Musik.

Damit war die Inszenierung endgültig auf mittlerem Netflix-Krimi-Niveau angekommen – so wie sie Bartóks „Konzert“ schon eingangs zum Soundtrack degradiert hatte. Fehlanzeige also für: die symbolistisch dunkle Sprach-Poesie von Béla Balázs; den mythisch geweiteten Hintergrund Blaubarts, dessen Abgründe sich dann als schauerlich grandiose Kompensation einer schier überlebensgroßen Vereinsamung erweisen – in der Judith als „Nacht“ mit der „Morgen“-, „Mittag“- und „Abend“-Frau bei ihm bleibt. Katie Mitchel hat sich leider nicht mit der Faszination auseinandergesetzt, aufgrund derer Frauen bis heute Gewalttäter lieben, heiraten und zu Vätern machen. Für sie ist Blaubart ein „Verbrecher“, alles um ihn „veraltete Männerphantasie“ und Judiths mehrfach geäußerte Liebe nur Täuschungsmanöver – doch der von ihr in teils verlangsamter, aber nie faszinierender Personenregie vorgeführte Großstadt-Krimi-Realismus wirkte wie meist: banal schlicht. Da hätte auch andere Musik gereicht.

Ganz anders das gesangliche Niveau: Nina Stemme und John Lundgren waren ein sehr gutes Solistenpaar – doch beiden wäre mehr Tiefenwirkung, mehr exemplarische Größe zuzutrauen, die ihnen dann auch „Fallhöhe“ verliehen hätte. Die Sieger des Abends waren das Bayerische Staatsorchester und die in die internationale Karriere aufbrechende Oksana Lyniv am Pult. Bartóks rhythmische und harmonische Vielfalt, seine Umbrüche von feinem Piano-Gespinst in fulminante Klangwucht beeindruckten. Musikalisch war es ein Staatsopernabend. Schade um die vertane Chance, das faszinierend symbolträchtige Werk auf visuell und intellektuell „Noch-nie-dagewesen-Niveau“ zu erleben.

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