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Foto: Copyright © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch
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Große Emotionen und Endzeitstimmung: Bizets „Perlenfischer“ am Theater Plauen-Zwickau

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In Zwickau bespielt man bis 2019 anstelle des Gewandhauses, das derzeit renoviert wird, das Konzerthaus „Neue Welt“ oder den Malsaal. Das erfordert für alle Theater-Produktionen, weil sie auch im Vogtlandtheater Plauen gezeigt werden, besondere Lösungen, die für alle Podien kompatibel sein müssen. Die immer wieder von lautstarkem Szenenbeifall unterbrochene Plauener Premiere von Bizets „Les pêcheurs de perles“ wurde zur Liebeserklärung des Publikums an „sein“ Theater.

Dazu gehört zweierlei: Zum einen der beherzte Zugriff auf die richtigen Stücke, den hat der inszenierende Operndirektor Jürgen Pöckel. Zum anderen ein Ensemble, das einen verführerischen Opern-Opal wie „Die Perlenfischer“ mit seinen Ressourcen ohne Durststrecken realisieren kann. Das hat man in Plauen und Zwickau auch.

Anstelle des von Bizet in den Vordergrund gestellten lyrisch-intimen Dramas erlebt man eine aufwändige Choroper: Mit dem Opernchor stehen Gruppen des Extrachors, die Singakademie Plauen und ein von Ballettdirektorin Annett Göhre wirkungsvoll eingesetztes Bewegungsensemble auf dem halb abgesenkten Orchestergraben um das Skelett eines Riesenfisches. Die Klangfülle, mit der die Chorleiter Friedemann Schulz und Torsten Petzold ihre Ensembles gewähren lassen, verpasst Bizets Exotismen erst einen sehr extrovertierten Kick, der sich später umso schlanker auflichtet. Hinter den Massen ist ein weißer Raum mit Ventilatoren und Scheinwerfern zugleich Kommandozentrale, Tempelinneres und Bunker. Auf den ersten Blick wirkt dieser Bühnenraum mit exotistischen Kostümen für das in Ceylon (zur Urfassung in Mexico) spielende Libretto Eugène Cormons und Michel Carrés wie ein dekoratives Niemandsland. Doch allerspätestens, wenn (hier endlich einmal verdeutlicht) die aus ärmsten Verhältnissen stammende Bajadere Leïla gierig ihr Essen hineinschlingt, ist klar, worauf Regisseur Jürgen Pöckel und Ausstatterin Andrea Hölzl hinauswollen: Das ist eine Gesellschaft im Abwärtssog zurück zu den archaischen, restriktiven und fundamentalistischen Wurzeln: Der schamanische Aufputz der Massen besteht aus CD’s, Spiralkabeln, Bierdosen – Müll eben aus der westlichen Wohlstandssphäre.

Potentat ist der Gemeindeälteste Nourrabad (Karsten Schröter), dessen autoritäres Gebaren für alle zur Bedrohung wird und der am Ende den Anführer Zurga durchspießt wie der böse Hagen den strahlenden Siegfried. Diese sinnfällige und kraftvolle Lesart hebt sich von Produktionen der letzten Zeit dadurch ab, dass sie die oft als inhaltlich schwerfällig kritisierte Oper in ein genau ausgearbeitetes Krisenambiente setzt: Wasserknappheit, Rohstoffmangel, Armut als heutige Katastrophenszenarien von einem andern Kontinent.

Das Philharmonische Orchester Plauen-Zwickau spielt auf der Hinterbühne. Deshalb verlegt sich GMD Lutz de Veer auf eine sehr dramatisch-zielorientierte Musizierform. Das ist legitim: Durch einen eher dynamisch-italienischen Ansatz hatte Bizets Frühwerk bekanntlich um 1900 die erste große Erfolgswelle, während es heute als Wunderwerk französischer Prosodie und filigraner Melodik gilt. Durch die Aufführung in französischer Sprache begibt sich das Theater leider, einziges Handicap des Abends, in eine etwas schiefe Vergleichssituation. Man merkt den Kampf vor allem des Chors mit der ungewöhnlichen Phonetik. Die bei Aufführungen in der Originalsprache erwarteten, lang ausgesponnenen Pianokulturen dieser Oper wären dabei ein Widerspruch zu der hier direkt packenden Deutung.

Absolutes Plus sind die Solisten der drei Hauptrollen, sie lohnen einen Ausflug nach Plauen: Chrissa Maliamani als Leïla ist weit mehr als ein für diesen Part so oft fälschlich eingesetzter leichter Sopran. Sie formt ein packendes Porträt, in dem man endlich einmal hört, dass Bizet sich maßgeblich von Bellinis „Norma“ inspirieren ließ. Und es gibt für sie einen ebenbürtigen Nadir: Jason Kim hat gewinnendes Material, zeigt die Brüche in der Beziehung zum Freund und letztlich doch verzichtenden Rivalen Zurga, dreht in den großen Duetten und Finali zu betörend kräftigen und schwärmerischen Linien auf. Damit legt er die in der französischen Werktradition eher verhalten akzentuierte Dramatik der Rolle frei. Shin Taniguchi – tragende Ensemblesäule – schließlich hat die Träne im Baritonkern und dazu auch mit umfassender Verdi-Erfahrung die kernige Autorität für den von ihm mitreißend gestalteten Schlussakt.

Der Saal dankt mit Riesenbeifall für einen satten Abend mit Emotionen und Endzeitstimmung. Das ist auch ein Bekenntnis: Dieses Theater wird in der Region gebraucht.

  • Vorstellungen: Plauen 08.04, 21.05, 05.06. (037412813-4847/-4848) – Zwickau 28.04., 30.04., 03.05., 05.05. (Tel. 037527411-4647/-4648)

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