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Wioletta Hebrowska (Ariodante), Evmorfia Metaxaki (Ginevra), Foto: Olaf Malzahn
Wioletta Hebrowska (Ariodante), Evmorfia Metaxaki (Ginevra), Foto: Olaf Malzahn
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Händels „Ariodante“ als barockes Psychodrama am Theater Lübeck

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Dem Theater Lübeck ist mit Georg Friedrich Händels „Ariodante“ eine packende Inszenierung gelungen, beachtlich für ein Theater, das finanziell zu kämpfen hat und dennoch sein Publikum außergewöhnlich begeistert. Es ist ein Haus, das sich nicht leisten kann, nur die historische Aufführungspraxis zu bedienen. Es muss seine Zuschauer auf breiterer Basis locken.

Das tut es mit zunehmendem Erfolg mit Werken wie Purcells „The Fairy Queen“ oder Glucks „Armide“. Der Mut der Operndirektorin Katharina Kost trägt Früchte, nach sehr viel Wagner und Verdi anderes zu entdecken, vor allem beim Blick in die Vergangenheit. Jetzt (Premiere: 28. April 2017) hatte man sich der Oper „Ariodante“ angenommen, der wie bei der „Euryanthe“ oder beim „Lohengrin“ eine Episode aus Ludovico Ariosts Versepos „Der rasende Roland“ zugrunde liegt.

Eine brisante Intrige

Ein glücklicher Vater, der König von Schottland, stimmt der Wahl seiner Tochter Ginevra zu. Er möchte Ariodante als Schwiegersohn und Nachfolger sehen. Dass es nicht dazu kommt, ahnt der Opernbesucher, denn Herzog Polinesso, ein abgewiesener Rivale, schickt sich früh an, die ihn leidenschaftlich liebende Dalinda für seine Rache zu benutzen. Sie ist Ginevras Dienerin und wird von Lurcanio, dem Bruder Ariodontes, heiß verehrt. Auch sie ist ihm innerlich zugetan. Dieser Exposition unterschiedlicher Liebeszustände im ersten Akt folgt ein zweiter, sehr dunkler Akt, in dem sich Polinesso austobt, der sein intrigantes Tun als Kunst darstellt. Er treibt Ariodante in die Verzweiflung, das enttäuscht Ginevra und den Vater, der zudem der Tochter misstraut, und bringt Dalinda in rasende Verzagtheit über ihre Verblendung, als sie im dritten Akt erkennt, dass sie nur böses Spielzeug war. Gelöst wird die Wirrnis durch ein Gottesurteil, das wieder Ordnung in die Gefühlswelt bringen soll, aber nur äußerlich die inneren Wunden kittet. Lurcanio führt es aus, tötet im Zweikampf den Bösewicht Polinesso und gewinnt Dalinda. Und auch Ginevra und Ariodante finden sich.  

Eine feinsinnige Inszenierung

Doch dieses glückliche Ende hat einen faden Beigeschmack. Kunstvoll gelingt es Händel und seinem Librettisten Antonio Salvi zu verdeutlichen, dass die Charaktere nicht mehr die gleichen unbeschwerten Liebenden wie anfangs sind. Wolf Widders Regie macht das sehr plausibel, in dem er die innere Zerrissenheit herausstellt. Er stellt der Ginevra und auch dem Ariodante zwei Tänzer zur Seite, die er Animus und Anima nennt, und erreicht damit zweierlei. Erstens ersetzen sie das Ballett, das Händel in dieser Oper als integralen Bestand vorsah, zum anderen verdeutlichen sie das ambivalente Gefühlsleben der Getäuschten. Geschickt bezieht Kati Heidebrecht in ihrer Choreografie in die Tanzbewegungen immer wieder die Protagonisten ein. Etwas gewöhnungsbedürftig ist die ins Groteske weisende Idee, sie von zwei Männern gestalten zu lassen. Die Anima dreht ihre Pirouetten in Lederjacke, darunter ein ledernes Mieder, dazu mit weißem Tutu, die kräftigen Männerbeine in Netzstrümpfen und Stiefeln. Der Animus ist elegant in engem schwarzem Anzug gekleidet, unter der Jacke aber mit bloßem Oberkörper.

Auch Polinesso, wie Ariodante als Hosenrolle gestaltet, bekommt eine Schar von dienstbaren Geistern in verfremdender Verkleidung an die Seite gestellt. Sie machen in vielen Szenen deutlich, dass das Böse ständig anwesend ist, werden von ihm an breiten Bändern wie Tiere geführt. Das gibt Polinesso diabolische Züge, hebt die Figur als böses Prinzip heraus, erklärt szenisch, dass alles Gefühlsleben zu manipulieren ist. Ariodante und Dalinda, selbst der Vater lassen sich blenden, versagen in ihrer Liebe, deren Basis Vertrauen sein sollte. Auch dafür findet Rolf Widder stimmige Bilder, wenn die breiten Bänder, Ariodante als Augenbinde umgelegt, sein Ein„sehen“ verhindern.  

Grandioser Gesang

Pierre Albert unterstützte durch eine eher karge Ausstattung die Wirkung, allerdings bestimmte das Bühnenbild im ersten Akt ein aufwändiges stegartiges Gebilde, das fremd wirkte und auffällig wenig genutzt wurde. Ein paar Teppiche auf dem Boden, eine Art Thronsessel und ein Stuhl, dazu ein üppiger Kronleuchter, mal hoch, mal tief gehängt, genügten im Übrigen. Nichts lenkte vom Handeln der Personen ab und von der mitreißenden Musik. Sie vor allem macht es dem heutigen Hörer leicht, trotz barocker Kehlkopfakrobatik dem Geschehen zu folgen. Händels ariose Gesangsformen, die selten die alte, statisch wirkende Da-capo-Form anwenden, sein Geschick, dramatische Duette zu entwickeln, auch Naturszenen oder Aktionsformen instrumental zu untermalen, sind bei aller musikalischen Schönheit zugleich voll innerer Spannung. Der Abend dauerte nur wenig mehr als zweieinhalb Stunden. Das wurde zumeist durch verkürzte Rezitative erreicht, bei denen dann ein paar Details verloren gingen. Erstaunlich aber, wie die Ensemblemitglieder das straffe Tempo bewältigten, das Andreas Wolf vorgab, der die Philharmoniker sehr leicht und dynamisch angepasst führte. Wenn auch nicht historisch exakt, war ihr Spiel doch von barocker Durchsichtigkeit.

Wioletta Hebrowska, in Lübeck bereits in mehreren Hosenrollen zu erleben, glänzte in der Titelrolle mit traumhaft sicheren Koloraturen. Wunderbar, wie sich das runde und warme Timbre ihrer Stimme im Duett mit Ginevra verband. Evmorfia Metaxaki sang diese Partie ebenso sicher, war mit ihrer helleren Farbe eine großartige Partnerin, auch im Spiel. Beide zusammen bilden ein Traumpaar, wie sie es schon bei Bellini in „Romeo und Julia“ waren. Andrea Stadel beherrschte ebenfalls alle Register barocker Manieren. Wie sie als Dalinda ihre furiose Verzweiflung gestaltete, nahm den Atem, auch sie eine ausdrucksvolle Schauspielerin. Das kann ähnlich für den einzigen Gast dieser Aufführung gelten, für Romina Boscolo. Sie hatte vor zwei Jahren in Lübeck der Fürstin in Puccinis „Suor Angelica“ ihre Stimme gegeben, fügte sich in das Ensemble nahtlos ein und verblüffte wieder mit enormem Ambitus von profunder Tiefe bis zu hohen und behänden Koloraturen. Der Tenor Daniel Jenz überraschte vor seinem Weggang aus Lübeck noch einmal als Lurcanio mit einer großen Leistung. Seine Stimme zeigte Glanz und Festigkeit und meisterte das barocke Ausdruckswesen grandios. Er wird fehlen. Gesanglich überzeugten auch Hyungseok Lee mit der kleineren Nebenrolle als Odoardo und vor allem Seokhoon Moon als König. Er hat eine beeindruckende Stimmkraft, passte allerdings im Spiel weniger zu seiner Rolle.

Was in Erinnerung bleibt

Lübecks Inszenierung war dank seiner Sänger, eines lebendigen, wenn auch nicht historisierenden Orchesterklangs und einer stimmigen Regie von mitreißender Wirkung. Sie zeigte, dass eine Barockoper durchaus in ihrer Aussage fesseln kann, wenn das, was bis heute gültig ist, so geschickt herausgestellt wird.

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