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Szene aus NACHT-ZEIT-MORD von Hans-Jürgen von Bose. Foto: David Burmeister
Szene aus NACHT-ZEIT-MORD von Hans-Jürgen von Bose. Foto: David Burmeister
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Hans-Jürgen von Boses Münchner Kafka-Musiktheater NACHT-ZEIT-MORD

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Im Münchner i-Camp gastiert diesertage das "andere opernensemble" mit der Uraufführung von NACHT-ZEIT-MORD, einem Kafka-Labyrinth mit Musik Hans-Jürgen von Boses nach Texten Franz Kafkas.

Nicht gerade im Labyrinth, in einer Umgebung aber von Hinterlassen-schaften ehemals kleiner Handwerksbetriebe und sogenannt kleiner Leute aber, da wo heute in ästhetisch und energetisch hoch ansehnlich sanierten Sozialwohnungen neben den, hinter alten Fassaden protzenden Palästen des neuzeitlichen Finanzadels in luftig-lustiger-Loft-Line, da leben versprenkelte Elemente eines Geistes unseres dritten Jahrtausends. Der strahlt von da aus „...drunt in der greana Au...“, nahe dem Geburtshaus von Karl Valentin, rechts der Isar. inmitten von Entenbach und vorbildlich renaturiertem Fluss, hinüber in andere Areale der Stadt. Dahin, wo die vermeintliche Intelligenzia residiert, aufs andere Ufer hin und weit darüber hinaus. Dahin, wo das ganz eigentliche Opernhaus steht, das Münchner Nationalthinheater am Max Joseph Platz und das Gärtnerplatztheater und wo LMU samt TUM und Kunstareal München mit Theatern und Kinos und Bars und Clubs auftrumpfen. Dahin, wo das vermeintlich wahre Leben definiert wird und sich ereignet. Dort fühlt sich mancher angezogen von einem Theater in der Pampa, einem Ort der avancierten Kultur, einem Spielplatz mit wahrhaft strömendem Publikum – von links der Isar angereistem. Hier ereignen sich Diskurse, Elemente von Kulturkampf, Relikte von Avantgarde in einer Art vorstädtischer Black Box. Da ist das i-camp zu Hause, einer von städtisch-münchnerischem und privatem Engagement getragenen Initiative.

Und da gastiert diesertage das andere opernensemble mit der Uraufführung von NACHT-ZEIT-MORD, einem Kafka-Labyrinth mit Musik Hans-Jürgen von Boses nach Texten Franz Kafkas. Dieses andere opernensemble e. v. wurde 2009 in München gegründet zwecks Schaffung von Öffentlichkeit für junge professionelle Sängerinnen und Sänger, Musikerinnen und Musiker, für Nach-wuchskünstler unterschiedlichster Ausprägungen in Zeiten tri-und-mehr-medialer Ansätze. Da ist den Machern aktuell Ansehnliches und Hörenswertes gelungen. Auf offen und diagonal in den Raum gestellter Bühne, gesandet und mit Zugang zur Unterwelt, inclusive Projektionsfläche samt unter der Decke platzierter Fensterfront erlebt sich der voll besetzte Zuschauerraum in ein Absurdistan versetzt - wie es von Kafka nicht anders erwartet werden will. Dem geborenen Münchner Hans Jürgen von Bose – nach Berlin-Intermezzo und „...nie mehr Nordosten...“ und jetzt ausgeheiltem „Burn-Out“ inmitten von neuer Lust auf Kunst –  sozusagen wieder Neu-Münchner, gelingt es hier an alten Erfolgen anzuknüpfen.

Seine Musik - sinnlich-süffig-kantabel - definiert und umkreist intelligent ein Szenario von Brudermord inmitten obsessiver Struktur. „Seit 1970 beschäftige ich mich mit Kafkas Texten“ sagt Bose. „Bei dieser Thematik hat mich vor allem die Zeitlichkeit interessiert.“ Das ist jetzt alles kammermusikalisch gefasst und transportiert in dieser - dergestalt neu modellierten - Version „eine moritatenhafte Sequen-zialität“. Boses ursprüngliches Material ist praktisch unverändert, ergibt aber aus dieser völlig anderen, „neuen Anordnung der Musik, die genau dem Kafka´schen Text folgt, ein neues Stück.“ Die Anstrengung hat sich gelohnt. Die von allen. Nicht deshalb, weil keiner etwas merkt davon. Sondern weil die ambitionierten, konzentrierten, hoch motivierten Protagonisten – und nur solche gibt es in dieser auf szenische und musikalische Überschaubarkeit setzenden Gesamtleistung – es auf Anhieb schaffen, den vollen Saal von Anbeginn in ihren Bann zu ziehen. So dass wir alle dann zwar durch ein Labyrinth gewandert und da wie dort mit Kopf grad vorne weg gen manche Wand gedonnert sind - ohne dadurch freilich Schaden zu nehmen. Boses Musik fasziniert. Sie irisiert, sie flirrt. Sie verzichtet auf das Imponiergehabe riesiger Orches-terformationen inmitten noch riesigerer Vokalartistik, gestützt von aberwahnsinniger Computerzuspielung.

Wir brauchen keine Stöpsel fürs Ohr wg vergewaltigender Lärmausuferungen und kein Habilitanden-seminar wg Einblick ins geheimnisvoll Verschlüsselte. Das ist Theater pur in aller Sinnlichkeit, das berührt und bewegt. Und selbst wenn wir immer noch nicht wissen, wie die Welt jetzt „weiter geht“ – vor dem Theater, draussen vor der Tür,  spüren wir, in der Finsternis und Kälte einer novemberlichen Nacht: es hat uns etwas ergriffen. Das denken wir weiter, musikalische Strukturen im offenen Ohr, professionell engagierte Macher im Sinn, die das statuarisch Akzentuierte und das moritatenhaft Verknappte wunderbar darstellen zwischen verschiedenen Zeitlichkeiten, Unorten, sich überlappenden Charakteren, angeführt und geleitet von einer Muse, durch die Chronologie der Scheinwirklichkeit eines Mordes geführt, inmitten der Gedankenwelt Franz Kafkas und all seiner „Gespenster“, akustisch illuminiert von realer Akkordeon-Violoncello-Musik auch in  elektronisch zugespielter Lautsprecher-Charakteristik, lautmalerisch changierend. Auf in die Au!

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