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„Der Ring: Next Generation“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Thomas Jauk
„Der Ring: Next Generation“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Thomas Jauk
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Hochemotional und cool: „Der Ring: Next Generation“ – von Alexandra Holtsch nach Richard Wagner an der Deutschen Oper Berlin

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Zum Wagner-Jahr häufen sich die Uraufführungen rund um Wagner. Eben erst hat die kleinste Berliner Opernbühne, die „Hauptstadtoper“, im Reigen multipler Uraufführungen von Wagners früher Komischer Oper „Männerlist größer als Frauenlist“ eine eigene Version herausgebracht, da stellt die Deutsche Oper Berlin, die im Repertoire bereits über zwei eigenwillige „Ring“-Produktionen verfügt – Götz Friedrichs legendäre „Ring“-Inszenierung im Time Tunnel plus Maurice Bejarts getanzten „Ring“ – eine dritte Version vor: in der Nachfolge einer Foyer-Produktion des „Siegfried“, wird das jüngste Auftragswerk der Deutschen Oper Berlin für Jugendliche in erster Linie von Jugendlichen selbst getragen. Wagners Klangwelten wurden expandiert von Disc Jockey Alexandra Holtsch als federführender Komponistin.

In diesem Berliner Jugendprojekt (in Kooperation mit dem Haus der Jugend Charlottenburg) greifen sechzig Jugendliche vorwiegend tanzend Themen aus Wagners Partituren auf. Ihre persönliche Rezeption dieser Spielvorlage dokumentieren sie mit individuellen, zum Teil sogar echt originellen Statements zu Aspekten der „Ring“-Handlung, live und in Videosequenzen auf einem zentralen Screen. Auf der Bühne bieten jugendliche Instrumentalisten vereinzelt auch variierte Wagner-Sequenzen vor dem Mikro dar, und neben dem Orchestergraben dominieren optisch, seltener klanglich, vier bis sechs E-Gitarristen.

Unter der musikalischen Leitung von Moritz Gnann lässt das im Graben halbhoch gefahrene Orchester der Deutschen Oper Berlin größtenteils originale Wagner-Highlights ertönen, beginnend mit dem Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“, fortgesetzt mit Exzerpten aus dem „Rheingold“-Vorspiel, Wotans „Nichts durch Gewalt!“, Alberichs Fluch, Erdas Warnung und dem Gesang der Rheintöchter. Interpoliert werden verfremdende, auch scratchende Klänge und Naturlaute, die beim Hörer den Fokus auf den häufig loopenden Fortgang des Klangs der Originalpartitur neu schärfen. Wie nahe beispielsweise Wagners wuchtiges Thema für die Riesen der Rockmusik steht, wird deutlich, wenn es umgehend verrockt wird, aber dann auch wieder im Original erklingt.

Der zweite Teil der verdichteten „Ring“-Tetralogie  wird mit dem Schlagwort „#2: Liebe“ umrissen: Musikalisch zitiert er die Einleitung zur „Walküre“, Siegmunds Schwertgesang, Brünnhildes Todverkündung und Wotans Abschied. Dem folgt als „#3: Das Neue“, mit Ausschnitten aus Siegfrieds Schmiedelied, Waldweben und Brünnhildes Erwachen, sowie skandierten Transkriptionen des Zwiegesangs Siegfried-Brünnhilde. Die Solisten Hulkar Sabirova, Rachel Hauge, Clémentine Margaine, Burkhard Ulrich, und Bastiaan Everink singen zumeist an Pulten im Orchestergraben, nur Seth Carico tritt als Wotan beim Einschläfern der Brünnhilde in echte Interaktion mit einer sehr jungen Protagonistin, die anschließend ihren Schlaf vertanzt.

Optisch beginnt die von Asegül Kandemir, Dorothea Hartmann und Anne Oppermann dramaturgisch betreute Produktion mit einem stummen choreograhischen Warmup (Emmanuel Obeya) und einer mit einem Fliegenpilz eingeleiteten Projektionsfolge von Naturbildern. Ausgiebig auf der Drehbühne kreist die farbenfrohe Rauminstallation von Tobias Yves Zintel, mit Papier farbig bespannte Wände und Container, Biotope mit Laubbäumen und Palmen, in die sich  sehr harmonisch die pastellfarbig gestuften Kostüme von Irene Ip fügen.

Regisseur Robert Lehniger, „auf die Schnittstelle von Film und Theater spezialisiert“ (Pressetext) vervielfacht die schwangere Sieglinde, indem er alle Mädchen große Bälle unter ihren T-Shirts auf dem Rücken liegend kreisen lässt. Er multipliziert auch das Verlachen Alberichs als geballtes Kichern der Gören hinter Plexiglas, und die Palmen in Plastikeimern werden von den Jugendlichen liebevoll besprüht und umarmt. Am wenigsten Interesse bei den Jugendlichen weckte offenbar die Intrige der Tetralogie, die Handlung der „Götterdämmerung“. Bereits George Bernard Shaw hatte in „The Perfect Wagnerite“ die „Götterdämmerung“ als nicht mehr zum „Ring“ gehörig erklärt, und jüngst wurde sie in Paris, bei „Wagner et la France“, dem einzigen diesjährigen französischen Wagner-Symposion, als ein Betrag zur Grand Opéra gedeutet.

Statt der Intrigen am Hofe der Gibichungen, erfolgt also eine breite, aber in den Videoeinspielungen nicht unwitzige Diskussion der Jugendlichen, wie es in der Zukunft, nach dem Abdanken der Nornen, weitergehen könnte. Hagen – der noch im Pressetext des Auftragswerks der Deutschen Oper Berlin erwähnt ist – spielt offenbar für die „nächste Generation“ keine Rolle mehr; denn Wagners „Ring“-Handlung hat die jungen Exegeten darüber nachdenken gemacht, dass zukünftig Hass auf der Welt genetisch eliminierbar sei, aber auch, dass der Körper immun gemacht werden könne gegen Gesundheitsschäden und das Rauchen dann wieder für Alle möglich sei.

Zum symphonischen Ende aus der „Götterdämmerung“ besteigen alle jugendlichen Mitwirkenden die Decken von drei, nun wie eine Siegertreppe zusammengefahrenen Containern. Aber Holtsch lässt es bei der musikalischen Wirkung des Erlösungsschlusses nicht bewenden, sondern nutzt die Stille des ergriffenen Publikums für einige sich elektroakustisch anknüpfende, gluckernde Wassertropfen. Dem kurzen Lacher über dieses unerwartete Finale folgt am Ende der pausenlos gut 100-minütigen Aufführung frenetischer Applaus des diesmal altersmäßig mit zahlreichen Jugendlichen untersetzten Publikums.

Für die Rezeption von Oper im Allgemeinen und für die Rezeption von Wagners „Ring des Nibelungen“ im Besonderen, hat die Deutsche Oper Berlin mit dieser musiktheatralen Aktion durchaus einen Sieg errungen. Denn nicht nur die an der seit September 2012 erarbeiteten Version beteiligten Jugendlichen werden sicherlich ihr Ergebnis auch mit Aufführungen von Wagners Original vergleichen wollen. Und die Schwellenangst vor der Oper gibt es zumindest für diesen Teil der „next generation“ nicht mehr.

Weitere Aufführungen: 15., 20. März 2013.
 

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