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Svetlana Aksenova (Lisa). Foto: Karl en Monika Forster
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Im Spukschloss an der Newa – Stefan Herheim macht aus Tschaikowskis „Piqué Dame“ großes Bildertheater

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Stefan Herheim hat in Amsterdam nach seinem „Eugen Onegin“ von 2011 jetzt Tschaikowskis zweite Puschkin-Oper „Pique Dame“ hinzugefügt. Mit dabei hatte er die Trickkiste für sein Wundertütentheater, das genauso auf die Opulenz szenischer Überwältigung setzt, wie die konsequente Umsetzung einer Idee, mit der er zusätzlich zur überlieferten, noch eine eigene Geschichte erzählt.

Herheims Theater ist halt eins, bei dem man genauso nachdenken und Bilderrätsel lösen, bei dem man sich aber auch zurücklehnen und gut unterhalten lassen kann. Im neuesten Fall auch mal Aufstehen. Wenn die Zarin kommt. Die Untertanen der Oranier spielen da jedenfalls geschlossen mit. Die ganze in elegantem Grau aufgeputzte Hofgesellschaft strömt von außen in den erleuchteten Zuschauersaal. Auf der Bühne tropfen die Kristalle von der Decke und funkeln, als würde Swarovski das alles sponsern. Dann die Zarin in großer Robe. Das kennt man aus Wien – da gönnte Vera Nemirowa Anja Silja einen imperialen Auftritt als Herrscherin im Haus am Ring. 

Doch bei Herheim ist es nicht nur der bewährte Licht-an- und Wir-spielen-mal-mit-Trick. Diese Zarin ist eine Imagination seines Helden. Und der ist nicht der Spieler Hermann, Lisa oder die Gräfin, sondern Tschaikowski selbst. Als dessen Alter Ego übernimmt Vladimir Stoyanov als Fürst Jeletzki diese hinzuerfunde Rolle in der Oper, bei deren Entstehung wir quasi dabei sind. Und so erweist sich diese pompös in Szene gesetzte Zarin auf den zweiten Blick als Hermann.

Es geht also bei diesem (Lebens-)Spiel um den genialen Komponisten, der an seiner Homosexualität leidet (wie seine in dieser Hinsicht hinterwäldlerischen Russen noch immer), der sich jede Note abringt und mit seiner Musik nicht gelebtes Leben sublimiert. Immer wenn dieser Tschaikowski auf der Bühne die Chormassen dirigiert, scheint er förmlich auszuflippen. Da ist er Teil der Masse und gibt sogar den Ton an, wo er sich sonst nur als Bedrängter und Getriebener sieht. Nicht nur da sehen alle aus wie er selbst. 

Diesen Gedanken spielt Herheim aus, wie Hermann seine magischen Karten. Am Ende ist das Werk vollendet und der Spieler, sprich der Komponist, tot. In Amsterdam stand genau dieses Thema bereits 1994 schon einmal auf dem Programm: Peter Schat hatte mit „Symposion“ dem Leben, vor allem aber dem Sterben Tschaikowskis eine eigene Oper gewidmet. Herheim liefert jetzt mit der Musik des Russen die große Bühnenshow dazu. Und die lässt nichts aus in dem magischen Salon von Philipp Fürhofer. Da verschieben sich die Wände und zaubern mit Spiegeleffekten ungeahnte Weite herbei. Da drehen sich Bilder überm Kamin, gehen Türen auf und zu, da blitzt und spukt es, was das Zeug hält. Hier wundert sich keiner, wenn die tote Gräfin in den Flügel gebettet wird oder wenn die Massen den sterbenden Hermann umringen und plötzlich Tschaikowski tot am Boden liegt. In diesem Spukschloss und als Schlusspointe von Herheims Erzählungen hat das durchaus seine Richtigkeit. Auch wenn er die Zügel seiner Phantasie manchmal schießen lässt und die Schraube überdreht. Da muss eben der Todesengel (aus seinem Parsifal) auch noch bemüht werden, da müssen die Wassergläser, die auf Tschaikowskis erzwungenen Selbstmord verweisen, im Dunkeln leuchten und drei nackte, mit Federn wie der heilige Sebastian durchbohrte Fantasiegestalten den Komponisten bestürmen. Wenn ihnen was einfällt, dann kennen Herheim und sein Dramaturg Alexander Meier-Dörzenbach nix.

Im Graben der Amsterdamer Oper obwaltet dazu der pure Luxus. Schon, weil mit dem Concertgebouw das beste niederländische Orchester und mit Mariss Jansons der dem Klangkörper bis 2015 vorstehende Dirigent am Werke sind. Sie liefern freilich nicht das aufgerauhte Drama – Donner, Blitz und Budenzauber überlassen sie weitgehend der Bühne. Sie setzen mehr auf einen sanften Edelklang mit viel Liebe zum Detail, der Lust an Chor- und volkstümlicher Melodie, der Spurensuche nach dem Mozart im Tschaikowski. Nicht nur mit dem muttersprachlichen Idiom beeindrucken Svetlana Aksenova als Lisa und der markante Alexey Markov als Tomsky. Misha Didyk als Hermann (und Projektion des Komponisten) muss schon an seine Grenzen gehen, um diese Rolle auch stimmlich auszufüllen. Insgesamt passen alle Protagonisten zur Opulenz dieser Produktion, mit der sich Herheim nicht neu erfindet, aber seine Mittel mit großer Geste souverän vorführt.

  • Weitere Vorstellungen: am 15., 18., 21.,24.,27.,30. Juni  und am 3. Juli 2016 

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