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Braxton-Trio in Schorndorf. Foto: Dietrich Heißenbüttel
Braxton-Trio in Schorndorf. Foto: Dietrich Heißenbüttel
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Im Stakkato durch interaktive Klanglandschaften: Anthony Braxtons einziger Auftritt in Deutschland

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Ja, Anthony Braxton beherrscht nach wie vor die rasenden Stakkato-Läufe, mit denen er vor vierzig Jahren das Publikum des Moers-Festivals – und dann auch 1979 in Schorndorf – aus dem Häuschen gebracht hat. Anders als damals spielt er diesmal in der Manufaktur, die sich heute in einem anderen Gebäude befindet, allerdings nicht in diesem Tempo an einem Stück durch. Dies liegt nicht allein an der Kondition des fast siebzigjährigen Saxophonisten, sondern auch daran, dass er seine ganz eigenständige Melange aus Komposition und Improvisation weiter entwickelt und zur Perfektion gebracht hat.

In der eigenwilligen Triobesetzung mit Taylor Ho Bynum als zweitem Bläser ist es zunächst Mary Halvorson an der Gitarre, die in der Mitte sitzend die Balance hält. Bynum ist in dieser Konstellation der Heißsporn. Unter hohem Druck spielt sich der Trompeter, der auch als geschäftsführender Direktor von Braxtons Tri-Centric Foundation fungiert, mit einem Arsenal von Instrumenten vom Kornett bis zum Flügelhorn immer wieder in den Vordergrund. In solchen Momenten, insbesondere wenn dann auch Braxton in hohem Tempo mitmischt, hält sich Halvorson zurück, setzt hin und wieder ganz aus. Sie versucht auch nicht, durch schnelle Läufe ihre Virtuosität unter Beweis zu stellen. Vielmehr setzt sie den beiden Melodieinstrumenten ein sehr vielseitiges, fein austariertes, abstraktes Gerüst verschiedener Spieltechniken entgegen, von Akkorden über Melodieläufe, alternierende Basslinien, Spielen hinter dem Steg bis hin zum schnellen Tremolo über alle sechs abgedämpften Saiten. Ihre halbakustische Gitarre klingt zwar nicht so spröde wie bei Derek Bailey, doch auch sie spielt mit dem Gegensatz zwischen dem über Mikrophon verstärkten geräuschhaften Saitenanschlag und den lang anhaltenden Tönen, die der Tonabnehmer an den Verstärker weiter leitet.

Nach einer einleitenden Passage wendet sich Braxton um und schaltet sein Laptop zu. Sphärische Klänge setzen dem dichten, vorwärtstreibenden Gewebe noch eine weitere, ganz andere Dimension hinzu: eher kühl, statisch, aber auch die Ohren öffnend, sodass auch die Akteure auf der Bühne in ihrem Spiel abgelenkt zugleich zu Zuhörern werden. Erst als sie nach einer Weile dann aussetzen und auf Kommando Braxtons einzelne Töne spielen, wird deutlich, dass es sich bei der Elektronik keineswegs um ein vorproduziertes „Zuspielband“ handelt, sondern der Computer seinerseits auf die von den Instrumentalisten hervorgebrachten Klänge reagiert. In der interaktiven Musik, entwickelt von Partnern Braxtons wie dem Komponisten Richard Teitelbaum und dem Posaunisten George Lewis, ist die Software so programmiert, dass sie auf die vom Mikrophon aufgefangenen Impulse in unvorhergesehener Weise reagiert. Solchermaßen „überrascht“ von den von ihm selbst ausgelösten, aber eben nicht antizipierbaren Klängen, wird der Improvisator daran gehindert, in Routinen zu verfallen, und in neue Richtungen gelenkt.

Genau dies war Braxtons erstes Anliegen, als er Ende der 1960er-Jahre den damals gängigen wilden, sich aber schnell erschöpfenden Freejazz-Kaskaden seine an Höreindrücken von Schönberg und Stockhausen geschulten kompositorischen Konzepte entgegensetzte. Komposition meint hier nicht, dass das, was auf dem Papier steht, vom Interpreten möglichst werkgetreu umgesetzt werden soll. Vielmehr den Spieler auf immer wieder andere Weise herauszufordern. Im Lauf der Zeit hat Braxton eine Vielzahl von Verfahren entwickelt, von der grafischen Notation bis zu regelrecht ausnotierten Themen, die aber, wie sich gegen Ende der Aufführung zeigt, ihrerseits zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt wieder auseinanderfallen, sich in Bewegung setzen, neue Bewegung erzeugen. An wieder anderen Stellen lässt die Partitur, die die drei Musiker vor sich liegen haben, offenbar mehrere Wege offen, unter denen Braxton durch Handzeichen entscheidet. Auch ist die nicht durchgängig mitlaufende Elektronik insofern keine gänzlich separate Schicht, als Halvorson mit einem Apparat von Pedalen den Gitarrenklang ebenfalls bearbeitet, verzerrt, loopt und verdoppelt, bis in vom gewohnten Gitarrenklang ziemlich weit entfernte Regionen. So entsteht eine Klanglandschaft, die nicht einem großen Spannungsbogen folgt, sondern immer wieder hinter der nächsten Biegung mit neuen Überraschungen aufwartet.

Eine der größten ist, wie die Komposition nach ziemlich genau einer Stunde plötzlich auf einem vorher nicht dagewesenen Grundton landet, woraufhin Braxton noch kurz absagt und wie seine Mitspieler verschwindet. Nach lang anhaltendem Applaus lassen sie sich aber doch noch zu einer kurzen Zugabe bewegen: eine Komposition auch das, aber nicht nach Noten, sondern durch Handzeichen gesteuert. Ein erfrischender Abschluss.

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