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In der Höhle der Selbstbespiegelung: Joachim Schlömers Bearbeitung von Henry Purcells „The Indian Queen“ für Schwetzingen

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Dass Henry Purcells „Semi Operas“ wunderbare Dreisparten-Projekte sind, hat das eine oder Theater in den letzten Jahren schon gemerkt. „King Arthur“ oder „The Fairy Queen“ gibt es inzwischen ab und an zu sehen. Nicht aber „The Indian Queen“, Purcells letztes Projekt, über dem er 1695 verstarb, so dass sein Bruder die abschließende „masque“ komponierte. Nun haben die Schwetzinger Festspiele, die das Werk 1995 schon einmal auf dem Programm hatten, es wieder ausgegraben. Das Original sollte es diesmal aber nicht sein. Regisseur Joachim Schlömer hatte in der Koproduktion mit dem Theater Basel und der Oper Metz ziemlich freie Hand – und nutzte sie weidlich.

Das beginnt mit den musikalischen Abweichungen. Von der „Masque“ ist anscheinend nichts übrig geblieben. Dafür weist das Programmheft etliche Einlagen aus: Den Chor „Hail, bright Cecilia“ aus der Cäcilien-Ode von 1692, je eine Arie aus den Schauspielmusiken zu „The Tempest“ und „Bonduca“, aus „Dioclesian“ schließlich eine Sarabande und die Arie mit Chor „Let Monarchs fight for power“. Von der Handlungsstruktur, für die Purcells Originalmusik bestimmt war, bleibt noch viel weniger übrig.

In John Drydens und Robert Howards nahezu unbekannten lateinamerikanischem Szenario geht es um zwei Länder, die miteinander im Krieg liegen: Mexiko und Peru. Es geht um zwei Männer, die dieselbe Frau, nämlich die peruanische Königstochter Orazia, lieben: Montezuma, peruanischer Kommandeur mexikanischer Abstammung, und Acacis, Sohn der mexikanischen Königin Zempoalla. Und es geht um eine Usurpatorin auf dem mexikanischen Thron, nämlich Zempoalla (die „Indian Queen“), und den rechtmäßigen, aber lange unerkannten Thronerben, nämlich Montezuma selbst. Am Ende, nach vielen Verwicklungen, Begegnungen und wundersamen Erscheinungen, wird Zempoalla vom Volk gestürzt und Orazia vor der Hinrichtung gerettet, Montezuma besteigt den Thron und kann die Geliebte heiraten. Die unrechtmäßige Königin und ihr unglücklicher Sohn scheiden aus dem Leben. Wie viel Zeitgeschehen die Zeitgenossen 1695, nur sieben Jahre nach der Glorious Revolution, hinter dieser Geschichte erkannten, wäre eine interessante Frage.

Schlömer versucht im Bunde mit seinem Bühnenbildner Jens Kilian und seiner Kostümbildnerin Marie-Thérèse Jossen das Stück in der Gegenwart zu verankern und erfindet eine völlig neue Handlung, in der drei moderne Zeitgenossen ausgewählten Figuren und Motiven der Originalhandlung begegnen: Iris und Kevin, zwei Mexiko-Touristen, und ihr einheimischer Führer Pablo fallen nämlich während einer Tour durch die Wildnis in ein rätselhaftes Loch. Und nachdem sich das hysterische Gelächter der Protagonisten gelegt hat, lassen die ersten Dialoge auf eine Satire hoffen, in der die in Eurozentrismus, Konsumhaltung, oberflächlicher Neugier, Sensationslust, Rechthabertum und Beziehungsstress gefangenen Pauschaltouristen eine ebenso verstörende wie erhellende Begegnung mit dem Fremden und Disparaten erleben. Aber schon nach kurzer Zeit zeigt sich: Kevin und Iris sind nicht in das Loch der Erkenntnis gefallen, sondern in die Höhle der Selbstbespiegelung.

Der Dialog bleibt weiter gespickt mit Banalitäten und Klischees. Unvermittelt hervorbrechende nachdenkliche und poetische Passagen hingegen werden von den Schauspielern abgespult wie auswendig gelernt und nicht verstanden. Die Bühne präsentiert im Lauf des Abends einen wandelnden Teppich, zahlreiche Tapetentüren, ein brutales Opferritual mit einem in ein Bärenfell gekleideten Schamanen, ein auf den Kopf gestelltes Zimmer mit kopfüber agierenden Akrobaten, eine goldgekleidete „Sonne“, einen gewaltigen Regenschauer, eine Horde von grünen Froschmenschen  und singende Doppelgänger des ins Loch gefallenen Trios, die unter den Namen Orazia, Zempoalla und Acacis fungieren. Montezuma, im Original bloße Sprechrolle, kommt gar nicht mehr vor. Kevin und Iris bewegen sich ebenso hilflos wie selbstbewusst durch das Geschehen. Ihr pathetisches „Wir müssen uns trennen“ ist nichts weiter als der übliche Krisen-Reflex von Lebensabschnittsgefährten. Am Ende schwingt sich Pablo zum neuheidnischen Opferpriester auf, Orazia wird im Wasserbecken ertränkt und Zempoalla tödlich verwundet. Kevin, von Pablo zum Opfer designiert, ertränkt sich gleich selbst. Nur Iris lässt sich hochseilen zum laut über der Szene knatternden Rettungshubschrauber.

Purcells Musik dagegen wird durch Chor und Orchester von Le Concert Spirituel unter Hervé Niquet ausgesprochen subtil interpretiert. Purcells geniale Begabung für musikalische Textdeutung und Atmosphäre, seine delikaten Akkordverbindungen und ausladenden Melodiebögen, seine raffinierten Phrasierungen, seinen Sinn für Klangfarbe, seinen Mut zur Schlichtheit und zur Virtuosität gleichermaßen kann man sich kaum besser musiziert denken. Und auch sängerisch ist es ein großer Abend: Die Sopranistin Ruby Hughes (Orazia), die Mezzosopranistin Mireille Lebel (Zempoalla), der Haute-contre Tenor Anders Dahlin (Acacis), der Tenor Mathias Vidal (Sonne) und der Bariton Marc Labonette (Schamane) beeindrucken durch ihre technische Sicherheit ebenso wie durch ihren sängerischen Ausdrucksreichtum. Was die Musik aber ausdrückt – und das ist der Kern jeglicher Theatermusik  , interessiert den Regisseur an  kaum einer Stelle. Er degradiert sie zur Begleitmusik seiner Einfälle.

Es gehört beispielsweise eine ziemliche Ignoranz dazu, zu den Worten „Größe soll meine Seele niemals fordern, gib mir Zufriedenheit und ich habe alles“ die Sonne, das barocke Symbol Ludwigs XIV., selbstbewusst über eine Freitreppe stolzieren zu lassen. Schlömer stolpert durch „The Indian Queen“ genauso wie Kevin und Iris durch die lateinamerikanische Exotik: Eitel und selbstgefällig, ohne Respekt für das Andere, blind für das Eigene im Fremden.
 

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